Rechtliches - Nikolausbeschluss

Erstellt am 30 Aug 2015 13:51 - Zuletzt geändert: 04 May 2022 08:49

Nachgang zum Nikolausbeschluss - BVerfG

BSG zu Therapiezielen & Erfolgsaussichten

Eine Umsetzung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung findet sich in dem BSG-Beschluss vom 02.09.2014 (Az: B 1 KR 4/13 R) – Kuba-Therapie. In dem Entscheidungstext des Beschlusses wird gerügt, dass in den Vorinstanzen der medizinische Sachverhalt im Einzelfall nicht genügend berücksichtigt wurde und die entsprechenden Feststellungen werden angemahnt:

Des Weiteren ist nach der Rechtsprechung… festzustellen, mit welcher Zielsetzung die sog Kuba-Therapie bei Prof. Dr. P durchgeführt wird und ob bezüglich dieser Behandlungsmethode eine "auf Indizien gestützte", nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf … gerade im Hinblick auf die konkreten Verhältnisse bei dem Kläger … [bestand]

Soweit danach eine solche Behandlungsmethode in Betracht kommt, ist zu prüfen, ob bei Anlegen des gleichen Wahrscheinlichkeitsmaßstabes auch andere (anerkannte) Methoden diesen Anforderungen genügen.
Ist dem so, sind diese Methoden untereinander hinsichtlich Eignung, Erforderlichkeit und Wirtschaftlichkeit zu vergleichen ……

Der Beschluss des BSG zur so genannten Kuba-Therapie fordert somit, dass die bereits im Leistungskatalog der GKV enthaltenen Methoden in gleicher Weise auf ihre Wirksamkeit bezüglich einer Heilung oder wenigstens einer spürbaren positiven Einwirkung auf den Krankheitsverlauf geprüft und hinsichtlich ihrer Eignung im Einzelfall bewertet werden müssen, wie eine - in lebensbedrohlicher oder wertungsmäßig gleichzustellender Situation - beantragte außervertragliche Methode.

Das BSG konkretisiert in dem Beschluss vom 02.09.2014 (Az: B 1 KR 4/13 R) auch die Anforderungen, die an die Qualität der "Indizien" zu stellen sind, welche in einer verfassungsrechtlich zu bewertenden - lebensbedrohlichen oder wertungsmäßig gleichzustellenden - Situation herangezogen werden können.

Bezüglich der Kuba-Therapie erklärt das BSG:

… Wissenschaftliche Verlaufsbeobachtungen anhand von operierten 126 Menschen, unterstützt durch Parallelbeobachtungen im Rahmen von Tierversuchen und untermauert durch wissenschaftliche Erklärungsmodelle sind ihrer Art nach ohne Weiteres geeignet, nach den Regeln der ärztlichen Kunst als Grundlage für "Indizien" im dargelegten Sinne für eine positive Einwirkung zu dienen…

Weiter nimmt das BSG in seinem Beschluss vom 02.09.2014 (Az: B 1 KR 4/13 R) auch Stellung zur Relevanz des Therapieziels. Der Urteilstext enthält hierzu folgende Aussage:

… Es entspricht auch nicht den dargelegten bindenden Vorgaben […], einen Erhalt der Sehfähigkeit durch Verbesserung des Sehvermögens für 18 bis 24 Monate als unerheblich anzusehen…

Überprüfbarkeit von Therapie-Ergebnissen

In einem Urteil vom 07.05.2013, Az. B 1 KR 26/12 R traf das BSG eine negative Entscheidung über eine Therapie nach der Methode Kozijavkin bei infantiler Zerebralparese. Das Gericht formulierte in seinem Urteil folgendes:

"Die Folge der verfassungskonformen Auslegung ist es indes, dass zur Gewährleistung der verfassungsrechtlichen Schutzpflichten bei neuen Behandlungsmethoden die Einhaltung des Arztvorbehalts (§ 15 SGB V) und die Beachtung der Regeln der ärztlichen Kunst erforderlich bleiben. … Gleichermaßen ist das Bestehen von mehr als bloß ganz entfernt liegenden Aussichten auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf durch die streitige Therapie nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu beurteilen. … Dies ändert mithin nichts an der Heranziehung und Maßgeblichkeit allein wissenschaftlicher Maßstäbe zur Beurteilung eines Behandlungserfolgs im Recht der GKV, wie sie sich zB in § 2 Abs 1 S 3 SGB V und auch in § 18 Abs 1 S 1 SGB V niederschlagen und in Sondersituationen evidenzbezogen abgestuft zur Anwendung gelangen können. …. Ziel der grundrechtsorientierten Auslegung ist es, die Gestaltung des Leistungsrechts der GKV an der objektiv-rechtlichen Pflicht des Staates zu orientieren, sich schützend und fördernd vor die Rechtsgüter des Art 2 Abs 2 S 1 GG zu stellen. … unabdingbare Voraussetzung für die Erlangung der wissenschaftlichen Anerkennung, … die Möglichkeit, die … Ergebnisse überprüfbar zu machen.
Dementsprechend bejaht etwa die Gesellschaft für Neuropädiatrie in ihrer Stellungnahme zur Methode Kozijavkin den Einsatz therapeutischer Techniken der Manuellen Medizin bei spastischen infantilen Zerebralparesen, allerdings lediglich in nach wissenschaftlichem Standard gesichertem Umfang, welches sie bei der Methode Kozijavkin schon als nicht gewährleistet ansieht. Sie lehnt aber Einzelelemente wie die Apitherapie wegen ihres Risikopotentials ohne gesicherten Nutzen ab. …"

Nikolausbeschluss - Therapieziele & Erfolgsaussichten

Im Beschluss vom 26.02.2013; Az. 1 BvR 2045/12 (Hyperthermie) nimmt das Bundesverfassungsgericht Stellung zu den Aussagen des MDK und LSG in der Gerichtsakte. Diese hätten festgestellt, dass "… Behandlungsmöglichkeiten der sogenannten Zweitlinien- und Drittlinienbehandlung zur Verfügung…" stünden, weshalb ein verfassungsrechtlich erweiterter Leistungsanspruch scheitere, da ja vertragliche Alternativen vorhanden seien.

Hierzu bemerkte das Bundesverfassungsgericht:

Danach können Versicherte … auch eine von Abs. 1 Satz 3 abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht.

Erläuterung: SGB V §2 Abs. 1 Satz 3 enthält folgende Bestimmung: „Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen“.

Weiter stellte das Bundesverfassungsgericht in dem Fall Az. 1 BvR 2045/12 (Hyperthermie) fest:

…, ob eine alternative Behandlungsmethode von der gesetzlichen Krankenversicherung zu finanzieren ist, [kann] nicht losgelöst davon betrachtet werden, was die anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung zu leisten vermag und was die alternative Behandlung zu leisten vorgibt …
… die Alternativbehandlung [kommt] … in Betracht, wenn die auf Indizien gestützte Aussicht auf einen über die … Standardtherapie hinaus reichenden Erfolg besteht …

Nikolausbeschluss - Verfahrensrecht und Einzelfall

Im Beschluss vom 19.03.2009; Az. 1 BvR 316/09 (Hyperthermie) stellte das Bundesverfassungsgericht fest:

… [Das Sozialgericht] … bemerkt dazu, auch diejenigen Kosten, die erst nach Antragstellung bzw. Bescheiderteilung anfielen, könnten wegen der Nichteinhaltung des gebotenen Beschaffungswegs nicht erstattet werden.
Diese Rechtsanwendung, welche […] die Versorgung mit der begehrten Behandlung […] allein deshalb verweigert, weil [die Beschwerdeführerin] es versäumt hat, vor Beginn der ersten Behandlung bei diesem Arzt eine Entscheidung ihrer Krankenkasse abzuwarten, ist … nicht mehr verständlich.

Nikolausbeschluss - Richtlinie und Einzelfall

Nach der Rechtsprechung des BSG, die sich zum Beispiel in dem BSG-Urteil vom 04.04.2006; Az.: B 1 KR 12/04 R (D-Ribose zur Behandlung eines Myoadenylate-Deaminase-Mangels, der zu Schmerzen und zur Berufsaufgabe geführt hatte) findet, reichte eine rein formale Betrachtung zur Ablehnung eines Leistungsanspruches auch bei "einer nachhaltigen, die Lebensqualität auf Dauer beeinträchtigenden Krankheit" aus.
So wird in dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Fall die formal rechtliche Einordnung des begehrten Produktes "D-Ribose" als "Fertigarzneimittel ohne die erforderliche Zulassung" bzw. als "Lebensmittel ohne Erstattungsfähigkeit/außerhalb der AMR" zur Urteilsbegründung herangezogen, ohne weitere medizinische Aspekte des Einzelfalles zu erörtern.

Demgegenüber formulierte das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 29.11.2007 (Beschluss 1 BvR 2496/07) folgendes:

…in den Fällen, in denen es um existentiell bedeutsame Leistungen […] geht, … haben [die Gerichte] unter diesen Voraussetzungen die Sach- und Rechtslage abschließend ([umfassend]) zu prüfen…
… auch in den Fällen […], in welchen eine neue Behandlungsmethode bereits ausdrücklich vom Gemeinsamen Bundesausschuss ausgeschlossen wurde [hat das Sozialgericht] gegebenenfalls über die Anwendung [der im Beschluss des BVerfG vom 6. Dezember 2005 aufgestellten] Grundsätze im konkreten Fall … zu entscheiden“.

Als Konsequenz dieses Verfassungsgerichtsbeschlusses revidierte der Gemeinsame Bundesausschuss seine Verfahrensordnung und die Richtlinien Methoden (ambulant & Krankenhaus) , was er in einer Pressemitteilung vom 20.01.2011 mit dem Titel "G-BA regelt nicht den Einzelfall – Nikolausbeschluss des Bundesverfassungsgerichts gilt auch bei ausgeschlossenen Methoden" bekannt machte.

Der Pressemitteilung ist folgendes zu entnehmen:

"Da Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) nicht den Einzelfall regeln, können gesetzlich versicherte Patientinnen und Patienten in Ausnahmefällen auch auf vom G-BA ausgeschlossene Untersuchungs- und Behandlungsmethoden Anspruch nach dem so genannten Nikolausbeschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) haben …".

Nikolausbeschluss - Zeit-Aspekte (Dringlichkeit der Behandlung, notstandsähnliche Situation)

Nach der Begutachtungsanleitung NUB soll eine potentielle Lebensbedrohung (oder eine gleichgestellte Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit) in ferner Zukunft nicht dem Kriterium einer verfassungskonformen Auslegung des Leistungsanspruchs in notstandsähnlichen Situationen entsprechen.

Demgegenüber hat das Bundesverfassungsgericht in einem Beschluss vom 06.02.2007 (Aktenzeichen 1 BvR 3101/06) zu einer strittigen Lipidapherese-Behandlung erklärt:

"Der Annahme eines lebensbedrohlichen Zustands des Beschwerdeführers steht […] nicht entgegen, dass die koronare Herzerkrankung noch nicht das Stadium einer akuten Lebensgefahr erreicht hat."

Weiter heißt es in diesem Beschluss:

… dass eine Krankheit auch dann als regelmäßig tödlich zu qualifizieren ist, wenn sie "erst" in einigen Jahren zum Tod des Betroffenen führt."

Begründet wird dies durch die Verfassungsrichter mit dem zu erwartenden Krankheitsverlauf, der ohne die beantragte Behandlung "mit hoher Wahrscheinlichkeit" zur Entwicklung eines Zustandes akuter Lebensgefahr führen werde. Auf die in diesem Stadium dann zur Verfügung stehenden intensivmedizinischen Behandlungsmöglichkeiten könne der Patient nicht verwiesen werden.

Diesen Aspekt der vorhandenen oder nicht vorhandenen zeitlichen Nähe einer möglichen Lebensbedrohung greift ein Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 19.03.2014 (L 5 KR 1496/13) auf, in dem es heißt:

"Entgegen der Auffassung der Beklagten (und des MDK, etwa Gutachten des Dr. G. vom 05.10.2009) scheitert die Leistungsgewährung auch nicht am Erfordernis einer durch nahe Lebensgefahr gekennzeichneten individuellen Notlage. Das BVerfG hat hierfür ersichtlich stets auf den Einzelfall abgestellt und eine rein zeitliche Betrachtung nicht vorgenommen, etwa auch ausreichen lassen, dass in Sonderfällen der Tod voraussichtlich erst in einigen Jahren eintreten wird (Beschl. v. 06.02.2007; 1 BvR 3101/06)."

Ähnliches hatte auch das LSG-Niedersachsen-Bremen in der Begründung eines Beschlusses vom 07.03.2011 (L 4 KR 48/11 B ER) ausgeführt:

1. Es ist mit dem staatlichen Schutzauftrag für Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) nicht vereinbar, die Pflicht des Staates zur Bereitstellung von Leistungen außerhalb des Leistungskataloges der gesetzlichen Krankenversicherung auf Situationen zu beschränken, in denen der Tod des Versicherten kurz bevorsteht, er sich also in einer notstandsähnlichen Situation befindet.2. Eine Leistungspflicht besteht nach grundrechtsorientierter Auslegung vielmehr auch in den Fällen, in denen eine schwerwiegende Erkrankung vorliegt, die ohne rechtzeitige Behandlung aller medizinischen Voraussicht nach die körperliche Unversehrtheit des Versicherten auf Dauer nachhaltig und gravierend beeinträchtigen würde.

Eine andere Bewertung der zeitlichen Nähe der Lebensbedrohlichkeit wird vielfach aus dem Nichtannahme-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11. April 2017 1 BvR 452/17 herausgelesen. In diesem Beschluss wurde zwar bekräftigt, dass ein verfassungsunmittelbarer Anspruch auf Krankenversorgung bestehen kann, wenn in Fällen einer lebensbedrohlichen Erkrankung vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung umfasste Behandlungsmethoden nicht vorliegen, eine andere Behandlungsmethode aber eine Aussicht auf Besserung verspricht.
Jedoch führte das BVerfG in seiner entsprechenden Pressemitteilung folgendes aus:

Allerdings würde es dem Ausnahmecharakter eines solchen Leistungsanspruchs nicht gerecht, wenn man diesen in großzügiger Auslegung der Verfassung erweitern würde. Die notwendige Gefährdungslage liegt erst in einer notstandsähnlichen Situation vor. Anknüpfungspunkt eines derartigen verfassungsrechtlich gebotenen Anspruchs ist deswegen allein das Vorliegen einer durch nahe Lebensgefahr gekennzeichneten individuellen Notlage.

Allerdings bezog sich das Bundesverfassungsgericht hier ausschließlich darauf, ob im zugrundeliegenden Einzelfall eine verfassungsrechtliche Frage überhaupt zu klären war. Und zu dieser Frage hatte das Bundesverfassungsgericht bereits 2015 eine eindeutige Stellung bezogen in einem anderen Nichtannahme-Beschluss: 1 BvR 2056/12 (s.u.).
So heißt es auch im Volltext der veröffentlichten Entscheidung "1 Beschluss vom 11. April 2017 -BvR 452/17":

"Im Beschluss vom 10. November 2015 hat das Bundesverfassungsgericht die enge Begrenzung dieses verfassungsunmittelbaren Anspruchs klarstellend betont (vgl. - auch zum Folgenden - BVerfGE 140, 229 <236 Rn. 18>). Danach ist es nicht geboten, die Grundsätze des Beschlusses vom 6. Dezember 2005 (BVerfGE 115, 25) schon von Verfassungs wegen auf Erkrankungen zu erstrecken, die wertungsmäßig mit lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankungen vergleichbar sind. […]
Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Beschwerdeführerin eine mögliche Grundrechtsverletzung nicht hinreichend substantiiert geltend gemacht.
Die Fachgerichte sind zu Recht davon ausgegangen, dass ein Mittel, das potentiell letale Komplikationen hinreichend zuverlässig verhindern kann, einen entsprechenden Anspruch ausschließt. … fehlt es an einer notstandsähnlichen Lage und damit an hinreichenden Gründen, um den gesetzgeberischen Spielraum bei der Ausgestaltung des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung durch einen unmittelbar aus der Verfassung abgeleiteten Anspruch zu überspielen.
Der von der Beschwerdeführerin geltend gemachte verfassungsunmittelbare Anspruch besteht daher nicht, …"

Krankheitsschwere, Lebensbedrohlichkeit

In dem Nichtannahme-Beschluss vom 10. November 2015 (1 BvR 2056/12) einer Verfassungsbeschwerde gegen Versagung von Therapiekosten und Regelungsbefugnisse des Gemeinsamen Bundesausschusses führte das Bundesverfassungsgericht aus:

"Die Beschwerdeführerin trägt vor, es sei verfassungsrechtlich geboten, den grundgesetzlichen Leistungsanspruch nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005 auf schwerwiegende Krankheiten zu erweitern, die wertungsmäßig mit lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankungen vergleichbar sind.

Eine solche Erweiterung ist fachgerichtlich schon anerkannt und mittlerweile auch gesetzlich in § 2 Abs. 1a SGB V normiert worden. Diese Änderung des einfachen Gesetzesrechts vermag jedoch den verfassungsunmittelbaren Anspruch nicht zu erweitern. Im Übrigen ist die einfachgesetzliche Anspruchsgrundlage erst im Jahr 2012 geschaffen worden, erfasst also zeitlich das vorliegende fachgerichtliche Verfahren nicht.

Das Bundesverfassungsgericht hat sich wiederholt mit krankenversicherungsrechtlichen Leistungsansprüchen in Fällen schwerwiegender Erkrankungen befasst, aber in keinem Fall festgestellt, dass es verfassungsrechtlich geboten sei, die Grundsätze des Beschlusses vom 6. Dezember 2005 auf Erkrankungen zu erstrecken, die wertungsmäßig mit lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankungen vergleichbar sind. Es würde auch dem Ausnahmecharakter eines verfassungsunmittelbaren Anspruchs nicht gerecht, ihn in großzügiger Auslegung der Verfassung zu erweitern und so die sozialstaatliche Gestaltungsbefugnis des Gesetzgebers außer Acht zu lassen."

Eine ähnliche Argumentation wiederholte das Bundesverfassungsgericht 2020 in dem Beschluss BVerfG, Entscheidung vom 30.07.2020 - 1 BvR 1082/20.


Gerichtsurteile und Beschlüsse zum NUB-Begriff im Vorfeld des "Nikolaus-Beschlusses"

Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16.09.1997, Aktenzeichen 1 RK 32/95:

Zitat aus dem Urteilstext:

"Als noch nicht zur vertragsärztlichen Versorgung gehörig und damit "neu" iS des § 135 Abs 1 SGB V sieht der Bundesausschuss gemäß Ziff. 5 der NUB-RL solche Untersuchungs- und Behandlungsmethoden an, die noch nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistungen im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM-Ä) enthalten oder die dort zwar aufgeführt sind, deren Indikationen aber eine wesentliche Änderung oder Erweiterung erfahren haben (zu letzterem vgl Urteil des 6. Senats des BSG vom 20. März 1996 - BSG SozR 3-5533 Nr 3512 Nr 1 S 2 ff; zum Verhältnis von NUB-RL und EBM-Ä ferner BSGE 79, 239 = SozR 3-2500 § 87 Nr 14). Ob allein durch die Prüfung anhand des EBM-Ä alle noch nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zählenden neuen Methoden verläßlich erfaßt werden können oder ob es, etwa im Streit um die Anerkennung einer neuartigen Arzneimitteltherapie, weiterer Kriterien bedarf, braucht aus Anlaß des vorliegenden Rechtsstreits nicht entschieden zu werden."

Am 16.09.1997 wurden vom Bundessozialgericht insgesamt fünf Urteile zu "NUB" ausgesprochen, die in der Folge von verschiedensten Seiten intensiv und kontrovers diskutiert wurden.

Eines der fünf Urteile, mit dem Aktenzeichen "1 RK 28/95", war später Gegenstand des Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG), das zum Beschluss vom 6. Dezember 2005 und zur Zurückverweisung des Falles an das BSG führte. Dieser Beschluss wird seither allgemein als "Nikolausbeschluss" bezeichnet.

In dem vom Bundesverfassungsgericht zurückverwiesenen Fall wurde im Nachgang zu dem "Nikolausbeschluss" am 27.03.2006 ein Vergleich abgeschlossen, der eine teilweise Kostenerstattung für so genannte "immunbiologische Therapien" durch die involvierte Krankenkasse beinhaltete. Der Volltext des Urteils ist im Internet nicht veröffentlicht; es wurde vom BSG jedoch eine "Pressemitteilung Vergleich Az: B 1 KR 28/05 R" (PDF) herausgegeben.


Suche in der Urteilsdatenbank des BSG (1. Senat) zu Krankenversicherung und Grundrechtsfragen. (Tipp: Eingabe von Aktenzeichen "B 1 KR" und Eingabe von Text "tödlich")
Entscheidungen und Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts zu tödlichen Erkrankungen seit Januar 2005


Siehe auch:

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