NUB im ambulanten Bereich

Erstellt am 04 Aug 2010 12:26 - Zuletzt geändert: 24 Mar 2020 09:41

Im Unterschied zur Umgangssprache bedeutet im Sozialrecht die Zuordnung einer Untersuchungsmethode oder eines Behandlungsverfahrens zu einer "Neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode (NUB)", dass es sich um eine Leistung handelt, die formal nicht im Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) enthalten ist.
Daher können auch sehr alte und schon lange bekannte Methoden, wie z.B. die Akupunktur, in bestimmten Indikationen sozialrechtlich als "NUB" anzusehen sein.

Die Ausgrenzung von "NUB" aus dem Katalog der medizinischen Leistungen, die von den Gesetzlichen Krankenkassen bezahlt werden, betrifft überwiegend den ambulanten, "vertragsärztlichen" Bereich.

Eine generelle Aufnahme von "NUB" in den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenkassen kann für den ambulanten, "vertragsärztlichen" Bereich dadurch ermöglicht werden, dass die medizinische Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit des jeweiligen Verfahrens in einem formalisierten Verfahren für den Einsatz zu Lasten der GKV geprüft und bestätigt wird.

Allerdings wurden und werden nicht alle Methoden einer solchen formalisierten Überprüfung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) unterzogen.

Insbesondere blieben zunächst alle Leistungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V bereits Kassenleistung waren, auch weiterhin Leistungen der GKV und galten somit als "anerkannte Leistungen".
Der Zeitpunkt des ersten Inkrafttretens des § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V war der 1.1.1989. Zu diesem Zeitpunkt ist erstmals das SGB V und mit diesem auch die erste Fassung des § 135 in Kraft getreten, wie der Präambel des SGB V zu entnehmen ist ("Das G ist gem. Art. 79 Abs. 1 G 860-5-1 v. 20.12.1988 I 2477 (GRG) am 1.1.1989 in Kraft getreten").
Somit können nur solche Methoden sozialrechtlich als "Neue Methoden" oder "NUB" eingestuft werden, die erst nach dem 1.1.1989 eingeführt wurden bzw. werden sollten.
Quelle dieser Information: BSG-Urteil B 6 KA 48/09 R vom 13.10.2010.
Dort heißt es in Ziffer 26:

"Neu ist eine Behandlungsmethode zunächst dann, wenn sie erst nach Inkrafttreten des § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V - also erst in der Zeit seit dem 1.1.1989 - als kassen- bzw vertragsärztliche Behandlungsmethode praktiziert worden ist."

Somit ist der 1.1.1989 ein "Grenzdatum": Alle Methoden, die bis zu diesem Datum im Leistungskatalog enthalten waren (einschließlich Rezepturen und Hilfsmittel) waren und sind primär keine NUB.
Die entsprechenden Leistungen können nur nachträglich vom G-BA überprüft und nachträglich vom Leistungskatalog ausgeschlossen werden. Ohne G-BA-Überprüfung handelt es sich bei entsprechenden "alten" Leistungen weiterhin um Kassenleistungen.
Neue Verfahren können dessen ungeachtet auch heute noch ohne Überprüfung durch den G-BA in den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenkassen gelangen; z.B. in Form von

Laborleistungen werden im Prinzip ausschließlich in den Verhandlungen des Bewertungsausschusses in neue Revisionen des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) aufgenommen.
Aber auch andere Leistungen (Methoden) sollen gemäß der gesetzlichen Regelungen in § 87 SGB V vorrangig durch den Bewertungsausschuss in den EBM aufgenommen werden.
Konkret regelt § 87 Abs. 3e Satz 1 und 4 SGB V seit einer Änderung des SGB V am 23.07.2015 die Aufnahme neuer Leistungen (Methoden) in den EBM folgendermaßen:

1Der Bewertungsausschuss beschließt
1. bis spätestens zum 31. August 2017 eine Verfahrensordnung, in der er insbesondere die Antragsberechtigten, methodische Anforderungen und Fristen in Bezug auf die Vorbereitung und Durchführung der Beratungen sowie die Beschlussfassung über die Aufnahme in den einheitlichen Bewertungsmaßstab insbesondere solcher neuer Laborleistungen und neuer humangenetischer Leistungen regelt, bei denen es sich jeweils nicht um eine neue Untersuchungs- oder Behandlungsmethode nach § 135 Absatz 1 Satz 1 handelt, …
4Der Bewertungsausschuss ist verpflichtet, im Einvernehmen mit dem Gemeinsamen Bundesausschuss hinsichtlich einer neuen Leistung auf Verlangen Auskunft zu erteilen, ob die Aufnahme der neuen Leistung in den einheitlichen Bewertungsmaßstab in eigener Zuständigkeit des Bewertungsausschusses beraten werden kann oder ob es sich dabei um eine neue Methode handelt, die nach § 135 Absatz 1 Satz 1 zunächst einer Bewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss bedarf.

Wer eine Auskunft beim Bewertungsausschuss (und damit ggf. auch eine Einstufung einer Methode hinsichtlich ihrer sozialrechtlichen Wertung als "NUB" oder "Nicht-NUB" anregen) erfragen darf, regelt § 87 Abs. 3e Satz 5 SGB V:

5Eine Auskunft können pharmazeutische Unternehmer, Hersteller von Medizinprodukten, Hersteller von Diagnostikleistungen und deren jeweilige Verbände, einschlägige Berufsverbände, medizinische Fachgesellschaften und die für die Wahrnehmung der Interessen der Patientinnen und Patienten und der Selbsthilfe chronisch kranker und behinderter Menschen auf Bundesebene maßgeblichen Organisationen nach § 140f verlangen.

Die Verfahrensordnung des Bewertungsausschusses listet keine darüber hinausgehenden Antragsberechtigten auf - insbesondere nicht den GKV-Spitzenverband oder sonstige Kassen-Verbände oder gar einzelne Krankenkassen. Dies lässt die Frage offen, wie eine einzelne Krankenkasse entscheiden soll, ob eine neue Methode als "NUB" nach § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V einzustufen ist oder nicht.

Für "NUB", die der Gemeinsame Bundesausschuss nach § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V bewertet und in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V positiv empfohlen hat, regelt § 87 Abs. 5b Satz 1 SGB V folgendes:

1Der einheitliche Bewertungsmaßstab für ärztliche Leistungen ist innerhalb von sechs Monaten nach Inkrafttreten der Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 5 in Verbindung mit § 135 Absatz 1 anzupassen.

Ist eine Behandlung oder Untersuchung als "Neue Untersuchungs- oder Behandlungsmethode" oder "NUB" eingestuft; wurde aber vom Gemeinsamen Bundesausschuss (noch) nicht positiv bewertet, gehört die Behandlung oder Untersuchung gemäß Sozialgesetzbuch V in der ambulanten Versorgung nicht zum (Regelfall-)Leistungskatalog der GKV. Solange sie aber vom G-BA nicht negativ bewertet wurde, ist sie damit noch nicht ausgeschlossen gemäß § 135 SGB V von den Leistungen, deren Kosten die Krankenkasse für ihre Versicherten übernehmen dürfen - sie ist aber auch noch nicht eingeschlossen in den Regelleistungskatalog. D.h., sie kann nur auf anderem Wege eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung sein; nicht im Rahmen der normalen Regelversorgung.

Für die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung bei neuen Methoden besteht eine umfangreiche Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG). Bereits 1995 hatte des BSG in einem damals viel beachteten Urteil (BSG 1 RK 6/95) Anforderungen an Wirksamkeitsnachweise für Methoden formuliert, wenn diese in die Leistungspflicht der GKV fallen sollten.
Der zweite Leitsatz des Urteils von 1995 lautete:

"Eine Leistungspflicht der Krankenkassen für eine Behandlungsmethode, die von den Bundesausschüssen der Ärzte und Krankenkassen bisher nicht empfohlen worden ist, kommt nur in Betracht, wenn sich die Wirksamkeit der neuen Behandlungsmethode aufgrund wissenschaftlich geführter Statistiken in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen nachweisen lässt und gegen die Qualität der Methode - auch unter Berücksichtigung eventueller Nebenwirkungen - keine durchgreifenden Bedenken bestehen."


Unter speziellen Voraussetzungen (im Einzelfall) können auch vom Gemeinsamen Bundesausschuss nach § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V ausgeschlossene "Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB)" - abweichend von der grundsätzlichen (Regelfall-)Regelung - in Einzelfällen von den gesetzlichen Krankenkassen nach § 2 Abs. 1a SGB V übernommen werden.

Für die Gutachter der Medizinischen Dienste war von der "Sozialmedizinischen Expertengruppe Methoden- und Produktbewertung" (SEG 7) im Jahr 2008 eine Begutachtungsanleitung "Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB)" erarbeitet und vom GKV-Spitzenverband als Richtlinie nach (damaligem) § 282 SGB V beschlossen worden.
Diese Begutachtungsanleitung ging und geht logischerweise nicht auf später in das Sozialgesetzbuch V eingefügte Änderungen ein; speziell enthält die Begutachtungsanleitung keine Hilfestellungen zum Umgang mit § 2 Absatz 1a SGB V (Problematik der "wertungsmäßigen Gleichstellung") und § 87 Absatz 3e SGB V (Problematik der Definition einer "NUB").

Seit dem 01.01.2022 obliegt es dem als Nachfolger des MDS neu errichteten Medizinischen Dienst Bund, Richtlinien für die Begutachtung der Medizinischen Dienste aufzustellen.
Dem Gesetz ist nicht zu entnehmen, ob es dem Medizinischen Dienst Bund gestattet ist, die Richtlinien des GKV-Spitzenverbandes eins-zu-eins zu übernehmen.

NB: Eine Ausnahme von dem leistungsrechtlichen Ausschluss einer "NUB" kann im Einzelfall nach der Rechtsprechung z.B., unabhängig von den Kriterien des § 2 Absatz 1a SGB V, auch erforderlich sein, wenn eine schwerwiegende Erkrankung so selten ist, dass eine Erforschung schlechterdings unmöglich wäre (B 1 KR 27/02 R - Visudyne bzw. Photodynamische Therapie).

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