Zytokintherapie nach Dr. Klehr

Erstellt am 04 Jul 2011 15:46
Zuletzt geändert: 21 Sep 2020 20:58

In den 80er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts begann in der Onkologie die sogenannte Zytokinära, in welcher verschiedene Tumore - wie das metastasierte klarzellige Nierenzellkarzinomoder auch maligne Melanome - mittels unspezifischer Immuntherapie behandelt wurden.

Vor diesem Hintergrund entwickelte der deutsche Dermatologe Dr. Nikolaus Klehr eine Form der Eigenbluttherapie, die er als Zytokintherapie, ursprünglich als "Autologe Target-Cytokin-Behandlung (ATC)" und später als „Tumorspezifische Immuntherapie (TSIT)“ bezeichnete.

Auf der Homepage des Dr. Klehr Institut für Immunologie und Zellbiologie werden diese Therapiemethoden nach wie vor beworben.

Die Internet-Präsenz des „Dr. Klehr Institut für Immunologie und Zellbiologie“ enthält Auszüge aus einem Buchbeitrag und eine Seite „Therapieprinzip“. In diesen Informationen werden Begrifflichkeiten verwendet wie „Eigenbluttherapie […] in der Erfahrungsheilkunde“, „Therapie mit Eigenblut (in Form intra- und postoperativer autologer Transfusionen)“, „Therapie mit Humaneigenblutcytokinen“ und „Eigenblutzytokine[n]“. Die Therapie sollen mittels "Anti-Tumor-Wirkstoffen" (Zytokinen) erfolgen, die von patienteneigenen "weißen Blutkörperchen im Labor gebildet worden sind".

Mit Datum vom 10.12.1999 (gültig seit dem 22.03.200) hatte der Gemeinsame Bundesausschusses (damals Bundesausschuss Ärzte Krankenkassen) die ATC-Therapie negativ bewertet und von der Möglichkeit der Abrechnung im vertragsärztlichen Rahmen ausgeschlossen.

Eine Aufklärung über ein Therapieverfahren, dass sich im Grundsatz von der autologen Cytokin Therapie (ATC, Schreibweise getrennt oder zusammen, mit „c“ oder „z“, wird auf den Internetseiten Dr. Klehrs wie auch in seinem Schreiben uneinheitlich verwendet) unterscheidet, findet sich auf den Internetseiten des „Dr. Klehr Institut für Immunologie und Zellbiologie“ nicht.

Dr. Klehr hat eine Internetseite veröffentlicht, die unter der Adresse „www.wikipedia-warnung.de“ aufzurufen ist. Auf dieser Webseite heißt es u.a.:
Klehr’s patentiertes Therapiekonzept einer Tumorspezifischen Immuntherapie ist eine spezielle Form einer Eigenbluttherapie … Neben seiner ACT-TSIT-Therapie bietet Klehr auch Testverfahren für Krebs an.
Der Darstellung auf dieser, von Dr. Klehr selbst publizierten Internetseite folgend handelt es sich bei der Tumorspezifischen Immuntherapie und der Autologen Target-Cytokin-Therapie um ein- und dasselbe Verfahren.

Anhand von Herrn Dr. Klehr selbst veröffentlichten Informationen ist von einer methodischen Gleichartigkeit und Gleichwertigkeit der Tumorspezifischen Immuntherapie (TSIT) und der Autologen Target-Cytokin-Behandlung (ATC) auszugehen.

Insofern gilt, dass grundsätzlich die vorliegende Negativbewertung der ATC durch den G-BA auf die TSIT zu übertragen ist bzw. dass es sich hier um ein- und dieselbe, negativ bewertete Methode handelt.

Aus gutachterlicher Sicht ergibt sich der Verdacht, dass durch die von Herrn Dr. Klehr verwendete unterschiedliche Nomenklatur für ähnliche Verfahren bewusst eine Unsicherheit zur Beurteilung des Verfahrens erzeugt wird, so dass die sozialmedizinische Bewertung erschwert wird1. Gleichwohl kann es dahingestellt bleiben, um welche Methode es sich handelt - ob es sich um die ATC und somit um eine durch Beschluss des G-BA ausgeschlossene Methode handelt oder ob die Therapie als TSIT oder Dendritische Zelttherapie oder sonstige "neue Immuntherapie" zu bezeichnen ist, denn in allen diesen Fällen wäre von einer so genannten "Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode" (NUB) auszugehen, für die es bisher keinen Wirksamkeitsnachweis gibt bzw. die im Regelfall keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung darstellt.

Dr. Klehr führt unter anderem als Vorteil seiner Methode an, dass die Behandlung mit der Tumorspezifischen Immuntherapie (TSIT oder ATC) wirtschaftlicher sei als die vertraglichen Verfahren.

Die Frage, ob die TSIT oder ATC wirtschaftlicher ist als vertragliche Verfahren, könnte aber erst dann Gegenstand gutachterlicher Betrachtung sein, wenn eine mit vertraglichen Methoden vergleichbare Wirksamkeit bereits einwandfrei belegt wäre.

Herr Dr. Klehr spricht auf seiner Internetseite von einer "positiven Wirksamkeit der Therapie". Diese sei belegt durch eine Studie von "Prof. Kiesewetter 1998". Hierbei handelt es sich nicht um eine nachvollziehbare wissenschaftliche Quelle. Eine Publikation dieser so genannten Studie in einem anerkannten Fachjournal ist nicht erfolgt.

Die Internetseite des Dr. Klehr Instituts führt insgesamt 38 Publikationen mit „Klehr“ als Autor bzw. Mitautor auf. Davon sind alle Arbeiten bis auf drei älter als 1999; die meisten Arbeiten behandeln nicht-immunologische Themen. Keine Arbeit wurde in einem international anerkannten Fachjournal mit einer wissenschaftlichen Qualitätsprüfung (so gen. "Peer Review") veröffentlicht.
Bei einer Internetrecherche in der weltgrößten Datenbank medizinischer Fachliteratur, der MEDLINE, unter den Stichworten „Tumortherapie“ und „Klehr“, bzw. bei Suche nach dem Autor Nikolas Klehr, ergaben sich insgesamt fünfzehn Publikationen. Davon betreffen lediglich vier irgendeine Form eines bösartigen Tumors:

  • Wiskemann A, Sturm E, Klehr NW. Fluorescent lighting enhances chemically induced papilloma formation and increases susceptibility to tumor challenge in mice. J Cancer Res Clin Oncol. 1986;112(2):141-3. doi: 10.1007/BF00404397. PMID: 3095330.
  • Worret WI, Klehr NW, Bretz S, Strauss P. "Semimalignes" Osteoma cutis. Hautarzt. 1981 Aug;32(8):413-6. German. PMID: 7275572.
  • Klehr N, Schaeg G, Nasemann T. Cancer en cuirasse, induziert durch einen malignen Tränendrüsenmischtumor. Hautarzt. 1979 Jun;30(6):299-305. German. PMID: 88426.
  • Klehr N. Rhabdomyosarkom der Haut - Tumor-Einzelzellverhalten in vitro. Z Hautkr. 1978 Dec 1;53(23):887-92. German. PMID: 726545.

Eine Beteiligung Dr. Klehrs an der fachlichen, wissenschaftlichen Diskussion im Bereich der Tumorimmunologie ist anhand der Publikationstätigkeit Dr. Klehrs nicht gegeben.
Keine der Publikationen auf der Homepage des Dr. Klehr Instituts liefert nachvollziehbare, wissenschaftliche Erkenntnisse hinsichtlich der Wirksamkeit der Tumorspezifischen Immuntherapie oder der ATC-Therapie oder auch nur nachvollziehbare Hinweise zu Methodik und Herstellungsverfahren.

Der Arzneimittelbrief schrieb bereits 19972 zu der "Zytokintherapie nach Klehr":

"Immuntherapeutische antineoplastische Wirkungen werden einer Vielzahl von Medikamenten oder Verfahren zugeschrieben. Ein "gutes Immunsystem", das gegen Krebszellen aktiv wird, kommt der Vorstellungswelt vieler Menschen entgegen. Patienten aller obengenannten Krankheitsstadien sind deswegen leicht davon zu überzeugen, daß eine Stimulation des lmmunsystems Krebs verhüten und heilen kann. Fortschritte, nicht aber Rückschläge und Enttäuschungen wissenschaftlich fundierter und geprüfter Immuntherapien, werden dabei flexibel in die Argumentation einbezogen, wobei dem oberflächlichen Leser von Firmenprospekten durch die in pseudowissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlichten Arbeiten wissenschaftliche Qualität suggeriert wird. Dabei zeigt sich der Wunsch vieler Außenseiter, selbst ein Teil der heftig kritisierten Schulmedizin zu sein. Wer mit den Grundlagen des komplexen lmmunsystems der höheren Organismen vertraut ist, kann ohne Schwierigkeit erkennen, daß die Fachsprache der modernen Tumorimmunologie dazu verwendet wird, ein unzulässig vereinfachtes und von der biomedizinischen Realität weit entferntes Modell zu beschreiben, dessen Verwendung als Grundlage immuntherapeutischer Interventionen ungeeignet ist. Immuntherapeutische Außenseiter vermeiden die Diskussion des Begriffs der immunologischen Spezifität oder schaffen eigene Spezifitätsbegriffe, wie dies z.B. Klehr (…) für die Zytokine tut, die ja gerade die Epitop-unspezifische Endstrecke einer antigenspezifischen Immunreaktion darstellen. Dem Einwand, daß die in den autologen Zytokinpräparationen enthaltenen Dosen um Größenordnungen unter den in Studien geprüften und als Fertigarzneimittel zugelassenen Zytokinpräparaten liegen, begegnen sie mit der unrichtigen Unterscheidung von "natürlichen" und "künstlichen" Zytokinen. Häufig wird behauptet, daß die bei höher dosierter antineoplastischer Chemotherapie entstehende lmmunsuppression das Entstehen und das Wachsen von Metastasen fördere, und daß deswegen anstelle oder nach Chemotherapie eine immunrestaurative Behandlung nötig und antineoplastisch wirksam sei. Diese Überlegung hat zu zahlreichen, bisher allerdings überwiegend erfolglosen Versuchen einer immuntherapeutischen Konsolidations- und Erhaltungstherapie Anlaß gegeben. Für die bereits theoretisch sehr unwahrscheinliche Annahme, daß die hier angesprochenen immuntherapeutischen Außenseiterverfahren über die genannten Mechanismen die Prognose von Krebskranken verbessern, gibt es keinen empirischen Anhalt."

Auch heute (2015), beinahe 20 Jahre nach Veröffentlichung des entsprechenden Arzneimittelbrief-Artikel, sieht es so aus, als ob die dort getroffenen Aussagen Bestand haben.


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