Molekulargenetische Untersuchungen

Erstellt am 17 Sep 2015 20:22
Zuletzt geändert: 29 Nov 2022 14:21

Abgrenzung / Begriffsklärung

Die Molekulargenetik umfasst eine ständig wachsende und sich ausdifferenzierende Anzahl von Einzelmethoden.
Zu diesen gehören u.a. (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):

Array-CGH, Matrix-CGH, aCGH, DNA-Mikro-Array, Gen-Array, Chip-CGH, Chipdiagnostik, DNA-Chip, Biochip, Genom-Chip, Gen-Chip, Genexpressionsprofil, komparative genomische Hybridisierung auf einem Chip, genomweite Hybridisierung, DNA-Sequenz-Analyse, Oligonukleotid -Array-Sequenz-Analyse; genomische Hybridisierung, Transkriptomanalyse, Transkriptionsanalyse, Genexpressionsanalyse, Gensignatur, Genprofil, Onkobiogramm, molekulare Zytogenetik, Genregulation, Untersuchung auf Nukleotidpolymorphismen, Untersuchung auf Copy-number-variations (CNV), Untersuchung auf Single-nucleotide-polymorphisms (SNP); konventionelle "Sequenzierung nach Sanger"; Next Generation Sequencing (NGS), Panel-Diagnostik auf NGS-Basis, Hochdurchsatzsequenzierung …

Beschreibung / Funktionsprinzip / Hintergrund

Von wachsender Bedeutung sind insbesondere die neuen bzw. "modernen" Methoden der Chip- und Panel-Diagnostik. Hier liegen auch die größten Nutzen- und Risiko-Potentiale, wobei die Risiken neben der Kostenseite dieser Untersuchungen vor allem ethische und sozialmedizinische Fragen (also auch Fragen der Verwertbarkeit der Ergebnisse, des konkreten gesundheitlichen Nutzens) betreffen.
So ist z. B. für die moderne Methode des "Next Generation Sequencing" (NGS) die Genauigkeit je einzelner DNA-Base geringer, als die der bislang überwiegend verwendeten Sanger-Technik.
Sowohl das Next Generation Sequencing (NGS) als auch die Anwendung komplexer Gen-Chips benötigen eine qualitätsgesicherte bioinformatische Infrastruktur für die Auswertung und Interpretation der Daten, um zu verwertbaren Ergebnissen zu kommen.
Der wachsende Einsatz speziell der modernen Methoden der Genanalyse bzw. Mutationsanalyse geht auf der einen Seite mit hohen Kosten einher, birgt aber auf der anderen Seite ein Potential für erhebliche gesundheitliche Verbesserungen und auch mögliche langfristige Einspareffekte aufgrund frühzeitigerer und gezielterer Behandlungen.
Derzeit ist noch nicht absehbar, an welchen Stellen und in welchem Umfang den allgemeinen Kosten Einsparungen innerhalb des Gesundheitssystems gegenüberstehen werden. In Einzelfällen wurden echte gesundheitliche Vorteile aber schon realisiert.

Indikation

Diagnostische genetische Untersuchungen:

  • zur Bestätigung einer Verdachtsdiagnose
  • Abklärung einer gesundheitlichen Störung ohne konkrete Hinweise auf eine Verdachtsdiagnose
  • Therapieplanung:
    • Feststellung der Eignung einer bestimmten Therapie, deren Wirkung an bestimmte genetische Ausprägungen oder Genmutationen gebunden ist.
    • Arzneimittelwirkstoffe, vor deren Anwendung ein Gentest vorgeschrieben ist oder zumindest empfohlen wird (sog. "Companion Diagnostics").

Prädiktive genetische Untersuchungen:

  • im Rahmen der Familienplanung
    • Frage des Wiederholungsrisikos bei zukünftigen Kindern (Heterozygotentest)
    • im Vorfeld einer Pränataldiagnostik
  • als prädiktive humangenetische Diagnostik im Hinblick auf zukünftige Krankheitsrisiken, z.B. eine Disposition für Krebserkrankungen.

EBM seit 01.07.2016:

Berücksichtigung des GenDG

Gebührenordnungspositionen mit Beratungsinhalten zu genetischen Untersuchungen im obligaten Leistungsinhalt sind im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) u.a. im Abschnitt 11 sowie im Abschnitt 8.5 in den Gebührenordnungspositionen 08570 und 08572 enthalten.
NB: In dem Abschnitt 1.7.4 - Mutterschaftsvorsorge finden sich keine molekulargenetischen Untersuchungen abgebildet; lediglich die humangenetische Beratung und pränatale zytogenetische Untersuchung(en) im Rahmen der Mutterschaftsvorsorge werden dort angeführt.

Die Gebührenordnungspositionen 08570 und 08572 dürfen laut Präambel des Abschnitts 8.5 des EBM von Ärzten mit der Gebietsbezeichnung Humangenetik und /oder von Ärzten mit der Zusatzbezeichnung medizinische Genetik abgerechnet werden.

Alle anderen Gebührenordnungspositionen, die eine Beratungspflicht gemäß Gendiagnostikgesetz auslösen - wie beispielsweise eine Amniozentese - können prinzipiell nur von Ärzten mit der Gebietsbezeichnung Humangenetik durchgeführt werden, wobei die Beratungspflicht auch durch eine Mit- und Weiterbehandlung auf Überweisung erfüllt werden kann.

Neue Sichtweise

Der EBM folgt seit 01.07.2016 einer grundsätzlich neuen Sichtweise:
Die Leistungsbeschreibungen der Gebührenordnungspositionen orientieren sich künftig an dem zugrunde liegenden Mutationsmechanismus. Damit wurde die bisherige methodische von einer pathogenetischen Beschreibung abgelöst. Die fachlichen Anforderungen für die Abrechnung von Leistungen der konstitutionellen und tumorgenetischen Diagnostik bleiben jedoch im Prinzip unverändert.

• Konstitutionelle genetischen Diagnostik im neu gefassten Abschnitt 11. 4 "In-vitro-Diagnostik konstitutioneller genetischer Veränderungen"
• Tumorgenetischen Diagnostik: Leistungen überführt in neuen Abschnitt 19.4 "in-vitro-Diagnostik tumorgenetische Veränderungen" im Kapitel 19

- Die ärztlichen Kosten und die Gemeinkosten der konstitutionellen und der tumorgenetischen Laborleistungen wurden in neuen Pauschalen zusammengefasst (GOP 11301 bis GOP 11303 bzw. GOP 19401 bis GOP 19403). -

Der Untersuchungsumfang der indikationsbezogenen Stufendiagnostik nach Abschnitt 11.4.2 ist abschließend und die Berechnung der Gebührenordnungspositionen setzt wie bisher die Genehmigung nach der Qualitätssicherungsvereinbarung Molekulargenetik voraus.

• Die Diagnostik konstitutioneller genetischer Veränderungen bei "nicht seltenen" Erkrankungen kann mit den Gebührenordnungspositionen des Unterabschnitts 11.4.4 berechnet werden. Untersuchungen krankheitsauslösender oder krankheitsrelevanter Mutationen sind damit bei medizinischer Notwendigkeit auch ohne den Verdacht auf eine syndromale oder seltene Erkrankung grundsätzlich berechnungsfähig.

Voraussetzungen für die Erteilung einer Genehmigung für die Abrechnung molekulargenetischer GOPen sind dem EBM nicht zu entnehmen.
Mittlerweile ist ein Terminbericht zu einer Klage (B 6 A 1/19 R) zur Genehmigungspflicht molekulargenetischer Untersuchungen auf den Seiten des Bundessozialgerichts verfügbar. Diesem kann folgendes entnommen werden:

Das Verfahren B 6 A 1/19 R ist vor der mündlichen Verhandlung übereinstimmend von den drei Beteiligten in der Hauptsache für erledigt erklärt worden.

Leistungspflichten der GKV - grundsätzliche Betrachtungen

Hinsichtlich der Frage, ob genetische Untersuchungen Leistungen der Krankenbehandlung im Sinne des § 27 Abs. 1 SGB V darstellen, ist zwischen diagnostischen genetischen Untersuchungen und prädiktiven genetischen Untersuchungen zu differenzieren.

a) Diagnostische genetische Untersuchungen sind dann notwendiger Teil der Krankenbehandlung, wenn sie zur Abklärung einer bestehenden Erkrankung oder gesundheitliche Störung eingesetzt werden (spez. "Companion Diagnostic").
Hierzu gehören z.B. erforderliche Untersuchungen vor Einsatz eines gegen eine bestimmte Genmutation im Tumor gerichteten Antikörpers; beispielsweise BRCA1-Untersuchung vor Beginn einer Therapie mit Olaparib.
Auch vorgeburtliche Untersuchungen können Leistungen der GKV sein.
Hierzu formulierte der Bewertungsausschuss in dem 404. Beschluss vom 01.04.2017:

Bis zum Abschluss der gesellschaftlichen Erörterung sind die Gebührenordnungspositionen 11502, 11503, 11513 und 11514 im Ausnahmefall bei medizinischer Notwendigkeit auch vorgeburtlich berechnungsfähig und nach Maßgabe der Kassenärztlichen Vereinigungen mit dem Buchstaben V zu kennzeichnen. Die medizinische Notwendigkeit muss einzelfallbezogen bei der Abrechnung gegenüber der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung schriftlich nachgewiesen werden. Bis zum Inkrafttreten des Beschlusses zur Weiterentwicklung des EBM gemäß Satz 1 der Protokollnotiz Nr. 1, ist für eine vorgeburtliche Durchführung gemäß § 15 Abs. 1 GenDG für die Leistung nach der Gebührenordnungsposition 11514 keine vorherige Genehmigung durch die Krankenkasse erforderlich.

b) Prädiktive Untersuchungen sind grundsätzlich ebenfalls in der vertragsärztlichen Versorgung abrechenbar, da die Gebührenordnungspositionen des EBM zur Abrechnung von genetischen Leistungen die Durchführung in prädiktiven Zusammenhängen nicht ausschließen.

  • Voraussetzung dafür, dass prädiktive genetische Untersuchungen Maßnahmen der Krankenbehandlung im Sinne des § 27 Abs. 1 SGB V darstellen, ist das Vorliegen einer Krankheit.
  • Leistungen, die notwendig sind, Krankheiten zu verhüten, können gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 3 SGB V ebenfalls Ansprüche der Versicherten begründen. Eine solche Notwendigkeit ist gegeben, wenn die gesundheitliche Situation eines/einer Versicherten ohne die prädiktive Untersuchung in eine behandlungsbedürftige Krankheit (nach § 27 Abs. 1 SGB V) übergehen würde.
  • Leistungen zur Früherkennung von Krankheiten nach § 25 SGB V könnten prinzipiell auch in Form von genetischen Untersuchungen in Frage kommen. Allerdings führt z. B. die Krebsfrüherkennungs-Richtlinie genetische Untersuchungen bisher nicht auf. Risikoadaptierte Früherkennungsprogramme gemäß Empfehlungen des Nationalen Krebsplans sehen jedoch bereits heute teilweise auch genetische Untersuchungen bestimmter Risikopersonen vor (Beispiel: Untersuchung auf BRCA1-bei familiärem Mammakarzinom).

Die meisten molekulargenetischen Tests können sowohl diagnostisch als auch prädiktiv angewendet werden. Besteht eine spezifische Gebührenordnungsposition im EBM für einen Test auf das Vorliegen einer bestimmten Mutation bei einer Erkrankung, so muss dies noch nicht zwingend bedeuten, dass dieser Test auch mit prädiktiver Zielsetzung nach dieser EBM-Position abgerechnet werden darf.

Grundsätzlich müssen alle genetischen Leistungen, diagnostische sowie prädiktive, den allgemeinen Bestimmungen der §§ 12 Abs. 1, 2 Abs. 1 S. 3 SGB V entsprechen.

"NUB"-Status

Früher wurde die Hochdurchsatzsequenzierung (NGS) als "NUB" angesehen, da die Leistungen bis 01.07.2016 nicht im EBM abgebildet waren bzw. Gensequenzierungen ausdrücklich auf die veraltete Sanger-Sequenzierung begrenzt waren.

Seit 01.07.2016 werden verschiedenste molekulargenetische Methoden im EBM aufgeführt. Ein formales Beratungsverfahren im Gemeinsamen Bundesausschuss zu den jeweiligen Methoden hat niemals stattgefunden.
Der Verzicht auf ein Beratungsverfahren nach § 135 SGB V lässt die Frage aufkommen, ob es sich bei den diversen molekulargenetischen Diagnostik-Methoden überhaupt jemals um "NUB" gehandelt hat. Für die Einschätzung als "NUB" würde zwar sprechen, dass die Methoden über Jahre nicht über den EBM abgerechnet werden konnten. Dann wäre aber eigentlich zu fordern gewesen, dass der Gemeinsame Bundesausschuss über diese Methoden berät und eine positive Bewertung gemäß § 135 SGB V vornimmt.

  • Die Änderungen der Abrechnungspositionen der Humangenetik im EBM nach § 87 Abs. 1 Satz 1 SGB V sind derzeit vermutlich noch nicht abgeschlossen.
    • Pharmakogenetische Untersuchungen stellen derzeit nur zur Indikationsstellung einer Tumortherapie vertragsärztlichen Leistungen dar - und finden sich im Kapitel 19.4.

Alternativen

Alternativen sind vom Einzelfall abhängig.
Bei manchen seltenen Erkrankungen existiert noch gar keine Bezeichnung der Erkrankung und auch keine pathophysiologische Vorstellung zu den Krankheitsmechanismen. Hier kann eine vollständige Sequenzierung in Einzelfällen sogar dazu führen, dass eine Krankheit neu entdeckt und beschrieben werden kann. Beispiel:

Quellen

Hinweis
Alle in der Diagnostikliste des Berufsverbands Deutscher Humangenetiker (BVDH, www.hgqn.de) oder des europäischen Netzwerkes Orphanet (www.orphanet.net) aufgeführten Untersuchungen sind - bei rechtfertigender Indikation - grundsätzlich Bestandteil der Regelversorgung.

Weitere Links:

2019 wurden im nationalen Netzwerk Genomische Medizin Verträge zur Besonderen Versorgung nach § 140a SGB V über die Implementierung von molekularer Diagnostik und personalisierter Therapie bei Lungenkrebs geschlossen.

Siehe auch in diesem Wiki:


Alle medizinischen Aussagen und Informationen in diesem Wiki dienen nicht der individuellen Beratung und können und sollen eine persönliche fachliche ärztliche oder sonstige Beratung nicht ersetzen! Auch erheben die hier gemachten Aussagen keinen Anspruch auf Richtigkeit oder Vollständigkeit. Dies ist keine Gesundheitsberatungsseite und auch keine Sozialberatungsseite!



Neue Seite anlegen

Sofern nicht anders angegeben, steht der Inhalt dieser Seite unter Lizenz Creative Commons Attribution-ShareAlike 3.0 License