Kozijavkin (auch: Kozyavkin) - Rehabilitationsmethode

Erstellt am 29 Jul 2018 17:30
Zuletzt geändert: 26 Apr 2021 15:13

Einrichtungen, Behandlungsorte

Die Kozijavkin - Rehabilitationsmethode wird auch als "System der intensiven neurophysiologischen Rehabilitation nach Prof. Kozijavkin" (SINR) bezeichnet. Das Therapieverfahren wird seit Ende der 80er Jahre in einer spezialisierten Einrichtung, der so genannten "Internationalen Rehabilitationsklinik", in der Ukraine angeboten.
Daneben existiert noch das ELITA Rehabilitation Center, ebenfalls in der Ukraine.
Seit 2015 existiert auch eine Einrichtung in Zypern, die International Clinic of Medical Rehabilitation (ICMR). Diese Einrichtung befindet sich aufgrund des EU-Beitritts der Republik Zypern am 01.05.2004 in der Europäischen Union.
Allerdings handelt es sich bei der Einrichtung in Zypern um eine reine Privateinrichtung, die nicht dem Sozialversicherungssystem des EU-Mitgliedslandes Zypern angeschlossen ist. Insofern kann formal sozialrechtlich die Behandlung in dieser Einrichtung nicht mit § 13 Abs. 4 und 5 SGB V begründet werden.

Therapie-Prinzip

Hinsichtlich der pathophysiologischen Begründung der Behandlungsmethode (Rationale) geht Prof. Kozijavkin davon aus, dass der Einfluss afferenter Impulse der durch die infantile Cerebralparese (ICP) pathologisch veränderten Muskeln, Sehnen und Gelenke für eine Ver-stärkung der Dysregulation des Zentralnervensystems bedeutend sei. Durch die krankhaft veränderten Afferenzen werde die motorische und mentale Entwicklung der Patienten zusätzlich zu den zentralen Schädigungen gestört und retardiert. Ziel sei es, die pathologischen Einflüsse zu eliminieren. Zentraler Ansatzpunkt sei die biomechanische Korrektur der Wirbelsäule und der Gelenke. Dadurch werde ein neuer funktioneller Zustand im Organismus auf der Grundlage der Aktivierung von Kompensationsmechanismen sowie der Plastizität des Gehirns aufgebaut.
Als in der Regel zweiwöchig durchgeführte komplexe Therapiemaßnahme beinhaltet die Methode folgende Elemente:

  • biomechanische multisegmentale Wirbelsäulenkorrektur (Wirbelsäulendeblockierung) - eine speziell entwickelte Manualtherapie.
  • Elektrostimulation / Reflextherapie mit einem Niederfrequenzstromgerät zur Spastizitätsminderung, Eliminierung von Triggerpunkten und Korrektur autonomer Störungen sowie zum Ausgleich von Hypo- und Hypertonie der Muskulatur und Aktivierung der neuen funktionellen und physiologischen Möglichkeiten.
  • mobilisierende Physiotherapie / Krankengymnastik.
  • spezielle Gelenkmobilisierung im Rahmen einer modifizierten neurophysiologischen Korrektur.
  • Relaxations-Stimulationsmassage / Massagen.
  • Mechano- und Spieltherapien / Rhythmische Musiktherapie.
  • Mechanotherapie wie Laufbandtraining, Vibromassage, Fitneßübungen.
  • Apitherapie (Bienenwachstherapie) - lokale Applikation von Bienenwachs-Umschlägen oder - bei Gelenkkontrakturen - Injektion nach vorheriger allergologischer Testung.

Die 2-wöchige Rehabilitationsmaßnahme kann (sollte ggf.) in einem Intervall von 6 bis 8 Monaten wiederholt werden.
Der 1. Behandlungsblock wird als Adaptionsphase mit Übergang in die Mobilisationsphase betrachtet. Ein 2. Behandlungsblock wird der zusätzlichen Behandlung von Schlüsselgelenken gewidmet.

Leistungsrecht - Sozialrecht

Das Bundessozialgericht hatte in mehreren Verfahren die Leistungspflicht der Krankenkassen verneint; zuletzt mit BSG-Entscheidung vom 07. Mai 2013 (B 1 KR 26/12 R).
Leitsatz nach Datenbank des Bundesjustizministeriums "Rechtsprechung im Internet":

1. Es ist nicht zulässig, mittels grundrechtsorientierter Auslegung des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit Versicherter Schutzmechanismen zu entziehen, die die Rechtsordnung hierfür vorsieht.
2. Die grundrechtsorientierte Auslegung des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung auf Auslandsbehandlung erstreckt sich nicht auf Behandlungsmethoden, die Ärzte bei wissenschaftlicher Fundierung auch im Inland anwenden könnten, die sich aber einer möglichen und langjährig geforderten Überprüfung entziehen, indem ihre Anwender die grundsätzlich verfügbaren Daten über die Methode nicht veröffentlichen, und die dementsprechend im Inland keine wesentliche Rolle spielen.

Die Argumentation basierte auf der Einschätzung, dass die Methode Kozijavkin wissenschaftlich nicht anerkannt sei. Zitat:

Nach dem überzeugenden Ergebnis der Beweisaufnahme des LSG war die Methode Kozijavkin noch im Jahr 2005 – und darüber hinaus – nicht allgemein anerkannt. Es fehlten bis zum damaligen Zeitpunkt unabhängige Studien nach anerkannten wissenschaftlichen Standards zur Wirksamkeit der Methode. Entgegen der Auffassung des Klägers hat das LSG sich nicht allein auf deutsche Quellen beschränkt, sondern etwa über die Datenbank DIMDI internationale Publikationen einbezogen (zB Mijna Hadders-Algra, Tineke Dirks, Cornill Blauw-Hospers, Victorine de Graaf-Peters, The Kozijavkin method: giving parents false hope? The Lancet, Bd 365, Lieferung 9462, S 842, 5. 3. 2005). Die Methode Kozijavkin wird weder in Deutschland noch in anderen Ländern der EU eingesetzt.

Ein BSG-Urteil vom 13. Dezember 2005 (B 1 KR 21/04 R - Kozijavkin III) konnte sich logischerweise nicht auf die Einrichtung in Zypern beziehen, da diese damals noch nicht existierte.
Es wurde vom BSG jedoch bereits in dem damaligen Urteil angemerkt, dass sich im Lauf der Zeit neue Erkenntnisse zur Therapie nach Kozijavkin ergeben könnten. Die Richter wiesen darauf hin, dass eine Neubewertung der Kozijavkin-Therapie erforderlich werden könnte, da es nicht auszuschließen ist, dass neue Erkenntnisse zu einem anderen Ergebnis als die bislang ergangenen BSG-Urteile führen.
In der Urteilsbegründung zitierten die BSG-Richter aus einem BSG-Urteil vom 27. September 2005 ( B 1 KR 28/03 R - extrakorporale Stoßwellentherapie):

Versicherte können aus dem bloßen Umstand, dass in einem Staat außerhalb der Bundesrepublik Deutschland die Leistungserbringung in Bezug auf bestimmte Behandlungsmethoden anders gehandhabt werden als in Deutschland, keine Leistungsansprüche gegen ihre Krankenkasse herleiten.
Auch bei einer im EU -Ausland erfolgenden Behandlung deutscher Versicherter (§18 SGB V) werden die zentralen Grundsätze des deutschen Kranken-versicherungsrechts nicht außer Kraft gesetzt: Eine im EU/EWR-Inland nicht verfügbare Behandlung auf Kosten der Krankenkassen scheidet z.B. aus, wenn in Deutschland und in EU-Vertragsstaaten gleich oder ähnlich wirksame und damit zumutbare Behandlungsalternativen zur Verfügung stehen (vgl. BSG-Urteil vom 13. Dezember 2005 - B 1 KR 21/04 R - Kozijavkin III).
Der Maßstab für die Leistungspflicht nach dem SGB V besteht nämlich nicht in der Gewährleistung von "Spitzenmedizin um jeden Preis" bis an ihre medizinischtechnischen Grenzen, sondern hat sich stets an den zentralen Prinzipien der §§ 2, 12 SGB V zu orientieren. Das bedeutet, dass jeweils zu beachten und sicherzustellen ist, dass nur solche Leistungen von den Krankenkassen gewährt werden, die wirtschaftlich sind und insbesondere dem "allgemein" anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen.

Seit Eröffnung der Einrichtung in Zypern konnte die Argumentation aus dem Urteilen von 2005 nicht mehr als Argument gegen eine Leistung gesetzlicher Krankenkassen für die Kozijavkin-Therapie herangezogen werden, da es seitmehr die Möglichkeit gibt, die Kozijavkin-Therapie im EU/EWR-Inland durchzuführen. Allerdings bleiben weiter Fragen nach der Vergleichbarkeit und Sicherheit der Methode möglich; zudem kann ein Leistungsanspruch gesetzlich Krankenversicherter auf Leistungen ihrer Krankenkasse, bezüglich der Einrichtung in Zypern, nicht mit § 13 Abs. 4 und 5 SGB V begründet werden, da es sich bei der International Clinic of Medical Rehabilitation (ICMR) in Zypern nicht um eine Einrichtung handelt, die vom zypriotischen Sozialversicherungssystem anerkannt ist.

In einem Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen 4. Senat, vom24.09.2003, L 4 KR 204/00, findet man folgenden bemerkenswerten Satz:

Die Methode Dr. K entspricht ab September 1999 dem allgemein anerkannten Stand der medizinischer Erkenntnisse im Sinne des § 18 Abs. 1 Satz 1 SGB V. …

Literatur, Forschung

Vom BSG in der BSG-Entscheidung vom 07. Mai 2013 (B 1 KR 26/12 R) zitierte Literatur

  • Hadders-Algra M, Dirks T, Blauw-Hospers C, de Graaf-Peters V. The Kozijavkin method: giving parents false hope? Lancet. 2005 Mar 5-11;365(9462):842. doi: 10.1016/S0140-6736(05)71033-3. PMID: 15752521. (Volltext)

Es handelt sich hier um einen Brief an den Herausgeber des Lancet und eine Replik auf einen anderen Artikel im Lancet, der im Text der BSG-Entscheidung aber nicht angeführt wird. Die Kritik der Autoren bezog sich darauf, dass keine Evidenz in eine (englischsprachigen) Zeitschrift mit so genanntem Peer-review für die Therapiemethode gefunden worden war. Hier ist die Referenz zu dem kritisierten Original-Artikel:

  • Aris B. The Kozijavkin method. Lancet. 2004 Nov 27-Dec 3;364(9449):1927-8. doi: 10.1016/S0140-6736(04)17497-7. PMID: 15570695. (Volltext)

Zitate aus dem Volltext, übersetzt:
Kozijavkin entwickelte die Behandlungsmethode, die seinen Namen trägt, in den 1980er Jahren. Seine ersten Ergebnisse wurden 1989 auf der All-Union-Forschungskonferenz für Kinderneurologie in Vilnius veröffentlicht, … der deutsche Professor Fritz Niethard nahm die Kozijavkin-Methode 1998 in die Ausgabe seines Lexikons der Kinderorthopädie als einen der vier effektivsten Ansätze zur Rehabilitation bei Cerebralparese auf. Mehr als 15000 Kinder wurden hier seit der Eröffnung der Klinik behandelt, 7000 davon kommen aus Westeuropa. …

Reviews, HTAs

Forschungsarbeiten von Professor Koziavkin und/oder aus einer der nach Koziavkin behandelnden Einrichtungen

Methoden: Fünfundzwanzig Kinder mit CP im Alter von 5 bis 18 Jahren wurden in der International Clinic of Rehabilitation, Truskavets, Ukraine, nach dem Zufallsprinzip für die Experimental- bzw. Kontrollgruppe ausgewählt. Über einen Zeitraum von zwei Wochen erhielten alle Teilnehmer 8-9 Spielsitzungen für 15-20 Minuten, insgesamt 150-160 Minuten. Die Experimentalgruppe verwendete personalisierte Balance-Spiele, die auf der Online-Serious-Gaming-Plattform GAmification for Better LifE (GABLE) verfügbar waren. Die Kinder der Kontrollgruppe spielten Nintendo Wii-Spiele mit einer handgehaltenen Wii-Fernbedienung. Beide Gruppen erhielten die gleiche Hintergrundbehandlung. Die aufgezeichneten Ergebnismessungen bestanden aus einer Trunk Control Measurement Scale (TCMS), einem Timed Up & Go Test (TUG), einer Center of Pressure Path Length (COP-PL) und einem Dynamic Balance Test (DBT).
Ergebnisse: Nach zwei Wochen Training stiegen in der Experimentalgruppe die TCMS-Scores um 4,5 Punkte (SD = 3,5, p< 0,05) und die DBT-Ergebnisse um 0,88 Punkte (IQR = 1,03, p< 0,05), während sich diese Scores in der Kontrollgruppe nicht signifikant veränderten. Insgesamt wurden die TUG- und COP-PL-Scores in beiden Gruppen nicht beeinflusst.
Schlussfolgerung: Diese Studie zeigt eine Verbesserung der Gleichgewichtsfunktion bei Kindern mit CP nach einem zweiwöchigen Training mit personalisierten Reha-Computerspielen.

Eine randomisierte, kontrollierte Studie zum Effekt der spinalen Manipulation als Teil der kombinierten Behandlungen in International Clinic of Rehabilitation, Truskavets, Ukraine.

Bericht über eine Fallserie/Stichprobe von Patienten mit zerebraler Lähmung, die in der International Clinic of Rehabilitation, Truskavets, Ukraine behandelt wurden. Im Vorher-Nachher-Vergleich zeigte sich eine Abnahme der Spastizität der Handgelenksmuskulatur nach spinaler Manipulation (SM). Die Verringerung der Spastik wurde während der 2-wöchigen Behandlungsdauer in der Behandlungseinrichtung verstärkt.

Stiftungen und andere Einrichtungen/Personen, die die Therapie fördern oder zumindest früher gefördert haben (unvollständig!)

WebLinks

Französische Infos


Alle medizinischen Aussagen und Informationen in diesem Wiki dienen nicht der individuellen Beratung und können und sollen eine persönliche fachliche ärztliche oder sonstige Beratung nicht ersetzen! Auch erheben die hier gemachten Aussagen keinen Anspruch auf Richtigkeit oder Vollständigkeit. Dies ist keine Gesundheitsberatungsseite und auch keine Sozialberatungsseite!



Neue Seite anlegen

Sofern nicht anders angegeben, steht der Inhalt dieser Seite unter Lizenz Creative Commons Attribution-ShareAlike 3.0 License