HBO bei Tinnitus

Erstellt am 04 Jul 2011 15:17
Zuletzt geändert: 26 Sep 2015 20:44

Bei einem Tinnitus handelt es sich um ein sehr häufiges Gesundheitsproblem, das einzeln oder auch gemeinsam mit einem plötzlichen Hörverlust auftreten kann. Ein dauerhafter Tinnitus kann einen sehr starken negativen Einfluss auf die Lebensqualität nehmen. Die Krankheitsverläufe sind dabei im Einzelfall sehr unterschiedlich, von hohen Spontanheilungsraten ist auszugehen; jedoch existieren keine validen wissenschaftlichen Daten zum Verlauf dieses Symptoms / dieses Problems.

Im Einzelfall ist es in der Regl nicht möglich, zu erkennen, ob eine Besserung der Symptomatik Folge eines Spontanverlaufes oder einer Therapie ist. Grundsätzlich ist bei Tinnitus (mit oder ohne Hörsturz) außerhalb kontrollierter und randomisierter Studien der individuelle Verlauf vom Spontanverlauf niemals sicher abzugrenzen.

In der Regel führt ein Tinnitus nicht zu bleibenden Gesundheitsschäden, wie z.B. zum (vollständigen) Verlust der Sinnesfunktionen des Hörens oder zu nicht kompensierbaren Gleichgewichtsstörungen. Die Symptomatik ist in der Regel aus sozialmedizinischer Sicht einer lebensbedrohliche oder tödlichen Erkrankung nicht gleichzustellen, kann jedoch in Einzelfällen zu einer bedeutsamen Behinderung mit Einschränkungen im Berus- und Privatleben führen. In diesen Fällen ist allerdings eine Trennung vorhandener psychischer Komorbiditäten von der Tinnitus-Symptomatik hinsichtlich der Krankheits-Kausalität in der Regel nicht möglich.

Ohne relevante Komorbidität und nachgewiesene, nicht kompensierbare Einschränkung im Alltagsleben rein aufgrund der Tinnitus-Symptomatik ist aus sozialmedizinischer Sicht eine Bewertung der Problematik auf der Grundlage des Bundesverfassungsgerichtsbeschlusses vom 6.12.2005 im allgemeinen nicht erforderlich.

Zur Behandlung des Hörsturz, des Tinnitus und der Schwindelsymptomatik stehen verschiedene vertragsärztliche Methoden zur Wahl.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich sowohl beim Tinnitus als auch bei Schwindel oder Gleichgewichtsstörungen oder auch beim Hörsturz um Symptome handelt und nicht um Krankheiten. Daher ist bei Persistieren eines dieser Symptome stets eine gründliche Diagnostik inklusive neurologischer und ggf. psychiatrischer oder psychologischer Untersuchungen erforderlich.

Nach erfolgter Diagnostik und Ausschluss behandelbarer spezifischer Ursachen kommen zur Behandlung der Symptomatik in Frage:

Gezieltes Gleichgewichtstraining, Prozeduren der psychosomatischen Grundversorgung, Einsatz von in dieser Indikation ("Volumentherapie bei kochleären Durchblutungsstörungen") zugelassen Arzneimitteln (z.B. Fresenius Kabi HAES-steril® 6 %1) evtl. eine stationäre Rehabilitation sowie evtl. eine Verhaltenstherapie. Ggf. käme auch eine Hilfsmittelversorgung in Frage.

Ein grundrechtskonform erweiterter Leistungsanspruch aufgrund eines Tinnitus-Leidens wäre auch bei ausgeprägter Einschränkung im Alltagsleben nur dann in Betracht zu ziehen, wenn keine hinsichtlich Nutzen/Risiko gleichwertigen vertraglichen Methoden zur Verfügung stehen bzw. diese ausgeschöpft wurden.
Grundsätzlich stehen zur Behandlung des Tinnitus wie auch des Hörsturzes aber die oben genannten vertraglichen Behandlungsmethoden zur Verfügung.

Somit sind methodisch gut abgesicherte, wissenschaftlich begründete Nachweise für den Zusatznutzen der beantragten Methode - im Vergleich zu den vertraglich verfügbaren Methoden - zu fordern. Indizienbeweise oder Expertenmeinungen können - außerhalb verfassungsrechtlich zu begründenden Einzelfall-Situationen - keine Grundlage für eine Kostenübernahme für außervertragliche Leistungen durch die GKV sein.

In aktuellen Reviews und Metaanalysen konnten einige wenige klinische Studien zur HBO-Behandlung bei Tinnitus, Schwindel und Hörsturz gefunden werden.

In einer Metaanalyse (Conlin, 2007) konnten nur 5 randomisierte kontrollierte Studien identifiziert werden, die die geforderten Kriterien erfüllten. Diese Metaanalyse zur hyperbaren Sauerstofftherapie kommt zu dem Ergebnis, dass die routinemäßige
Behandlung mit hyperbarer Sauerstofftherapie für Patienten mit Hörsturz und Tinnitus nicht gerechtfertigt sei. Weitere Forschung sei erforderlich.

Ein HTA-Bericht, der 2008 im Auftrag des Belgischen Gesundheitsministeriums von der Organisation Centre Fédéral dê Expertise des Soins de Santé erstellt wurde (De Laet 2008) kommt zu dem Schluss, dass hinsichtlich der adjuvanten (zusätzlichen) HBO-Therapie beim Tinnitus grundsätzlich gar keine oder nur sehr niedrig-wertige wissenschaftliche Belege (Evidenz) existieren.

Für die Indikation Tinnitus wurden aus der wissenschaftlichen Datenlage Hinweise für vollständige Wirkungslosigkeit gefunden.
Bei akutem Hörverlust wurden schwache Hinweise auf mögliche Hörverbesserungen durch frühzeitige Anwendung der hyperbaren Sauerstofftherapie (HBO) innerhalb der ersten zwei Wochen nach dem ersten Auftreten der Störung gefunden.

Zwei etwas ältere Reviews aus der HNO-fachärztlichen Zeitschrift „Archives of Otolaryngology - Head & Neck-Surgery“ (Conlin et al. 2007) kommen übereinstimmend zu der Schlussfolgerung, dass die Evidenz nicht ausreichend ist, um eine allgemeine Empfehlung für den Einsatz der hyperbaren Sauerstofftherapie beim Hörsturz zu geben.

Ein Cochrane-Review aus dem Jahr 2012 (Bennet et al. 2012) kommt zu dem Schluss, dass für den Einsatz der HBO bei Tinnitus oder Hörsturz keinerlei Evidenz gefunden werden konnte und die Anwendung der Methode in diesen Indikationen nicht zu empfehlen ist.

Im Jahr 2015 wurde von der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie e. V. eine Leitlinie mit dem Titel "Chronischer Tinnitus" verabschiedet, die folgende Aussage enthält: "Ein Nutzen der Behandlung von chronischem Tinnitus mit hyperbarem Sauerstoff ist nicht belegt."

Diese aktuelle Leitlinie empfiehlt vorrangig neben einer Basistherapie mit Counseling vor allem die manualisiert-strukturierte tinnitusspezifische kognitive Verhaltenstherapie (im Einzel- oder Gruppendesign) mit validiertem Therapiemanual (z.B. nach Kröner-Herwig, 1997) zur Verfügung. Für diesen therapeutischen Ansatz existieren laut Leitlinie wissenschaftliche Belege für eine hohe Wirksamkeit in Bezug auf Tinnitusbelastung und Lebensqualität sowie auf Depressions-Scores.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass bei Tinnitus (mit oder ohne Hörsturz in der Anamnese) therapeutische Optionen im Rahmen der vertraglichen Versorgung existieren.

Bei der hyperbaren Sauerstofftherapie handelt es sich um eine Methode, für deren Wirksamkeit in der Indikation "Tinnitus", keine überzeugenden wissenschaftlichen Belege existieren.

Bibliography
1. Bennett MH, Kertesz T, Yeung P. Hyperbaric oxygen for idiopathic sudden sensorineural hearing loss and tinnitus. Cochrane Database Syst Rev. 2007 Jan 24;(1):CD004739.
2. Bennett MH, Kertesz T, Perleth M, Yeung P, Lehm JP. Hyperbaric oxygen for idiopathic sudden sensorineural hearing loss and tinnitus. Cochrane Database Syst Rev. 2012 Oct 17;10:CD004739.
3. Conlin AE, Parnes LS. Treatment of sudden sensorineural hearing loss: I. A systematic review. Arch Otolaryngol Head Neck Surg. 2007 Jun;133(6):573-81.
4. Conlin AE, Parnes LS. Treatment of sudden sensorineural hearing loss: II. A Meta-analysis. Arch Otolaryngol Head Neck Surg. 2007 Jun;133(6):582-6.
5. De Laet C, Obyn C, Ramaekers D, Van De Sande S, Neyt M. Hyperbaric Oxygen Therapy: a Rapid Assessment. Health Technology Assessment (HTA). Brussels: Belgian Health Care Knowledge Centre (KCE); 2008. KCE Reports 74C (D/2008/10.273/15).

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