HBO bei pAVK

Erstellt am 21 Sep 2015 00:45
Zuletzt geändert: 26 Sep 2015 20:44

Mustergutachten - Auszug

Grundsätzliche Erläuterungen zum Krankheitsbild:

ICD 10: I79 Krankheiten der Arterien, Arteriolen und Kapillaren bei anderenorts klassifizierten Krankheiten

Bei der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit, auch pAVK genannt, sind die Herzfernen (peripheren) Blutgefäße, vor allem der unteren Extremitäten (Beine, Becken) und zum Teil auch der oberen Extremitäten (Arme, Hände) durch Anlagerungen an den Gefäß-Innenwänden verengt. Dadurch wird bei den Betroffenen die Durchblutung gestört und es kann zu Beschwerden in Form von Schmerzen beim Laufen oder Gehen kommen. Die Verengungen der Beinarterien führen aufgrund von Schmerzen zu häufigen Gehpausen. Da die Gehpausen scheinbar der Betrachtung von Schaufenster-Auslagen dienen, führte diese Symptomatik zur Bezeichnung der Erkrankung als „Schaufensterkrankheit“ (Claudicatio intermittens).

In schweren Fällen mit fortgeschrittener arterieller Verschlusskrankheit treten Schmerzen bei den Betroffenen schon im Liegen oder Sitzen auf.

Folgen einer arteriellen Durchblutungsstörung bzw. pAVK an den Beinen können schlecht heilende (chronische) Wunden sein. Weit fortgeschrittene Gefäßverschlüssen können bei ungünstigem Verlauf zur Amputation betroffener Gliedmaßen und in der Folge zu schwerwiegenden Behinderungen führen.

Die Häufigkeit (Prävalenz) der peripheren arteriellen Durchblutungsstörung liegt (je nach Definition) bei 3–10 % der Gesamtbevölkerung, wobei der Anteil der Patienten mit einer pAVK bei über 70-jährigen Personen auf 15–20 % ansteigt. In der älteren Bevölkerung handelt es sich um ein häufiges Leiden.

In Deutschland erfolgt im Allgemeinen eine Schweregrad-Einteilung der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (PAVK) nach der Klassifikation mittels des sogenannten Fontaine-Schemas. Bei einem Fontaine-Stadium IIb ist die schmerzfreie Gehstrecke stark eingeschränkt. Erfolgt in einem Stadium ab II b keine Therapie oder ist diese nicht erfolgreich, kommt es zur Ausbildung eines Fontaine-Stadiums IV mit sogenannter Nekrosenbildung, d. h. dem Untergang von Gewebe und dem „Schwarzwerden“ von Zehen. Die Stadien III und IV nach Fontaine werden auch als kritische Minderdurchblutung (Ischämie) bezeichnet. Insbesondere im Stadium IV besteht prinzipiell ein Risiko für einen Verlust betroffener Gliedmaßen im Rahmen notwendiger Amputationen.

Nach der derzeit gültigen Leitlinien zur Diagnostik und Therapie der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK) der Deutschen Gesellschaft für Angiologie und der Gesellschaft für Gefäßmedizin (Redaktionell überarbeitete Langfassung vom 15.01.20161 ) sollte die Behandlung abgestuft und – insbesondere in fortgeschrittenen Stadien – als Ergebnis einer vernünftigen interdisziplinären, stadiengerechten Abwägung zwischen Aufwand, Risiko und Ergebnis erfolgen.

In den Anfangsstadien (Stadium I und II) wäre gemäß der genannten Leitlinie ein intensives Gehtraining als Behandlungsmethode der ersten Wahl anzusehen. Darüber hinaus sollten zum therapeutischen Konzept, in Abhängigkeit von den Ursachen der arteriellen Verschlusskrankheit, weitere Maßnahmen gehören wie z. B. das Einstellen des Rauchens, die Behandlung mit einem Thrombozytenaggregationshemmer (z. B. Aspirin®, Clopidogrel® oder andere geeignete Präpa-rate) und ggf., bei Erhöhung der Blutfett-Werte, die Behandlung mit einem Medikament aus der Gruppe der so genannten Statine (z. B. Simvastatin oder andere geeignete Wirkstoffe).

In den Fontaine-Stadien III und IV werden unter Umständen so genannte „interventionelle“, endovaskuläre Maßnahmen oder operative Vorgehensweisen erforderlich.

Dabei wird die Vorgehensweise unter anderem an der Länge der betroffenen Gefäß-Abschnitte ausgerichtet. Sind nur kürzere Strecken schwer betroffen, kann als interventionelle Maßnahme – ähnlich wie bei Herzoperationen – eine Aufweitung des Gefäßes mittels eines in das Gefäß eingeschobenen Ballons (Ballondilatation, „perkutane transluminale Angioplastie“ = „PTA“) versucht werden. Zur Stabilisierung und um zu verhindern, dass das Gefäß sich rasch erneut verengt oder verschließt, kann auch ein so genannter Stent eingelegt werden.

Können Ablagerungen an den Gefäß-Innenwänden nicht aufgedehnt werden, kommt evtl. auch eine chirurgische Ausschälung (Thrombendarteriektomie; TEA) in Frage. Bei ausgedehnten und komplexen Gefäßverschlüssen besteht eine weitere chirurgische Behandlungsmöglichkeit darin, die vorhandenen Engstellen durch Einsetzen gesunder Blutgefäße (Teile von Patienten-Arterien oder -Venen) oder unter Verwendung von Gefäßprothesen (künstliche Ersatzgefäße), zu überbrücken. Man spricht dann von einer so genannten Bypass-Operation. In schwierigen Fällen werden die minimal-invasiven Techniken mit der Bypass-Operation und mit der chirurgischen Entfernung von abgestorbenem (nekrotischem) Gewebe und ggf. auch mit Amputations-Eingriffen kombiniert.

Nach endovaskulären oder operativen Eingriffen zur Wiederherstellung der Durchblutung sollten Patienten gemäß aktueller Leitlinie zur Diagnostik und Therapie der pAVK im Rahmen einer interdisziplinär geführten Rezidivprophylaxe regelmäßig überwacht und die Patienten zur sorg-fältigen Beobachtung der von Minderdurchblutung gefährdeten Körperteile angeleitet werden.

Als wesentlichen Bestandteil der Nachsorge nach Gefäß-Eingriffen bezeichnet die Leitlinie regelmäßige Bewegung und strukturierten Gefäßsport: Die Wirksamkeit körperlicher Aktivität mit einem Gehtraining zur Verbesserung der allgemeinen Leistungsfähigkeit und zur Verbesserung der Lebensqualität gilt als wissenschaftlich belegt (Evidenz). Aus diesem Grunde soll allen pAVK-Patienten ein strukturiertes Gefäßtraining als Bestandteil der Basisbehandlung angeboten werden. Diese Empfehlung wird ausdrücklich auch für Patienten ausgesprochen, die bereits medikamentöse, minimal-invasive (interventionelle, endovaskuläre) oder operative Be-handlungsmaßnahmen erhalten oder erhalten haben.

Bezüglich der ganzheitlichen gesundheitlichen Entwicklung betroffener Patienten ist festzuhalten, dass diese vorrangig durch die Mitbeteiligung des Herzens am Erkrankungsgeschehen bestimmt wird. Patienten mit kritischer Extremitätenischämie haben eine gegenüber Gefäß-Gesunden erhöhte Sterblichkeit (Mortalität) durch Ereignisse, die von den Herzgefäßen oder vom Herzen selbst ausgehen (kardiovaskuläre Mortalität). Daher sind für Betroffene mit pAVK und Herzerkrankung ganzheitliche therapeutische Ansätze unter Einbeziehung des ganzen Körpers und Förderung der allgemeinen Beweglichkeit und Belastbarkeit von großer Bedeutung.

Weblinks:

 

Medizinischer Sachverhalt im Einzelfall nach Aktenlage:

Im vorliegenden Einzelfall besteht ein äußerst komplexes und außerordentliches Erkrankungsgefüge mit deutlicher Einschränkung der Lebensqualität und der Fähigkeit der selbständigen Lebensführung. Als Grunderkrankungen bestehen seit Jahren ein allergisches Asthma sowie eine rheumatoide Arthritis mit schweren Deformationen der Hände und ein Zustand nach mehrfachen tiefen Beinvenenthrombosen sowie einer im Jahr 1994 nachgewiesenen Lungenembolie. Die Durchblutungsstörungen der Patientin erstrecken sich über mehrere Gefäßetagen mit Betonung der Ober- und Unterschenkel-Gefäße. In der Folge der kombinierten arteriellen und venösen Durchblutungsstörungen bestehen chronische Ödeme und chronische Ulzerationen, dem internistischen Arztbrief vom Juni 2013 folgend mit besonderer Betonung einer nicht heilenden Wunde an der rechten Ferse.

Die in aktuellen Leitlinien empfohlenen therapeutischen Maßnahmen der minimal-invasiven sowie der offenen operativen Behandlung von abgestorbenen Gewebeteilen im Bereich der Füße kamen bei der Patientin gemäß hier vorliegender Arztbriefe bereits mehrfach zum Einsatz: Anhand der vorliegenden Informationen wurden bislang acht Zehen amputiert, was eine erhebliche weitere Einschränkung der ohnehin aufgrund der rheumatologischen Erkrankung der Patientin bestehenden Gehstörungen bewirkte.

Ebenfalls sind gemäß hier vorliegender medizinischer Informationen die, im Vorgutachten des MDK benannten Möglichkeiten der konservativen Therapie wie diverse Verfahren der Wundbehandlung, eine Infektsanierung und eine durchblutungsfördernde medikamentöse Therapie mehrfach erfolglos durchgeführt worden.

Mehrfache, letztlich nicht zum gewünschten Erfolg führende, operative Maßnahmen zur Erzielung einer sauberen Wunde und zur Förderung einer endgültigen Wundheilung sind in den hier vorliegenden medizinischen Unterlagen dokumentiert.

Die Patientin beantragt jetzt eine Kostenzusage für einen nicht-operativen Therapieversuch mittels hyperbarer Sauerstofftherapie, da sie hofft, sich so nach Möglichkeit ausgedehnte erneute Operationen (Amputationen) mit bleibenden Defekten und weiterer Einschränkung ihrer Lebensqualität zu ersparen. 

Sozialmedizinischer Hintergrund:

Die hyperbare Sauerstofftherapie (HBO) ist eine ärztliche „Behandlungsmethode“ im Sinne der GKV. Als ärztliche „Behandlungsmethoden“ im Sinne der GKV werden medizinische Vorgehensweisen bezeichnet, denen ein eigenes theoretisch-wissenschaftliches Konzept zugrunde liegt, das sie von anderen Therapieverfahren unterscheidet und das ihre systematische Anwendung in der Behandlung bestimmter Krankheiten rechtfertigen soll.

Die hyperbare Sauerstofftherapie wurde vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA; früher: Bundesausschuss Ärzte/Krankenkassen) mehrfach überprüft. Eine umfassende Beurteilung dieser Methode erfolgte im Jahr 2000; eine letzte Teilbewertung der hyperbaren Sauerstofftherapie (HBO) zur Behandlung von Brandwunden sowie idiopathischer Femurkopfnekrosen (Erkrankung des Hüftgelenkknochens) bei Erwachsenen erfolgte im Jahr 2008, allerdings nur im Hinblick auf die stationäre Versorgung.

Aufgrund fehlender Wirksamkeitsbelege war die hyperbare Sauerstofftherapie im Jahr 2000 für den Bereich der vertragsärztlichen ambulanten Versorgung vollständig in die Anlage II - „Methoden, die nicht als vertragsärztliche Leistungen zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden dürfen“ – eingeordnet worden.

Vor diesem sozialrechtlichen Hintergrund handelt es sich somit hinsichtlich der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung um eine vom Gemeinsamen Bundesausschuss derzeit in keiner Indikation zugelassene Methode

Durchführung der hyperbaren Sauerstofftherapie im Rahmen stationärer Therapie

Im vorliegenden Fall richtet sich der Antrag auf die ambulante Durchführung einer Methode, die zu Lasten der GKV im Hinblick auf § 135 Abs. 1 SGB V sowie § 137c SGB V im Regelfall nur im stationären Setting eingesetzt werden kann2:

Die hyperbare Sauerstofftherapie ist in der Richtlinie „Methoden Krankenhausbehandlung“ des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) für den stationären Bereich gemäß § 137 c derzeit in folgenden Indikationen ausgeschlossen:

HBO bei Myokardinfarkt, bei Erstmanifestation eines Neuroblastoms im Stadium IV, beim Weitwinkelglaukom, beim Morbus Perthes, beim Schädelhirntrauma, bei Brandwunden und bei idiopathischer Femurkopfnekrose des Erwachsenen. Darüber hinaus darf die HBO im Krankenhaus nicht zu Lasten der GKV erbracht werden, wenn sie – als alleinige Therapie oder in Kombination – beim diabetischen Fußsyndrom bei Patienten angewendet wird, die nicht dem Kriterium „Stadium Wagner ≥ III ohne angemessene Heilungstendenz nach Ausschöpfung der Standardtherapie“ entsprechen.

In der hier vorliegenden Indikation ist die beantragte Methode im stationären Bereich somit bisher nicht vom G-BA ausgeschlossen worden und könnteim Rahmen der Krankenhausbehandlung bei medizinischer Notwendigkeit zu Lasten der GKV erbracht werden.

Eine Abrechnung der Krankenhausbehandlung chronischer Wunden aufgrund einer pAVK mittels hyperbarer Sauerstofftherapie könnte grundsätzlich im DRG-Fallpauschalensystem erfolgen. Die Überdruckkammerbehandlung findet sich z. B. im Katalog der Prozeduren (OPS) unter dem Code 8-721.2 abgebildet. Ein Zusatzentgelt für Druckkammerbehandlungen bzw. die HBO-Therapie ist nach Kenntnis der Gutachterin nicht vereinbart. Die Leistungen sind mit der DRG abgegolten. Es dürfen keine zusätzlichen Kosten für den Einsatz der Behandlungsmethode neben der DRG geltend gemacht werden; auch dann nicht, wenn die Methode nicht vom Krankenhaus selbst, sondern als Auftragsleistung durch einen ambulanten Leistungsanbieter er­bracht wird. 

Auch, wenn eine Methode im stationären Bereich nicht nach § 137c SGB V vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) von der Erbringung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ausgenommen wurde (Verbotsvorbehalt), kann sie allerdings nur unter Berücksichtigung der §§ 2, 12, und 70 des SGB V sowie in dem durch § 39 SGB V vorgegebenen Rahmen durchgeführt werden.  

Diesbezüglich sei bezüglich der im Einzelfall relevanten Problematik auch verwiesen auf das Urteil des Bundessozialgerichts B 1 KR 44/12 R vom 07.05.2013. Diesem Urteil ist zu entnehmen, dass eine Leistungspflicht der Krankenkasse wegen Systemversagens ausnahmsweise ungeachtet eines gemäß § 135 Abs. 1 SGB V aufgestellten Verbots bestehen kann, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem G-BA trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde. 

Das Bundessozialgerichtsurteil (BSG-Urteil) vom 07.05.2013 nahm Bezug auf die Überprüfung der hyperbaren Sauerstofftherapie für den Bereich der stationären Versorgung im Jahr 2008. Die BSG-Richter sahen hier ein Systemversagen, da das Prüfverfahren 2008 sich nicht auf die Überprüfung von ambulanten Anwendungsfällen (Indikationen) der Methode erstreckte, welche im Rahmen der Überprüfung zwar als (weiterhin) stationär notwendige Leistungen definiert wurden, im ambulanten vertragsärztlichen Bereich aber dennoch weiter ausgeschlossen sind. 

Ob die Leistung der hyperbaren Sauerstofftherapie aufgrund dieses Urteils, wie vom Antragsteller in seinem Schreiben vom 16.10.2013 gefolgert, grundsätzlich in den stationär zugelassenen Indikationen auch im ambulanten Bereich eine Kassenleistung darstellt, entzieht sich der gutachterlichen Einschätzung. Insbesondere sei darauf hingewiesen, dass die Feststellung eines Systemversagens, welches hier bezüglich der Methode HBO bei chronischen Wunden aufgrund peripher arterieller Verschlusskrankheit zu treffen wäre, der Sozialgerichtsbarkeit obliegt.

Grundrechtskonforme Interpretation von Leistungsansprüchen (stationär und ambulant)

Sowohl bei ambulanter als auch bei stationärer Therapie kann im Einzelfall ein erweiterter Leistungsanspruch von Versicherten aus einer außerordentlichen Erkrankungssituation resultieren, so dass auch ausgeschlossene Methoden ausnahmsweise zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht und abgerechnet werden könnten. Entsprechende Konstellationen sind grundsätzlich dann gegeben, wenn eine verfassungsrechtlich oder durch fortlaufende Konkretisierung in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts oder eine in § 2 Abs. 1a des fünften Sozialgesetzbuches definierte Ausnahmesituation besteht.

Von der Notwendigkeit einer grundrechtsorientierten Interpretation des Leistungsanspruches von GKV-Versicherten im Einzelfall ist gemäß § 2 Abs. 1a SGB V auszugehen, wenn eine vorliegende Erkrankung entweder lebensbedrohlich oder regelmäßig tödlich oder einer solchen Erkrankungs-Situation wertungsmäßig gleichzustellen ist und wenn zugleich anerkannte Methoden zur Behandlung im Rahmen der GKV nicht (mehr) zur Verfügung stehen.

In noch nicht durch die höchstrichterliche Rechtsprechung eindeutig wertungsmäßig eingeordneten Situationen ist die Notwendigkeit einer grundrechtsorientierten Interpretation des Leistungsanspruches von GKV-Versicherten im Einzelfall anhand der medizinischen Sachverhalte zu diskutieren:

Ob eine wertungsmäßige Gleichstellung im Einzelfall zum Tragen kommt, beruht neben der medizinischen Einschätzung der Krankheitsschwere, Prognose und Wirksamkeit verfügbarer versus beantragter Therapien letzten Endes auf (sozial-) richterlicher (Einzelfall-) Entscheidung.

Für den vorliegenden Fall wäre aus medizinischer gutachterlicher Sicht auf den drohenden Verlust weiterer Teile des Fußes oder des vollständigen Fußes oder von Teilen eines Beines oder beider Beine oder Füße hinzuweisen. Inwieweit sich hieraus eine Notwendigkeit einer Fallbetrachtung auf der Grundlage von § 2 Abs. 1a SGB V bzw. unter den spezifischen Gesichtspunkten des Bundesverfassungsgerichtsbeschlusses vom 06.12.2005 ergibt, wäre ggf. sozialrechtlich/leistungsrechtlich zu klären und obliegt nicht der gutachterlichen Einschätzung.

Diagnose:

pAVK der Beine vom Ober- und Unterschenkeltyp, rechts mehr als links.
Zustand nach Amputationen und Nekrosektomien im Bereich beider Vorfüße.
Zustand nach mehreren tiefen Beinvenenthrombosen und Lungenembolie.
Schwere kombinierte Herzerkrankung mit Aortenklappenstenose und Sklerosierung im Bereich der Mitralklappe; Erregungs-Überleitungsstörungen, Hypertrophie der linken Herzkammer.
Chronisches Asthma bronchiale.
Rheumatoide Arthritis mit bedeutsamer Einschränkung der Beweglichkeit und Funktion, vor allem der Hände.
Osteoporose (aufgrund langjähriger Medikamenten-Einnahme).
Chronische, nicht heilende Wunde an der rechten Ferse.

Sozialmedizinische Beurteilung der Situation im Einzelfall nach Aktenlage:

Im vorliegenden Fall ist den hier vervollständigten und durch neue Informationen aktualisierten Unterlagen zu entnehmen, dass bei der Patientin ein die Lebensqualität äußerst nachhaltig beeinflussendes und komplexes Krankheitsbild vorliegt.

Das Krankheitsbild ist – unter anderem aufgrund der Komplexität und der sich gegenseitig beeinflussenden pathologischen Mechanismen (Krankheitstypische Abläufe im Organismus) therapierefraktär (durch übliche therapeutische Verfahren nicht im Verlauf aufzuhalten oder zu heilen), da Therapien mit nachgewiesener Wirksamkeit zum Teil aufgrund der zusätzlich bestehenden Erkrankungen nicht angewendet werden können:

So ist die Kompressionstherapie bei chronisch venöser Insuffizienz nachgewiesenermaßen wirksam zur Verhinderung von erneuten Thrombosen – kann aber im Einzelfall aufgrund der arteriellen Veränderungen nicht angewendet werden.

Ein Gehtraining und eine körperliche Mobilisierung zur Behandlung der pAVK wären grundsätzlich wirksam und werden in der Leitlinie zur Diagnostik und Therapie der pAVK empfohlen. Im vorliegenden Fall ist ein Gehtraining oder die Teilnahme an einer Sportgruppe in ausreichendem, wirksamem Umfang wahrscheinlich sowohl durch die rheumatische Erkrankung als auch durch amputationsbedingten Funktionseinschränkungen sowie auch aufgrund der chronischen Wunde im Fersenbereich nicht oder nur stark eingeschränkt möglich.

Medikamentöse Therapien werden durchgeführt; eine wesentliche Besserung des Krankheitsbildes durch Intensivierung der medikamentösen Therapie wäre im Erkrankungsstadium der Versicherten nicht zu erwarten und wäre auch durch Neben- und Wechselwirkungen der Vielzahl der bereits eingesetzten Medikamente limitiert. 

Die Möglichkeiten der minimal invasiven bzw. „interventionellen“ Therapie wurden im vorliegenden Fall, soweit sich dies den hier vorhandenen medizinischen Informationen entnehmen lässt, erschöpft

Als weitere therapeutische Maßnahmen könnten der Patienten im Rahmen der vertraglichen Versorgung derzeit noch chirurgische Verfahren, ggf. unter Einschluss weiterer Amputationen, angeboten werden. 

Aus sozialmedizinischer Sicht ist festzustellen, dass anhand der hier vorliegenden kumulierten Informationen die Möglichkeit einer vollkommenen gesundheitlichen Wiederherstellung der Patientin nicht als Therapieziel anzusehen ist. Gleichwohl könnte eine erfolgreiche Therapie der chronischen Wunden, insbesondere der nicht heilenden Wunde im Fersenbereich, die Lebensqualität der Patientin deutlich positiv beeinflussen. Diesbezüglich wäre eine erfolgreiche Infekt-Sanierung (also Heilung der Infektion in der Wunde) mittels operativer Verfahren  mit der Notwendigkeit der Entfernung der krankhaft veränderten Gewebe-Anteile verbunden, wobei diese Gewebe-Entfernung wahrscheinlich zu weiteren deutlichen Einschränkungen der Beweglichkeit und der Gebrauchsfähigkeit der Füße und Beine beitragen würde. 

Die die hier vorliegenden Schreiben der Versicherten beziehen sich nicht auf die Frage der Wirksamkeit der möglichen operativen Therapien, sondern einzig auf den Aspekt der Verbesserung bzw. Erhaltung der Lebensqualität im Zusammenhang mit den derzeit möglichen Maßnahmen. 

Zwar ist anhand der Aktenlage nicht von einer alternativlosen Situation auszugehen, in der keine vertraglichen Behandlungsmethoden mehr zur Verfügung stehen. Die beantragte hyperbare Sauerstofftherapie soll jedoch die Möglichkeit eröffnen, auf den Einsatz der – formal zur Verfügung stehenden – vertraglichen operativen Therapie zu verzichten, da diese angesichts der gesundheitlichen Gesamtsituation der Patientin mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer weiteren nachhaltigen, bleibenden Schädigung und Behinderung der Patientin verbunden wäre.  

In diesem Zusammenhang ist allerdings anzumerken, dass auch die beantragte hyperbare Sauerstofftherapie nach der Literatur nicht gänzlich frei von Risiken ist. So können in seltenen Fällen z. B. zerebrale3 Krampfanfälle oder Überdruck-bedingte Schädigungen des Innenohrs ausgelöst werden. Hingewiesen sei hier insbesondere auf Arbeiten zur Bedeutung des oxydativen Stress4 und der Möglichkeit der Zellkernschädigung sowie auf aktuelle Tiermodelle, denen Anhaltspunkte für mögliche negative Effekte zu entnehmen sind5. Gerade bei einer Verschlusskrankheit aufgrund von Arteriosklerose besteht theoretisch auch die Gefahr, dass arteriosklerotische Anlagerungen an den Gefäß-Innenwänden (atheromatöse Plaques) durch den gesteigerten Sauerstoffdruck im Gewebe aufbrechen und zu einer Gerinnungsreaktion mit einem akuten Gefäßverschluss (Embolie) führen6. In der Realität scheint diese Komplikation jedoch nicht oder kaum vorzukommen, da bei einer Recherche in der weltgrößten Datenbank medizinischer Fachliteratur, der Medline, keine Fallberichte hierzu gefunden werden konnten. 

Im Vergleich zu der vertraglichen Behandlungsoption ist das Risiko- bzw. Schadenspotential der hyperbaren Sauerstofftherapie insgesamt als höchstwahrscheinlich deutlich geringer anzusehen. In einer Pressemitteilung der belgischen staatlichen Agentur für Gesundheitstechnologiebewertung KCE wurde festgestellt, dass es sich insgesamt bei der HBO-Therapie um ein sicheres Verfahren mit geringen Risiken handele7. Hinsichtlich des medizinischen Nutzens einer hyperbaren Sauerstofftherapie haben allerdings nach derzeitiger gutachterlicher Einschätzung die Bewertungen des Gemeinsamen Bundesausschusses weiterhin Bestand, wonach es keine belastbare wissenschaftliche Evidenz hoher Qualität für einen Nutzen der hyperbaren Sauerstofftherapie bei Patienten mit chronischen Wunden im Rahmen einer pAVK im Regelfall gibt.

Diesbezüglich sei jedoch auch erneut auf § 2 Abs. 1a SGB V in Verbindung mit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 06.12.2005 hingewiesen, wonach bei regelmäßig tödlichen oder lebensbedrohlichen - oder solchen Situationen gleichzustellenden - Erkrankungen, für deren Behandlung vertragliche Methoden mit vergleichbaren Nutzen nicht zur Verfügung stehen, es zu einem grundrechtlich begründeten erweiterten Leistungsanspruch von Versicherten kommen kann. 

Ausweislich der hier jetzt kumuliert gewürdigten medizinischen Informationen scheint es sich derzeit im vorliegenden Fall zwar nicht um eine lebensbedrohliche Situation zu handeln, jedoch liegt unzweifelhaft eine nachhaltige Behinderung auf dem Boden einer chronischen Gesundheitsschädigung in Verbindung mit der Gefahr der Amputation weiterer Gliedmaßen bzw. Teile von Gliedmaßen bei der Patientin vor, welche das Risikopotential weiterer äußerst beeinträchtigender und den Pflegebedarf erhöhender Entwicklung in näherer Zukunfterkennen lässt. 

Hinsichtlich der beantragten Methode wäre, sofern die Situation der Patientin einen erweiterten Leistungsanspruch auf verfassungsrechtlicher Grundlage begründen würde, gemäß der Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 06.12.2005 und vom 26.02.2013, eine „nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf“ bzw. eine „auf Indizien gestützte Aussicht auf einen über die palliative Standardtherapie hinaus reichenden Erfolg“ zu fordern.

Im vorliegenden Fall sei diesbezüglich auch auf die, auch von dem Druckkammer-Betreiber Dr. M.-K. in seinem Schreiben vom 16.10.2013 angeführte aktuelle Leitlinie zur Behandlung chronischer Wunden8der Deutschen Gesellschaft für Wundheilung und Wundbehandlung e.V. in Zusammenarbeit mit weiteren Fachgesellschaften der Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher medizinischer Fachgesellschaften (AWMF) verwiesen:

Dieser Leitlinie ist zu entnehmen, dass die Ganzkörperdruckkammertherapie (hyperbare Sauerstofftherapie, HBO) für anderweitig austherapierte Wunden beim diabetischen Fußsyndrom eine Therapieoption mit gut belegter Wirksamkeit darstelle. Daher empfehlen die Leitlinien-Autoren den Einsatz der hyperbaren Sauerstofftherapie bei Patienten mit diabetischem Fußsyndrom, nach Ausschöpfen von Revaskularisationsmaßnahmen9, bei amputationsbedrohter Extremität. Die Leitlinien-Empfehlung erfolgt auf der Grundlage einer sehr kleinen Anzahl kontrollierter, qualitativ als ausreichend bewerteter klinischer Studien (RCTs) mit geringem Fehlerpotenzial, so dass die Empfehlung nur mit mittlerer Empfehlungs-Stärke (Empfehlungsgrad „B“) ausgesprochen wurde.

In der Begründung der Empfehlung für die HBO-Therapie beim diabetischen Fußulkus wird in der Leitlinie „Lokaltherapie chronischer Wunden bei den Risiken CVI, PAVK und Diabetes mellitus“ ausgeführt, dass die Überversorgung der Gewebe mit Sauerstoff (Hyperoxygenierung) im Rahmen der HBO-Therapie die – aufgrund verminderter Durchblutung (Ischämie) oder aufgrund anderer Faktoren entstandene – Sauerstoffnot im Gewebe (Gewebshypoxie) aufheben könne. Folgt man dieser Begründung, müssten die entsprechenden Überlegungen im Prinzip auf chronische Wunden bei peripherer arterieller Durchblutungsstörung (pAVK) ebenso zutreffen wie auf chronische Wunden beim diabetischen Fuß-Syndrom. 

Auf die naheliegende Schlussfolgerung, dass ein Nutzen der HBO-Therapie auch bei chronischen Wunden im Rahmen einer pAVK gegeben sein müsste, bezieht sich der Leistungserbringer und Druckkammer-Betreiber Dr. Müller-Kortkamp in den hier vorliegenden Schriftstücken. Aus gutachterlicher Sicht erscheint dies nachvollziehbar, wenn auch darauf hinzuweisen ist, dass die genannte Leitlinie sich in den, die hyperbare Sauerstofftherapie betreffenden Darstellungen, ausschließlich auf chronische Wunden beim diabetischen Fußsyndrom bezieht. 

Weiter sei darauf hingewiesen, dass die wissenschaftliche Bewertung der HBO durch die belgische Regierungs-Agentur Centre Fédéral d’Expertise des Soins de Santé (KCE) im Jahr 2008 zwar Hinweise auf Wirksamkeit der HBO beim diabetischen Fußulkus gefunden hatte, aber keine wissenschaftlichen Belege (Evidenz) für die Wirksamkeit der HBO bei Wunden, die nicht im Zusammenhang mit Diabetes stehen10.

Die aktuelle Leitlinie zur Diagnostik und Therapie der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK) nennt die hyperbare Sauerstofftherapie nicht als therapeutische Option, ist allerdings hinsichtlich der ausgewerteten wissenschaftlichen Studien auf einem weniger aktuellen Stand als die Leitlinie zur Lokaltherapie chronischer Wunden.

Die Deutsche Gesellschaft für Tauch- und Überdruckmedizin (GTÜM) führt auf ihrer Internetseite11 zwölf Indikationen für die Anwendung der hyperbaren Sauerstofftherapie auf, hierunter auch die „Therapierefraktäre Wunde mit Gewebshypoxie (Problemwunde)“. Wissenschaftliche Daten, auf denen diese Empfehlung beruht, lassen sich den Informationen der GTÜM im Internet aber nicht entnehmen.

Eine Vereinigung von Interessenten, Anbietern und Experten auf dem Gebiet der hyperbaren Medizin ist das Europäische Komitee für hyperbare Medizin (European Committee for Hyperbaric Medicine; abgekürzt ECHM). Das ECHM nannte bereits seit 2006 in einem Konsensus-Papier12  die chronischen, nicht oder nur sehr verzögert heilenden Wunden als eine Indikation für die (zusätzliche) Anwendung der hyperbaren Sauerstofftherapie. Bezüglich dieses Konsensus-Papiers ist allerdings anzumerken, dass dieses nach den Kriterien der Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher Fachgesellschaften am ehesten als Leitlinie der Entwicklungsstufe 1, also als wissenschaftlich nicht sehr gut belegt und qualitativ nicht sehr hochwertig, einzustufen wäre.

In den Vereinigten Staaten wird von der Undersea and Hyperbaric Medical Society (UHMS13)  regelmäßig eine Liste mit Indikationsempfehlungen für die hyperbare Sauerstofftherapie veröffentlicht. Die UHMS sieht die Anwendung der hyperbaren Sauerstofftherapie bei allen „nekrotisierenden“, zur Gewebszerstörung und zum Gewebe-Absterben führenden, Weichteilinfektionen als gerechtfertigt an. Auch die Indikationsempfehlungen der UHMS beruhen zum größten Teil nicht auf abgesicherten wissenschaftlichen Daten, sondern auf übereinstimmenden Meinungen der in der UHMS vertretenen Experten. Insbesondere lassen sich den Publikationen der UHMS keinerlei konkrete Angaben zur Wirksamkeit der HBO in der Indikation „nekrotisierende Weichteilinfektionen“ entnehmen.

Die gutachterliche Recherche nach wissenschaftlicher Evidenz führte auch zu einer systematischen Auswertung der bislang publizierten Studien zur Behandlung chronischer Wunden durch die international hoch angesehene Cochrane Collaboration. Diese Arbeit kommt zu dem Schluss, dass die hyperbare Sauerstofftherapie mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit einen positiven Einfluss auf die Heilung diabetischer Fußwunden hat; jedoch konnten keine Studien gefunden werden, welche einen positiven Effekt auf chronische Wunden bei der pAVK belegten14.

Zusammenfassung

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass eine abschließende Nutzen-Risiko-Analyse auf der Grundlage aussagefähiger wissenschaftlicher Evidenz für den Einsatz der hyperbaren Sauerstofftherapie im vorliegenden Fall nicht möglich ist. Eine Therapieentscheidung für die Durchführung der hyperbaren Sauerstofftherapie im vorliegenden Fall kann nicht aufgrund gesicherter wissenschaftlicher Fakten getroffen werden. Bei allen Empfehlungen zum Einsatz der Therapie bei einer chronischen Wunde im Rahmen einer pAVK handelt sich letztlich jeweils um eine Experten-Empfehlung (=Meinung), die allerdings von einer sehr großen Zahl von Experten in gleicher Weise geteilt wird. 

Unter Berücksichtigung der gefundenen wissenschaftlichen Belege und Experten-Einschätzungen ist zu konstatieren, dass derzeit Anhaltspunkte für eine mögliche Wirksamkeit der hyperbaren Sauerstofftherapie in der beantragten Indikation existieren. Darüber hinaus konnten relativ zuverlässige Aussagen gefunden werden, wonach die Methode im vorliegenden Fall – im Vergleich zu den vertraglich verfügbaren chirurgischen Optionen – über ein, diesen gegenüber, wahrscheinlich günstigeres Risiko- und Nebenwirkungsprofil verfügt. 

Im Ergebnis lässt sich formulieren, dass im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung des gutachterlich eruierten Erkenntnisstandes mit einer relativ hohen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis der beantragten HBO-Therapie im Verhältnis zu den verfügbaren vertraglichen – hier: chirurgischen – Behandlungsmöglichkeiten sich als potentiell günstiger darstellt, insbesondere hinsichtlich des bei chirurgischer Therapie zu erwartenden therapiebegleitenden Schadens. Die medizinische Sinnhaftigkeit eines Therapieversuchs mit der HBO-Therapie kann vor diesem Hintergrund nicht begründet verneint werden. 

Die gefundenen Expertenmeinungen und methodisch schwachen Studien sowie auf Expertenmeinung beruhenden internationalen Leitlinien, können als nicht ganz fern liegende Hinweise auf eine mögliche positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bzw. als auf Indizien gestützte Aussicht auf einen über die Standardtherapie hinaus reichenden Erfolg gewertet werden. 

Die Wirksamkeitsvermutung hinsichtlich der beantragten Therapie könnte allerdings aus gut­achterlicher Sicht keine unbegrenzte Zahl von Behandlungseinheiten rechtfertigen. Der Literatur sind keine gut begründeten allgemeinen Richtwerte und Empfehlungen für eine sinnvolle Anzahl von Behandlungen im Rahmen eines Therapieversuchs in der vorliegenden Indikation zu entnehmen. Für die HBO-Therapie beim diabetischen Fuß wurde bei der Literatursuche eine randomisierte kontrollierte Studie gefunden, deren Studienprotokoll einen Behandlungsabbruch vorsah, wenn nach 10 Behandlungen mittels HBO keine signifikante klinische Besserung feststellbar war15. Auf dieser Grundlage schiene eine Evaluation des Therapieerfolgs nach zunächst 10 Druckkammerbehandlungen möglicherweise sinnvoll. Arbeiten zum Einsatz der HBO-Therapie bei strahlenbedingten Schäden empfehlen hingegen eine Erfolgs-Überprüfung erst nach 30 Druckkammerbehandlungen16.  Vor diesem Hintergrund erschiene es sinnvoll, nach 10 oder spätestens nach 30 Druckkammerbehandlungen über eine Fortführung der Therapie anhand des Therapie-Ansprechens zu entscheiden.

Die Beurteilung, ob im vorliegenden Fall eine verfassungskonforme Interpretation des Leistungsanspruches der Versicherten erforderlich ist, entzieht sich dem gutachterlichen Kompetenzbereich.  

Es sei angemerkt, dass die Verantwortung für die Indikationsstellung und Überwachung der Maßnahme, unabhängig von der gutachterlichen Einschätzung, bei dem verordnenden Arzt liegt.

Aus sozialmedizinischer Sicht ist diesbezüglich im vorliegenden Fall darauf hinzuweisen, dass die Durchführung der hyperbaren Sauerstofftherapie in einem Hals-Nasen-Ohren-fachärztlich geleiteten Druckkammerzentrum beantragt wird. Insofern wird hier eine fachfremde Behandlung einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit durch einen Facharzt des Gebietes Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde beantragt. Hieraus ergeben sich Fragen hinsichtlich der Einhaltung des Qualitätsgebotes der GKV (§ 70 SGB V). 

Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die hier vorgelegten Informationen keinen Aufschluss darüber geben, inwieweit durch den Antragsteller, Herrn Dr. M.-K., die Einhaltung der Qualitätsstandards und Empfehlungen der relevanten Gesellschaften sichergestellt wird. 

Eine ärztliche Bezeichnung im Sinne einer Gebietsanerkennung17  durch die Bundesärztekammer oder eine geregelte ärztliche Weiterbildung für Druckkammerbehandlungen existiert derzeit nicht. Für die Ausbildung und Anerkennung von ärztlichem und pflegerischem Personal für die Durchführung von hyperbaren Sauerstofftherapien hat daher die GTÜM e.V. (Deutsche Gesellschaft für Tauch- und Überdruckmedizin)  in Zusammenarbeit mit dem Ausschuss Qualitätssicherung des VDD e.V. (Verband Deutscher Druckkammerzentren e.V.) ein kontrolliertes Zertifizierungsverfahren entworfen, um im Interesse der Patienten- und Personalsicherheit einen hohen Qualitätsstandard der hyperbaren Sauerstofftherapie zu gewährleisten. Hier ist nicht bekannt, ob Herr Dr. M.-K. an einem entsprechenden Zertifizierungsverfahren teilgenommen hat.  

Auf die weiteren Ausführungen im Text dieses Gutachtens, insbesondere auch die im Zusammenhang mit dem Urteil des Bundessozialgerichts B 1 KR 44/12 R vom 07.05.2013 diskutierten Fragen, sei verwiesen. 

Abschließend sei angemerkt, dass es sich um die Begutachtung eines individuellen Einzelfalles handelt und dass das Ergebnis nicht (z.B. im Sinne eines Präzedenzfalles) auf andere Versicherte übertragen werden kann und dass die gutachterliche Einschätzung empfehlenden Charakter hat und die leistungsrechtliche Entscheidung der Krankenkasse obliegt.


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