HBO bei Osteomyelitis

Erstellt am 03 Aug 2010 16:04
Zuletzt geändert: 26 Sep 2015 20:42

Da seit der Bewertung der Hyperbaren Sauerstofftherapie in der Indikation "Osteomyelitis" durch den Gemeinsamen Bundesausschuss ein relativ langer Zeitraums vergangen ist, ist zu prüfen, ob Veröffentlichungen zu dieser Methode, die nach dem HTA-Bericht des G-BA erschienen sind, zu einer grundsätzlich anderen Bewertung der Methode in der vorgenannten Indikation führen.

Wissenschaftliche Datenlage

Die Recherche nach neueren systematischen Übersichtsarbeiten in der weltgrößten Datenbank medizinischer Literaturzitate, der MEDLINE, erbrachte 5 Übersichtsarbeiten, die nach dem Jahr 2000 publiziert wurden.
Eine unkontrollierte Fallserie mit einem kombinierten Therapieansatz (Antibiose, Resektion, HBO-Therapie) aus dem Universitätsspital Zürich (Baltensperger) von 2004 führte zu einer Remission in 11 von 30 Patienten. Welchen Beitrag die HBO-Therapie zu den Remissionen hatte, ist aufgrund des Studiendesigns nicht zu ermitteln: Im Übrigen erklären die Autoren selbst, dass die Therapieergebnisse keineswegs überzeugend oder befriedigend waren. Sie plädieren daher für eine bessere Subklassifikation der von Kieferosteomyelitis betroffenen Patienten.
Eine weitere Arbeit aus dem Jahr 2004 ist eine Einzelfallbeobachtung, verbunden mit einem unsystematischen Literaturreview (Chun).
Eine weitere unsystematische Übersicht ist in der Publikation einer Fallserie mit insgesamt 16 Patienten aus dem Jahr 2007. Bei den Patienten bestanden Kieferosteonekrosen unter Bisphosphonattherapie (Freiberger), die Studie konnte ebenfalls keinen definitiven Vorteil einer HBO-Therapie nachweisen, die effektivste therapeutische Intervention in dieser Studie war die Beendigung der Bisphosphonattherapie.

Eine Studie aus der Kiefer- und Plastischen Gesichtschirurgie der Universität Düsseldorf (Handschel) untersucht eine unkontrollierte Fallserie von 27 Patienten. In dem wenig belastbaren methodischen Design (unkontrollierte, nicht sicher konsekutive Fallserie) ist der in dieser Studie gewählte Ergebnisparameter, klinische Schmerz- und Schwellungseinschätzung, problematisch. Mit einem kombinierten Therapieschema mittels chirurgischer Revision, Antibiose und HBO-Therapie wurde bei 11 bzw. 13 Patienten ein Verschwinden bzw. eine Besserung der Symptome erzielt.

Eine weitere, im Jahr 2007 publizierte Studie (D'Souza) berichtet die Ergebnisse einer 8-jährigen Interventionsstudie mit 23 eingeschlossenen Patienten, die anhand klinischer und radiologischer Kriterien in drei verschiedene Schweregradgruppen eingeteilt wurden. Es handelt sich um eine kontrollierte Studie, eine Patientengruppe erhielt HBO-Therapie, die andere nicht. Am Ende der Studie waren 12,5 % der Patienten unter HBO-Therapie krankheitsfrei, in der Gruppe ohne HBO-Therapie waren es 86%. Angesichts der kleinen Fallzahl empfehlen die Autoren der Studie weitere randomisierte klinische Studien mit größeren Fallzahlen.

2007 empfahl die Europäische Konsensuskonferenz über Hyperbarmedizin (ECHM-ETRS, Niinikoski) die hyperbare Sauerstoffbehandlung bei Osteomyelitis in einer Abschlussempfehlung. Diese Empfehlung ist nicht an Evidenz gebunden, für die Konsensuskonferenz ist keinerlei nominaler Gruppenprozess beschrieben, so dass es sich hier um eine Leitlinie handelt, die nach den Kriterien der Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher Fachgesellschaften maximal der Entwicklungsstufe 1 entspricht.

Die Sichtung der neueren Literatur zu dem Thema, vor allem unter Beachtung der Kriterien der evidenzbasierten Medizin, führt nicht zu einer - gegenüber dem Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) - veränderten Beurteilung der grundsätzlichen medizinischen Wertigkeit der Hyperbaren Sauerstofftherapie in dieser Indikation.

Der Bundesausschuss der Ärzte/Krankenkassen (jetzt Gemeinsamer Bundesausschuss) hat im Jahr 2000 die genannte Methode nicht in den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen, weil die Datenlage zum damaligen Zeitpunkt nicht ausreichend war, um eine Wirksamkeit bei der Osteomyelitis belegen zu können. Die nach diesem Datum erschienenen Daten sind bisher ebenfalls nicht geeignet, um als Voraussetzung für eine grundsätzliche Zulassung der Methode zur vertragsärztlichen Versorgung zu dienen.

Die Osteomyelitis im Kieferbereich, vor allem im Unterkieferbereich, ist in ihrer chronischen Form häufig therapieresistent, auch für die Effektivität und den langfristigen Erfolg der chirurgischen und antibiotischen Intervention liegen keine befriedigenden Daten vor. Viele Patienten lernen es, im Laufe der Zeit mit ihrer Erkrankung zu leben. Es handelt sich im Regelfall also nicht um eine lebensbedrohliche oder zum Verlust eines Organs führende Erkrankung.

Wenn sich im Einzelfall keine Anhaltspunkte für einen drohenden Organverlust oder eine Lebensgefährdung oder Entstellung oder ein gleichwertige Einschränkung der Lebensqualität durch die Erkrankung ergeben, treffen die Kriterien der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 06.12.2005 daher im Einzelfall nicht zu.

Die Hyperbare Sauerstofftherapie wurde in der vorliegenden Indikation für den vertragsärztlichen Bereich in die Anlage II - Methoden vertragsärztlicher Versorgung - aufgenommen und kann somit im Regelfall zu Lasten der GKV nicht erbracht werden.

Für einige lebensbedrohliche Indikationen ist die hyperbare Sauerstofftherapie im Rahmen der Krankenhausbehandlung anerkannt; hierzu gehört jedoch nicht die Osteomyelitis.

Für die Indikation einer chronisch-rezidivierenden Osteomyelitis ergibt die Recherche nach aktueller, seit Erstellung der G-BA-Bewertungen veröffentlichter Literatur keinen Nachweis eines Nutzens in statistisch relevanter Weise, so dass sich keine neuen medizinischen Gesichtspunkte hinsichtlich der prinzipiellen Bewertung des Verfahrens ergeben.

Bibliography
1. Baltensperger M, Grätz K, Bruder E, Lebeda R, Makek M, Eyrich G. Is primary chronic osteomyelitis a uniform disease? Proposal of a classification based on a retrospective analysis of patients treated in the past 30 years. J Craniomaxillofac Surg. 2004 Feb;32(1):43-50.
2. Chun CS. Chronic recurrent multifocal osteomyelitis of the spine and mandible: case report and review of the literature. ,Pediatrics. 2004 Apr;113(4):e380-4.
3. D'Souza J, Goru J, Goru S, Brown J, Vaughan ED, Rogers SN. The influence of hyperbaric oxygen on the outcome of patients treated for osteoradionecrosis: 8 year study. Int J Oral Maxillofac Surg. 2007 Sep;36(9):783-7.
4. Freiberger JJ, Padilla-Burgos R, Chhoeu AH, Kraft KH, Boneta O, Moon RE, Piantadosi CA.
Hyperbaric oxygen treatment and bisphosphonate-induced osteonecrosis of the jaw: A case series. J Oral Maxillofac Surg. 2007 Jul;65(7):1321-7.
5. Handschel J, Brüssermann S, Depprich R, Ommerborn M, Naujoks C, Kübler NR,
Meyer U. Evaluation of hyperbaric oxygen therapy in treatment of patients with osteomyelitis of the mandible. Mund Kiefer Gesichtschir. 2007 Nov;11(5):285-290. Epub 2007 Sep 4.
6. Kopp I, Lorenz W, Müller W, Selbmann HK. Methodische Empfehlungen - Leitlinie für Leitlinien. AWMF 2007. Online: <http://www.uni-duesseldorf.de/AWMF/ll/ll_metho.htm>.
7. Niinikoski J, Bakker D, Cronjé F, Lind F, Mathieu D, Schmutz J, Hunt T, Mani R, Romanelli M, Téot L, Wild T, Marroni A. ECHM-ETRS joint conference on oxygen and tissue repair, Ravenna, Italy, October 27-28, 2006: recommendations by the international jury. Int J Low Extrem Wounds. 2007 Sep;6(3):139-42.

Alle medizinischen Aussagen und Informationen in diesem Wiki dienen nicht der individuellen Beratung und können und sollen eine persönliche fachliche ärztliche oder sonstige Beratung nicht ersetzen! Auch erheben die hier gemachten Aussagen keinen Anspruch auf Richtigkeit oder Vollständigkeit. Dies ist keine Gesundheitsberatungsseite und auch keine Sozialberatungsseite!



Neue Seite anlegen

Sofern nicht anders angegeben, steht der Inhalt dieser Seite unter Lizenz Creative Commons Attribution-ShareAlike 3.0 License