Bioresorbierbare Stents

Erstellt am 15 May 2010 17:04
Zuletzt geändert: 09 Nov 2017 10:27

Abgrenzung / Begriffsklärung

Gefäß-Stents werden anstelle einer alleinigen Ballondilatation eingesetzt, weil sie im Vergleich zu dieser die Offenheitsrate des Gefäßes erhöhen und die Rate an Restenosierungen senken können.
Im langjährigen klinischen Einsatz sind bereits zwei prinzipiell verschiedene Arten von Stents:

  1. einerseits die sogenannten Bare Metal Stents (BMS) und
  2. andererseits die sogenannten Drug Eluting Stents (DES).

Mit den bioresorbierbaren Stents ("bioresorbierbarer Scaffold", BRS) ist eine weitere Gruppe hinzugekommen:
Die bioresorbierbaren Stents entsprechen vom Konstruktionsprinzip weitgehend dem Design der bisher schon verwendeten beschichteten Stents – bis auf das eigentliche Gerüstmaterial, das bei den bislang klinisch eingesetzten, vollständig resorbierbaren Produkten nicht aus Metall, sondern aus dem Biopolymer Poly-L-Lactid (PLLA) besteht.

Indikation

Da metallhaltige Stents (BMS) die natürliche Gefäßfunktion stören und bei späteren Ereignissen eine möglicherweise notwendige Bypassoperation erschweren oder sogar unmöglich machen können, wird hier ein Vorteil der bioresorbierbaren Stents postuliert - bioresorbierbare Stents sollen behandelten Patienten die Vorteile der permanenten Stents erschließen, dabei aber deren Nachteile vermeiden. Daher wird die Indikation im Prinzip bei allen Patienten gesehen, die für eine Stentversorgung in Frage kommen.

Kontraindiziert sind bioresorbierbare Stents (wie auch andere, insbesondere medikamentenbeschichtete Stents) bei Patienten, bei denen eine Antithrombozyten- und/oder Antikoagulantientherapie kontraindiziert ist bzw. bei Patienten mit einer bekannten Überempfindlichkeit bzw. Unverträglichkeit gegenüber Aspirin, Heparin und Bivalirudin, Clopidogrel, Ticlopidin, Prasugrel und Ticagrelor, Everolimus, Platin oder Patienten mit einer Kontrastmittelüberempfindlichkeit, die nicht angemessen vorbehandelt werden kann. Bei den PLLA- oder PDLLA-haltigen bioresorbierbaren Stents besteht eine weitere Kontraindikation in einer Überempfindlichkeit bzw. Unverträglichkeit gegenüber den entsprechenden Biopolymeren (PLLA- oder PDLLA).

Bewertung der allgemeinen Evidenz

Ein MDS-Gutachten des Jahres 2014 kam zu der Einschätzung, dass die Ergebnisse der identifizierten ABSORB-Studien eine Bewertung des Nutzens und des Schadens dieses Stents weder in der Indikation einer stabilen/instabilen Angina bzw. einer stummen Ischämie noch in der Indikation eines STEMI zulassen. Es wird jedoch darauf verwiesen, dass zur Zeit randomisierte kontrollierte Studien durchgeführt werden, von denen zu erwarten ist, dass ihre Ergebnisse die Bewertung der Methode (zumindest des Absorb-Stents) nachhaltig beeinflussen werden. Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Gutachtens war den Autoren eine abschließende Bewertung des Nutzens und des Schadens der bislang zertifizierten bioresorbierbaren Koronarstents nicht möglich.

Im Januar 2015 wurden die ersten Ergebnisse zu präspezifizierten, sekundären Endpunkten aus einer direkten, auf 3 Jahre angelegten, kontrolliert-randomisierten Vergleichsstudie (ABSORB II; Vergleich des bioresorbierbaren Absorb-Stent mit dem medikamentenbeschichteten Xience-Stent) nach dem ersten Jahr veröffentlicht1.

Diese 1-Jahres-Ergebnisse zeigen, dass sowohl bei den Patienten, die mit dem bioresorbierbaren Absorb-Stent behandelt wurden (n = 355), als auch bei jenen Patienten, die mit dem Xience-Stent versorgt wurden (n = 166), ein Jahr nach der Implantation die Mortalitätsraten und die Raten für Revaskularisationen des Zielgefäßes sehr niedrig waren. Der zusammengesetzte Endpunkt aus kardialem Tod, Zielgefäß-Myokardinfarkt und klinisch indizierter Revaskularisierung des Zielgefäßes trat in der Absorb-Gruppe bei 16 Patienten (5%) ein und in der Xience-Gruppe bei 5 Patienten (3%; p = 0,35).

Wahrscheinliche oder tatsächliche Stentthrombosen wurden bei 3 Patienten beobachtet, die mit dem bioresorbierbaren Absorb-Stent behandelt worden waren, und bei keinem der Patienten, die den metallenen Xience-Stent erhalten hatten (0,9 vs 0%; p = 0,55). Signifikante Unterschiede zeigten sich hinsichtlich des akuten Lumengewinns und der Zunahme des Lumendurchmessers zugunsten des Metallstents.

Die Studienautoren unter Federführung von Prof. Dr. Patrick W. Serruys, International Centre for Cardiovascular Health am Imperial College in London, bewerten die beiden Stents aufgrund der Studienergebnisse als gleichwertig.

Diese Schlussfolgerung halten allerdings Prof. Dr. Carlo Di Mario und Dr. Gianluca Caiazzo, Cardiovascular National Institute of Health Research des Royal Brompton and Harfield NHS Foundation Trust in London in einem Leserbrief im Lancet für zu weit gegriffen2. Di Mario und Caiazzo bemängeln, dass die ABSORB-II-Studie nicht groß genug sei (keine ausreichende statistische "Power"), um die Nicht-Unterlegenheit des bioresorbierbaren Absorb-Stents gegenüber dem beschichteten Metallstent hinsichtlich unerwünschter klinischer Ereignisse zu belegen. Die 3 Stentthrombosen in der Absorb-Gruppen im Vergleich zu keinen in der Xience-Gruppe werten diese Kardiologen als Warnsignal. Die Leserbriefschreiber weisen darauf hin, dass Registerdaten existieren, denen höhere Thromboseraten im Zusammenhang mit bioresorbierbaren Stents im Zeitraum von 6 bis 12 Monaten nach Implantation zu entnehmen sind.

Deutsche Kardiologen werten die Ergebnisse als Hinweis auf eine notwendige Lernkurve bei der Implantation bioresorbierbarer Stents. Sie plädieren für eine regelmäßige Nachdilatation dieser Stents, da Malapposition und Unterexpansion ein relativ häufiges Problem bei gerade diesen Produkten sei3

Laut Vortragsfolien von Prof. Steffen Massberg von der Medizinischen Klinik und Poliklinik I der LMU München4 besteht ein Problem der derzeit verfügbaren bioresorbierbaren Stents in einem zu raschen Abbau und schnellen Verlust der Radialkräfte. Prof. Massberg selbst wertet dies allerdings nicht als klinisch bedeutsam.

Legalstatus

Bei Stents zum Einsatz innerhalb von Blutgefäßen handelt es sich um Medizinprodukte der Risikoklasse III ( Produkte mit erhöhtem methodischem Risiko; invasive Produkte zur längeren Anwendung) Für diese ist grundsätzlich eine CE-Zertifizierung mittels Einschaltung einer so genannten Stelle "Benannten Stelle" vorgeschrieben.

Für den Absorb-Stent erhielt die Firma Abbott Vascular im Dezember 2010 eine CE-Zertifizierung unter der Produktbezeichnung Bioresorbable Vasular Scaffold System (BVS) für die Indikation „Optimierung des Lumendurchmessers von Koronararterien“.

Der DESolve-Stent der Firma Elixir Medical erhielt 2013 eine CE-Zertifizierung.

Andere bioresorbierbare Stents mit derzeit unklarem CE-Kennzeichnungsstatus befinden sich zum jetzigen Zeitpunkt (Mitte 2015) in der klinischen Erprobung (Liste ohne Anspruch auf Vollständigkeit oder korrekte Produkt-Handelsbezeichnung):

Bei allen bioresorbierbaren Stents handelt es sich nach Einschätzung des MDS um Medizinprodukte, die im Rahmen einer neuen Methode angewendet werden.

Es handelt sich im weiteren nicht um eine "neue Methode", deren Anwendung im Krankenhaus nach § 137c SGB V ausgeschlossen wurde. Vielmehr wurden von einer Reihe von Krankenhäusern bereits mehrfach Anträge im Rahmen des so genannten "NUB-InEK-Verfahrens" nach § 6 Abs. 2 KHEntgG gestellt.
Das InEK kam bereits mehrfach anhand der von den antragstellenden Krankenhäusern vorgelegten Informationen zu dem Schluss, dass die Leistung im allgemeinen Fallpauschalenkatalog nicht ausreichend vergütet wird und stufte diese Leistung als „Status 1“ ein.

Somit haben die Krankenhäuser, die einen Antrag auf Anerkennung bioresorbierbarer Stents als "NUB" gestellt haben, die Möglichkeit, jeweils krankenhausindividuelle „NUB-Entgelte“ mit der GKV vertraglich zu vereinbaren.

Dabei ist an dieser Stelle, auch im Hinblick auf die derzeitige Evidenz-Situation, darauf hinzuweisen, dass die Zuteilung eines „Status 1“ durch das InEK keine grundsätzliche „Anerkennung“ der Methode als solche durch das InEK darstellt. Tatsächlich folgt aus der „Status 1-Anerkennung“ durch das InEK keine Aussage zu Qualität, Notwendigkeit oder Nutzen der Methode; das InEK hat lediglich festgestellt, dass die Leistung im DRG-Fallpauschalensystem (noch) nicht ausreichend vergütet wird.

Qualität

Laut NUB-InEK-MDS-Gutachten gelten für die Implantation eines komplett bioresorbierbaren, medikamentenfreisetzenden Stents dieselben personellen und strukturellen Anforderungen wie für die Implantation eines etablierten (unbeschichteten oder beschichteten) Koronarstents: Spezialisierte kardiologische Fachabteilungen (ggf. niedergelassene Kardiologen).

Alternativen

Als Alternative kommen prinzipiell die konventionellen metallhaltigen Stents (BMS) in Frage.

Quellen

Siehe auch:


Alle medizinischen Aussagen und Informationen in diesem Wiki dienen nicht der individuellen Beratung und können und sollen eine persönliche fachliche ärztliche oder sonstige Beratung nicht ersetzen! Auch erheben die hier gemachten Aussagen keinen Anspruch auf Richtigkeit oder Vollständigkeit. Dies ist keine Gesundheitsberatungsseite und auch keine Sozialberatungsseite!



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