Erstellt am 17 May 2016 10:12
Zuletzt geändert: 31 Aug 2021 15:15
Standardtherapie bzw. Versorgung nach Leitlinien
Wenn wohnortnah durchzuführende therapeutische Interventionen nicht ausreichen, kann aus sozialmedizinischer Sicht eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation nach § 40 SGB V notwendig werden.
Gemäß der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin/Neuropädiatrie können als wohnortnahe Intervention bei komplex beeinträchtigten Kindern wie Moritz u. a. folgende mögliche Therapieansätze zum Einsatz kommen:
- Funktionelle Übungsbehandlung der motorischen Störungen.
- Krankengymnastische, ergotherapeutische und logopädische Behandlungen.
- Hilfsmittelversorgung zur Verbesserung und der Vermeidung von Sekundärfolgen.
- Medikamentöse Therapie, vorwiegend zur Beeinflussung vorliegender Spastiken bzw. Tonussteigerungen.
- Operative Behandlung von Sekundärproblemen.
- Therapie zusätzlicher Störungen.
Des Weiteren sind auch Maßnahmen der Frühförderung, Ergotherapie oder Heilpädagogik sowie eine entsprechende Beschulung des Kindes zu nennen.
Allerdings werden in Deutschland bei praktisch allen Kindern mit besonderem und erhöhtem Behandlungsbedarf ambulant am Wohnort Maßnahmen durchgeführt; zu denen in der Regel auch eine intensive sozialpädagogische Förderung und Nutzung der, von der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin/Neuropädiatrie genannten ambulanten Möglichkeiten gehören.
Die ambulanten Maßnahmen können bei Bedarf um rehabilitative Bemühungen ergänzt werden.
Gemäß den Leitlinien der Fachgesellschaft Rehabilitation in der Kinder- und Jugendmedizin können sich für eine Rehabilitationsleistung bei chronisch kranken und – hierdurch bedingt – entwicklungsgestörten Kindern analog den verschiedenen Ebenen der ICF folgende Therapieziele ergeben:
- Im Bereich der Strukturen zielt besonders die Frührehabilitation nach akuten Schädigungen darauf ab, möglichst optimale Bedingungen für die Prozesse der strukturellen Reorganisation des zentralen Nervensystems zu schaffen. Hinsichtlich vorliegender Funktionsstörungen zielt die Rehabilitationsbehandlung auf eine Erweiterung der aktiven Bewegungsmöglichkeiten des Kindes/Jugendlichen ab.
- Bei vorliegenden Störungen der Sprachentwicklung und anderer kognitiver Funktionen soll die neurologische Rehabilitation dazu dienen, die Entwicklungspotenziale des Kin-des/Jugendlichen zu stabilisieren und zu fördern und die Voraussetzungen für eine möglichst hochwertige schulische, berufliche und soziale Integration zu sichern.
- Im Bereich der Aktivitäten sollte eine Stärkung und Erweiterung der Autonomie des betroffenen Kindes/Jugendlichen im Vordergrund stehen. Diesbezüglich sollten die Aktivitäten des täglichen Lebens (ATL) positiv beeinflusst werden.
- Zielsetzung ist ebenfalls eine Verbesserung der Partizipationsmöglichkeiten des Kin-des/Jugendlichen.
Gemäß den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin zielt aus sozialpädiatrischer Sicht eine rehabilitative Behandlungsmaßnahme bei chronischen Krankheiten auf Linderung und Vorbeugung von Komplikationen sowie die Verbesserung der Lebensqualität und die Stärkung des Selbstwertgefühls, der Selbstbestimmung, der Partizipation und der psychischen Adaptation des Kindes bzw. Jugendlichen und seiner Familie ab. Explizit handelt es sich um nachhaltige Verbesserungen und nicht nur solche vorübergehender Art.
Wenn im Einzelfall eine Rehabilitationsbedürftigkeit sowie auch eine bestehende Rehabilitationsfähigkeit erkennbar sind und realistische Rehabilitationsziele für die Maßnahme nachvollzogen werden können, kann die Maßnahme leitliniengerecht erfolgen.
Besonderheiten der ADELI-Therapie - "Passung" im Vergleich zu den leitliniengerechten Maßnahmen in Deutschland
Die Rehabilitationsziele, die regelmäßig für eine ADELI-Therapie formuliert werden, sind deutlich als Ergänzung zu den Zielen der kontinuierlich durchgeführten ambulanten Maßnahmen und als – auch notwendige – Komplettierung dieser Maßnahmen verstehbar.
Es handelt sich um ein intensives, zeitlich begrenztes, multiprofessionelle und interdisziplinär durchgeführtes, ganzheitlichen Programm.
Die ADELI-Therapie wird derzeit nicht von einer stationären Rehabilitationsleistung in Deutschland angeboten. Sie wird aber im EU-Ausland, in dem ADELI Medical Center in Piešťany in der Slowakei, angeboten.
Gemäß den Informationen auf der Internet-Homepage des ADELI Medical Center verfügt die Einrichtung über eine Zulassung als Rehabilitationseinrichtung gemäß den gesetzlichen Bestimmungen der Slowakei und ist als Leistungserbringer im nationalen System der Krankenkasse der Slowakei anerkannt. Den Informationen auf der Homepage des Adeli-Zentrums folgend werden dort an 6 Tagen pro Woche täglich ca. 5 Stunden Therapien an den Patienten durchgeführt, was eine sehr hohe Therapie-Intensivität bedeuten würde.
Grundsätzlich können deutsche Patienten medizinisch notwendige Leistungen im EU-Ausland bei entsprechend qualifizierten um in dem jeweiligen Land staatlich anerkannten sowie dem Sozialversicherungssystem des entsprechenden Landes angeschlossenen Leistungserbringern in Anspruch nehmen. Wenn dies im Wege des Sachleistungsprinzips nicht möglich ist, können die Versicherten finanziell in Vorleistung treten und anschließend eine Kostenerstattung und Berücksichtigung von § 13 Abs. 4 SGB V in Anspruch nehmen.
Gemäß § 13 Abs. 4 SGB V besteht ein Anspruch auf Erstattung für Gesundheitsleistungen im EU-Ausland höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei der Erbringung als Sachleistung im Inland zu tragen hätte.
Prinzipiell kommt eine Kostenerstattung medizinisch notwendiger Leistungen in dem ADELI Medical Center in Piešťany in der Slowakei gemäß § 13 Abs. 4 SGB V in Frage, da diese Einrichtung in der Slowakei sowohl staatlich anerkannt ist als auch am slowakischen sozialen Krankenversicherungssystem teilnimmt.
ADELI-Therapie als NUB?
Das ADELI Medical Center verfolgt, neben allgemein anerkannten und auch in deutschen Kliniken angewendeten Behandlungsverfahren auch eine spezifische Behandlungsmethode unter Nutzung spezieller Anzüge, die den Eigenschaften der Raumanzüge der russischen Kosmonauten ähneln, die durch ihre Konstruktion die negativen Auswirkungen der Schwerelosigkeit auf das Nervensystem und den Bewegungsapparat der Kosmonauten eindämmen sollen. Der Adeli-Anzug (Adeli-Suit) besteht aus einem System von Stütz- und Belastungselementen, die mit elastischen Seilzügen verbunden sind, wodurch eine gewisse Ähnlichkeit zum menschlichen Muskelsystem hergestellt wird. Der Anzug soll den Patienten das Gefühl einer vermehrten vertikalen Stabilität vermitteln, wodurch eine Verbesserung der Propriozeption und der Bewegungskontrolle erreicht werden soll.
Hierzu lässt sich z.B. dem Fachbuch von Döderlein "Infantile Zerebralparese" (Steinkopff Verlag 2007) folgende Einschätzung entnehmen:
"Als Teil eines Behandlungs- und Übungsprotokolls, das 5–7 Stunden täglich für 5–6 Tage in der Woche erfolgt, sind durchaus vorübergehende funktionelle Veränderungen vorstellbar."
Wegen des mehrdimensionalen Therapiekonzeptes lässt sich ein isolierter Effekt der Anzüge im Rahmen der Behandlungen in dem ADELI Medical Center nicht belegen. Die spezifische, auf diesen Anzug bezogene Form der Adeli-Therapie, kann somit zu den wissenschaftlich nicht belegten Behandlungsmethoden gerechnet werden. Diesbezüglich ist allerdings anzumerken, dass für viele Behandlungsmethoden, die "klassisch" im Rahmen der Rehabilitation oder speziell im Bereich der Neurorehabilitation angewendet werden, keine Wirksamkeitsbelege aus guten, kontrollierten Studien existieren.
Grundsätzlich könnte aber davon ausgegangen werden, dass es sich möglicherweise um eine Behandlungsmethode handelt, die sich durch ein eigenes theoretisch-wissenschaftliches Konzept auszeichnet und von anderen Methoden der Neurorehabilitation unterscheidet. In diesem Fall könnte die Methode sozialrechtlich als "Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode" einzustufen sein.
Es ist indes aus rein sozialmedizinischer Sicht unklar, ob es sich hier tatsächlich um eine "Neue Methode" (NUB) im Sinne des § 135 SGB V handelt. Eine Klärung dieser Frage könnte von der Krankenkasse über den Spitzenverband der GKV veranlasst werden.
Es könnte in diesem Zusammenhang auch zu berücksichtigen sein, dass im System der Gesundheitsversorgung in Deutschland prinzipiell die Einführung innovativer Methoden durch den Gesetzgeber bewusst in § 6 Abs. 2 des Krankenhausentgeltgesetzes (KHEntgG) und damit im stationären Bereich verortet wurde. Der stationäre Bereich wurde somit vom Gesetzgeber als der geeignete Eintrittsweg für innovative Verfahren in das Gesundheitssystem festgelegt.
Ob auch Kliniken der stationären Rehabilitation, die im DRG-System abrechnen, an dem Verfahren nach § 6 Abs. 2 des Krankenhausentgeltgesetzes teilnehmen, entzieht sich der Kenntnis der Gutachterin.
Rehabilitationseinrichtungen, die nach tagesgleichen Pflegesätzen abrechnen, könnten in keinem Fall an dem für stationäre Einrichtungen im DRG-System vorgesehenen Verfahren nach § 6 Abs. 2 KHEntgG teilnehmen, so dass insgesamt der Weg für neue Methoden in der Rehabilitationsmedizin nicht gleich geregelt ist wie der für neue Methoden in akutstationären Krankenhäusern.
Möglicherweise könnte der Spitzenverband der GKV eine Klärung der Frage anstreben, welche Folgen sich hieraus ggf. für die sozialrechtliche Einschätzung einer neuen Methode in der Rehabilitationsmedizin ergeben.
Wirksamkeit
Mögliche Hinweise auf Wirksamkeit existieren. Unter Leitung von Herrn Prof. Dr. Dr. Gerstenbrand wurde eine unkontrollierte Studie an 100 mit der Therapie behandelten Kindern durchgeführt, die aber, unter anderem wegen der fehlenden Kontrollgruppe, nur einer niedrigen Evidenzstufe entspricht. Weitere Forschungsarbeiten werden auf den Internetseiten der Klinik aufgeführt, jedoch keine randomisierten kontrollierten Studien.
Anbieter
Euromed Rehabilitation Center LLC in Polen
ADELI MEDICAL CENTER: Die wissenschaftliche Basis - Univ. Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Franz Gerstenbrand, * 6.9.1924; † 30.6.2017
Downloads und Links: Behandlung einer Cerebralparese mit einer speziellen Form der Neurorehabilitation - Bericht über eine Beobachtungsstudie an 100 konsekutiven Patienten des Adeli-Instituts im Zeitraum Januar 2008 bis Januar 2001 für das Karl Landsteiner Institut in Wien.
Adeli-Center in Piešťany, Slowakei
Weitere Weblinks
Nikolaus-Projekt der Ruhr-Universität Bochum zum Urteil des Sozialgerichts Köln vom 24.02.2014 (S 29 KR 107/12)
juris.de - Urteil des Sozialgerichts Köln vom 24.02.2014 (S 29 KR 107/12) - Volltext nur für Abonnenten!
dejure.org - Urteil des Sozialgerichts Köln vom 24.02.2014 (S 29 KR 107/12)
Besprechung des Kölner Sozialgerichts Köln vom 24.02.2014 (S 29 KR 107/12) auf den Webseiten des Elternvereins dolphin aid e.V.
derStandard.at 18.03.2013: Neurorehabilitation: Chancen trotz Schwerstbehinderung
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