Prostatakarzinom: PSA-Rezidiv

Erstellt am 21 Jun 2016 21:16
Zuletzt geändert: 15 Jul 2021 19:54

  • Definition des biochemischen Rezidivs
    • nach ASTRO-Kriterien: drei konsekutive PSA-Anstiege auf mindestens >0,2 ng/ml oder ein Anstieg auf einen PSA-Wert >0,4 ng/ml
    • gemäß S3-Leitline:
      • Nach radikaler Prostatektomie kennzeichnet ein in mindestens zwei Messungen bestätigter PSA-Wert auf > 0,2 ng/ml ein biochemisches Rezidiv. (Statement 6.2)
      • Nach alleiniger Strahlentherapie kennzeichnet ein in mindestens zwei Messungen bestätigter PSA-Anstieg von > 2 ng/ml über den postinterventionellen PSA-Nadir ein biochemisches Rezidiv. (Statement 6.3)
  • Im statistischen Mittel beträgt die Zeit vom PSA-Rezidiv bis zur Metastasierung rund 8 Jahre1.
  • Wenn bei einem Patienten bislang nur ein einziger - wenn auch vergleichsweise extrem erhöhter - PSA-Wert gemessen wurde, so sollte dieser vor weiteren Maßnahmen zunächst kontrolliert werden.
  • Wenn die errechnete PSA-Verdopplungszeit (PSA-DT) auf weniger als 12 Monate verkürzt ist, so wird das Risiko eines Fortschreitens des Tumorwachstums sehr hoch.
  • Bei bislang abwartend behandelten oder nur bestrahlten Patienten muss ab einer PSA-Verdopplungszeit von weniger als 12 Monaten mit einem systemischen Progress - also einer Metastasierunggerechnet werden. Erfolgte bereits eine radikale Prostatektomie, wird diese Grenze eher bei 10 Monaten angesetzt.
  • Trotz Metastasierungsverdacht kann eine PSA-Verdopplungszeit von mehr als 3 Monaten, aber weniger als 10 (nach Prostatektomie) oder 12 (nach Bestrahlung/Abwarten) Monaten grundsätzlich ein lokales Geschehen anzeigen und beweist keine systemische Progression (Metastasierung):
In diesen Fällen ist die Differenzierung zwischen Lokalrezidiv und Metastasierung allein anhand des PSA-Verhaltens nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit möglich. Es könnte sowohl ein lokales Rezidiv als auch eine Metastasierung vorliegen. Hier müssen weitere Faktoren zur Einschätzung herangezogen werden. Ein PET könnte - unter Umständen - nützlich sein.
  • Liegen im Einzelfall die PSA-Verdopplungszeit-Werte unterhalb von 3 Monaten, ist mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit von einer Systemerkrankung (Metastasierung) auszugehen; ein Nutzen einer PET, ebenso wie der Nutzen aller lokalen Therapien - ist unwahrscheinlich.
Bei systemischem Progress bzw. Hinweis auf Fernmetastasierung aufgrund einer PSA-DT von weniger als drei Monaten ist der Nutzen einer PET-CT in vielen Fällen fragwürdig. Hier sollte im Einzelfall die geplante Therapie spezifiziert werden, damit nachvollzogen werden kann, wie das Ergebnis der PET ggf. therapeutisch ungesetzt werden würde und ob hier ein gesundheitlicher Nutzen für den Patienten überhaupt vorstellbar ist.
Nach D'Amico und Koautoren kann bei Patienten nach RPE und SRT eine PSADT von weniger als drei Monaten als bedeutsamer Risikomarker für Prostatakarzinom-assoziiertes Versterben angesehen werden ( D'Amico AV, Moul JW, Carroll PR, et al. Surrogate end point for prostate cancer-specific mortality after radical prostatectomy or radiation therapy. J Natl Cancer Inst. 2003 Sep 17;95(18):1376-83). Die Autoren schreiben:

"We recommend that consideration be given to initiating androgen suppression therapy at the time of a PSA-defined recurrence when the PSA-DT is less than 3 months to delay the imminent onset of metastatic bone disease."

Eine Arbeitsgruppe der European Association of Urology hat Ende 2018 einen systematischen Review der publizierten Studien zum biochemischen Rezidiv nach Primärtherapie eines Prostatakarzinoms publiziert:
Van den Broeck T, van den Bergh RCN, Arfi N, et al. Prognostic Value of Biochemical Recurrence Following Treatment with Curative Intent for Prostate Cancer: A Systematic Review. Eur Urol. 2018 Oct 17. pii: S0302-2838(18)30752-8. doi: 10.1016/j.eururo.2018.10.011. [Epub ahead of print]. Die Autoren formulieren folgende Schlussbemerkung:

"BCR has an impact on survival, but this effect appears to be limited to a subgroup of patients with specific clinical risk factors. Short PSA-DT and a high final Gleason score after RP, and a short IBF after RT and a high biopsy Gleason score are the main factors that have a negative impact on survival. These factors may form the basis of new BCR risk stratification (European Association of Urology BCR Risk Groups), which needs to be validated formally."

Prognose-/Risikoabschätzungsfaktoren gemäß Leitlinie

In diesem Zusammenhang ist auf die Ausführungen in der S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Urologie und der Deutschen Krebsgesellschaft hinzuweisen:

Für die Einschätzung des möglichen Nutzens einer Salvage-Therapie nach primärer Bestrahlungstherapie können folgende Merkmale herangezogen werden:
• initial "Low-Risk"-Tumor: T1c- maximal T2a-Kategorie, Gleason-Score maximal 6, PSA-Wert < 10 ng/ml;
• Intervall bis zum PSA-Rezidiv > 3 J;
• PSA-Verdopplungszeit nach Primärtherapie > 12 Mo;
• PSA-Anstieg < 2,0 ng/ml/J;
• Anzahl pos. Biopsien < 50 %;
• Art der vorangegangenen Strahlentherapie (vorangegangene Seeds-Implantation).

Für die Einschätzung des möglichen Nutzens einer Salvage-Therapie nach primärer Prostatektomie können folgende Merkmale herangezogen werden:
• PSA-Wert vor SRT < 1 ng/ml;
• PSA-Anstiegsgeschwindigkeit vor SRT < 2 ng/ml/J;
• Intervall bis zum PSA-Rezidiv > 2-3 J;
• PSA-Verdopplungszeit nach Primärtherapie > 12 Mo;
• Gleason-Score < 8;
• keine Samenblasen- oder Lymphknotenbeteiligung;
• R1-Resektion.

Nutzung der Prognose-/Risikoabschätzungsfaktoren

Wenn bei einem Patienten nach Ausschöpfung der lokaltherapeutischen Optionen (Prostatektomie primär oder als Salvage-OP; Bestrahlung primär oder als Salvage-Radiotherapie) im (erneuten) biochemischen Rezidiv weitere lokale Therapien durchgeführt werden sollen, müssen die Prognose-Faktoren gemäß S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Urologie und der Deutschen Krebsgesellschaft – als beste verfügbare Näherungswerte für eine Prognose-Einschätzung bzw. für die Abschätzung einer Metastasierung – je nach Einzelfall genutzt werden.

Wenn die Prognosefaktoren dafür sprechen, dass ein systemisches Krankheitsgeschehen vorliegt, so ist dies keine absolute – jedoch eine wahrscheinlich zutreffende Aussage:
Die Prognosefaktoren sind nur für Patienten nach der ersten Therapie (Primärtherapie) wirklich mit guter Datengrundlage verwendbar; nach einer Zweit- oder Dritt-Therapie können diese Prognosefaktoren allenfalls Näherungsinformationen geben. Für die Mehrzahl der Fälle liefern die der in der deutschen Prostatakarzinom-Leitlinie genannten Prognosefaktoren jedoch einen ausreichend zuverlässigen Wahrscheinlichkeitswert.

Eine höhere Genauigkeit der Wahrscheinlichkeitsabschätzung ist im Hinblick auf therapeutische Fragestellungen zu lokal ausgerichteten Dritt- und Viert-Therapien in der Mehrzahl der Fälle weder möglich noch sinnvoll, da die Nutzen-Risiko-Abschätzung weiterer Lokaltherapien aufgrund der therapieassoziierten Risiken und der vorhandenen Daten zu kurz-, mittel- und längerfristigen unerwünschten Therapiefolgen bei den betroffenen Patienten von vornherein negativ ausfällt.

Prognose-Rechner

Im Jahr 2015 veröffentlichte eine Arbeitsgruppe der Universitäten von Ohio eine aktuelle Version der so genannten Kattan-Nomogramme zur Bestimmung des Risikos für die prostatakarzinomspezifische Mortalität von Patienten mit biochemischem Rezidiv nach Prostatektomie:
Brockman JA, Alanee S, Vickers AJ, Scardino PT, Wood DP, Kibel AS, Lin DW, Bianco FJ Jr, Rabah DM, Klein EA, Ciezki JP, Gao T, Kattan MW, Stephenson AJ. Nomogram Predicting Prostate Cancer-specific Mortality for Men with Biochemical Recurrence After Radical Prostatectomy. Eur Urol. 2015 Jun;67(6):1160-7.
Der Algorithmus ist nur anwendbar für Patienten, die nach der Prostatektomie noch keine weitere Therapie erhalten haben; die zugrundeliegenden Daten betreffen den natürlichen Verlauf des Prostatakarzinoms nach Prostatektomie und anschließendem biochemischem Rezidiv.
Ein Rechner "Risk of Dying of Prostate Cancer in Men With a Rising PSA After Radical Prostatectomy" zur Ermittlung des Todesfallrisikos, der auf den Daten der genannten Arbeit beruht, ist auf den Webseiten des Memorial Sloan Kettering Cancer Center zu finden.

Sonderfall: PSA-Verhalten nach TUR-P

Therapeutische Optionen

Van den Broeck T, van den Bergh RCN, Briers E, Cornford P, Cumberbatch M, Tilki D, De Santis M, Fanti S, Fossati N, Gillessen S, Grummet JP, Henry AM, Lardas M, Liew M, Mason M, Moris L, Schoots IG, van der Kwast T, van der Poel H, Wiegel T, Willemse PM, Rouvière O, Lam TB, Mottet N. Biochemical Recurrence in Prostate Cancer: The European Association of Urology Prostate Cancer Guidelines Panel Recommendations. Eur Urol Focus. 2019 Jun 24. pii: S2405-4569(19)30159-2. doi: 10.1016/j.euf.2019.06.004.

Diesem sind unter anderem folgende typische Nebenwirkungen lokaltherapeutischer chirurgischer oder radiotherapeutischer Interventionen zu entnehmen:
Schmerzen, erektile Dysfunktion, Inkontinenz, Verdauung- und Ausscheidungsprobleme und abdominale Beschwerden, Müdigkeit und Schwäche, Schmerzen beim Wasserlassen, blutiger Urin und Harnröhrenverengungen.
Die Studienergebnisse wurden als Hinweis darauf gewertet, dass die adjuvante Bestrahlung bei Patienten unter 70 Jahren das klinisch-progressionsfreie Überleben möglicherweise verbessern kann; bei älteren Patienten über 70 Jahren jedoch möglicherweise mit einer negativen Nutzen-Schadens-Relation einhergeht.

Der Nutzen der Hormontherapie wird von einigen Ärzten kritisch gesehen.

  • Von Garcia-Albeniz 2014 auf dem ASCO-Kongress vorgetragene3 und 2015 publizierte Ergebnisse einer retrospektiven Registerauswertung (Garcia-Albeniz X, Chan JM, Paciorek A, et al. Immediate versus deferred initiation of androgen deprivation therapy in prostate cancer patients with PSA-only relapse. An observational follow-up study. Eur J Cancer. 2015 May;51(7):817-24.) sprachen dafür, dass eine sofortige Hormontherapie bei Männern nach erster kurativer Therapie und einem reinen PSA-Anstieg ohne klinische Symptome oder sonstige Hinweise auf Metastasierung nicht sinnvoll ist. Die Untersuchung von Garcia-Albeniz bezog sich allerdings nur auf Patienten des CaPSURE-Registers "who would have been eligible (⩽ cT3aN0M0, primary radical prostatectomy or radiotherapy, PSA relapse as the only evidence of recurrence) for a randomised trial comparing 'immediate' versus 'deferred' ADT Initiation". Es handelt sich somit um ein hypothetisches Experiment fand sich kein Unterschied hinsichtlich des Überlebens zwischen Patienten, bei denen die Hormontherapie sofort beim PSA-Rezidiv und Patienten, bei denen die Hormontherapie nach drei Monaten oder später begonnen wurde.

Es gibt aber positive Daten:

RESULTS:
With a median follow-up of 7.3 years, 263 patients were included. The 8-year PFS rate was significantly higher in the ADT+EBRT arm than in the ADT arm (48% versus 7%; hazard ratio: 0.27; 95%CI: (0.17;0.39), p<0.0001) (hazard ratio [HR] = 0.10; 95%CI: (0.05; 0.20); p < 0.0001 in patients with baseline PSA ≥ 50ng/ml and HR = 0.28; 95%CI: (0.19; 0.40), p < 0.0001 in patients with baseline PSA < 50ng/ml). The risk of death from prostate cancer was significantly reduced for ADT+EBRT arm (sub-hazard ratio (SHR): 0.48; 95%CI: (0.25; 0.91); p=0.02). The 8-year OS rate was respectively 57% in the ADT arm and 65% in the ADT+EBRT arm (no significant difference). LPFS was significantly in favor of ADT+EBRT arm (SHR = 0.61; 95%CI: (0.42; 0.89); p=0.01). MFS was comparable between both arms (p=0.88). Analysis of toxicities revealed acute lower tolerance in the ADT+EBRT arm with a gradual decrease in intensity from 6 months after the end of EBRT.
CONCLUSIONS:
These long-term results confirm the oncological benefit of combining EBRT with ADT in the treatment of locally advanced prostate cancer.

Clinical trial data forms the foundation of how we treat men with metastatic prostate cancer who are initiating therapy. However, clinical trial data does not answer everything; hence, good clinical practice, pragmatism, and occasionally extrapolation drives how we manage these patients. Fortunately, multiple international guideline committees meet regularly and offer clinical guidance. In this mini-review, we focus on the United States National Comprehensive Cancer Network, European Society for Medical Oncology, and European Association of Urology (EAU) recommendations for the initial treatment of metastatic prostate cancer.

Addition of docetaxel to androgen deprivation therapy (ADT) was recommended for patients with newly diagnosed metastatic hormone-sensitive prostate cancer (mHSPC), who are fit enough to receive docetaxel. Two recently published trials showed that the addition of abiraterone acetate plus prednisone to ADT has a clear survival benefit and acceptable overall tolerance, and should be considered as another standard of care for newly diagnosed mHSPC.

  • Deutlich positive Ergebnisse, zumindest für Männer mit ausgeschöpfter kurativer Therapie (nach kurativer Radiotherapie oder nach Operation, mit oder ohne postoperative Radiotherapie oder wenn keine kurative Therapie möglich), ergab eine australische prospektive, randomisierte kontrollierte Studie (Duchesne GM, Woo HH, Bassett JK, Bowe SJ, D'Este C, Frydenberg M, King M, Ledwich L, Loblaw A, Malone S, Millar J, Milne R, Smith RG, Spry N, Stockler M, Syme RA, Tai KH, Turner S. Timing of androgen-deprivation therapy in patients with prostate cancer with a rising PSA (TROG 03.06 and VCOG PR 01-03 [TOAD]): a randomised, multicentre, non-blinded, phase 3 trial. Lancet Oncol. 2016 Jun;17(6):727-37. doi: 10.1016/S1470-2045(16)00107-8. Epub 2016 May 4.).

Der mediane Follow-Up in dieser Studie betrug 5 Jahre. In dieser Zeit verstarben 11% der Patienten in der Sofort-Therapie-Gruppe und 20% in der verspätet behandelten Gruppe. Das 5-Jahres-Gesamtüberleben lag bei 86,4% (95% CI 78,5-91,5) in der Verzögerungs-Gruppe und bei 91,2% in der Soforttherapie-Gruppe (log-rank p=0·047). Mittels Cox-Regression errechnete sich eine unadjustierte Hazard Ratio für das Gesamtüberleben bei Soforttherapie versus Verzögerungstherapie mit 0,55 (95% CI 0·30-1·00; p=0·050).4;5.

Siehe auch in diesem Wiki:

WebLinks

Krebsinformationsdienst: Ist der Begriff "Kastrationsresistenz" noch zeitgemäß


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* Zitat nach: Bach, Otto: ''Über die Subjektabhängigkeit des Bildes von der Wirklichkeit im psychiatrischen Diagnostizieren und Therapieren''. In: Psychiatrie heute, Aspekte und Perspektiven, Festschrift für Rainer Tölle, Urban & Schwarzenberg, München 1994, ISBN 3-541-17181-2, (Zitat: Seite 1)

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