Erstellt am 01 Sep 2015 20:55
Zuletzt geändert: 22 Apr 2016 15:51
Die primäre biliäre Zirrhose (oder „primär biliäre Cirrhose“, abgekürzt als „PBC“ bezeichnet) wird häufig als Autoimmunerkrankung bezeichnet. Immunsuppressive Therapien erwiesen sich bislang in der Behandlung aber als wirkungslos1. Es handelt sich darüber hinaus um eine seltene Erkrankung, die in den Datenbanken der seltenen Erkrankungen in Europa und den Vereinigten Staaten aufgeführt ist (Englisch: „rare diseases“ oder „orphan diseases“).
Unter einer (Leber-) Zirrhose versteht man eigentlich eine Verhärtung und narbige Schrumpfung der Leber infolge Zerstörung der Gallengänge in der Leber und Verlust der funktionsfähigen Leberzellen.
In medizinischen Fachbüchern wie dem Werk „Duale Reihe – Innere Medizin“2 ist das Krankheitsbild der primären biliären Zirrhose folgendermaßen definiert:
„Die primär biliäre Zirrhose (PBC, nicht eitrige destruierende Cholangitis) ist eine chronisch verlaufende cholestatische Lebererkrankung unklarer Ätiologie, die durch eine Zerstörung der intrahepatischen Gallengänge mit der Entwicklung einer Zirrhose gekennzeichnet ist.“
Zur Erklärung ist anzumerken, dass die Bezeichnung „primär biliäre Zirrhose“ und die entsprechende Krankheitsdefinition aus einer Zeit stammen, als die Patienten in der Regel erst in fortgeschrittenen Krankheitsstadien diagnostiziert werden konnten. Heutzutage ist die Bezeichnung als „Zirrhose“ in den die meisten Fällen irreführend; denn zum Zeitpunkt der Diagnosestellung liegt bei einem großen Teil der Patienten (noch) gar keine tatsächliche Zirrhose vor.
Durch eine konsequente medikamentöse Behandlung mit der Substanz Ursodeoxycholsäure (UDCA)3 lässt sich bei dem größten Teil der frühzeitig diagnostizierten Patienten auch das Voranschreiten in ein Spätstadium der Erkrankung mit Entwicklung einer „echten“ Zirrhose vermeiden.
Trotz somit guter medikamentöser Beeinflussbarkeit der eigentlichen Erkrankung leiden viele Patienten sehr unter Symptomen, die durch die spezifische Behandlung mit Ursodeoxycholsäure nicht ausreichend beeinflusst werden. Hierzu gehören vorrangig die Symptome Juckreiz (Pruritus) und Müdigkeit sowie Leistungsknick.
Diese beiden Symptome betreffen einen großen Anteil der Patienten mit PBC. In einem Fachbuch der Inneren Medizin aus dem Jahr 2010 findet sich die Angabe, dass bei ca. 50% der Patienten Juckreiz (Pruritus) und Müdigkeit die herausragenden Symptome sind4.
Die internationale medizinische Wissensdatenbank UpToDate5 enthält folgende Information zur Symptomatik bei primärer biliärer Zirrhose:
„Auch wenn viele Patienten mit PBC über eine ausreichende Lebensqualität berichten, sind Müdigkeit und Erschöpfung wesentliche Faktoren, die zu Einschränkungen der Lebensqualität führen.6“
Eine Suche in der weltgrößten Datenbank medizinischer Fachliteratur, der Medline, ergibt eine Vielzahl von Publikationen zur Thematik Müdigkeit oder Erschöpfung (englisch: „fatigue“) bei primär biliärer Zirrhose7.
Die Leitlinie der US-amerikanischen Gesellschaft zur Erforschung von Leber-Erkrankungen (AASLD8) aus dem Jahr 2009 nennt „fatigue“ das vorrangige Symptom der primär biliären Zirrhose.
Neben Müdigkeit gehört der Juckreiz zu den häufigsten und auch quälendsten Symptomen bei der PBC.
Zur Behandlung des Juckreizes wird in der Regel Colestyramin (oder Cholestyramin) eingesetzt. Diese Substanz führt zur Bindung der Gallensäuren im Darm, woraus als Nebenwirkung eine gestörte Aufnahme einzelner Nahrungsbestandteile und insbesondere eine gestörte Aufnahme von Ursodeoxycholsäure resultieren kann. Colestyramin soll daher immer um ca. drei Stunden zeitversetzt nach Ursodeoxycholsäure eingenommen werden. Eine Alternative oder ergänzende Behandlung des Juckreizes ist z. B. mit Arzneimitteln aus der Gruppe der Antihistaminika möglich.
Patienten mit PBC sind prinzipiell gefährdet, eine Unterversorgung mit den fettlöslichen Vitaminen (A, D, E, K) zu entwickeln. Es wird daher empfohlen, bei entsprechenden Mangelzuständen die fettlöslichen Vitamine zu substituieren (also ergänzend zur normalen Zufuhr mit der Nahrung geeignete Vitaminpräparate einzunehmen). Bei Patienten mit normalen Bilirubinspiegel empfiehlt die Expertendatenbank UpToDate eine vorsorgliche Messung der Vitamin-A- und Vitamin-D-Spiegel alle zwei bis drei Jahre, um ggf. eine entsprechende Substitution einzuleiten.9
Schilddrüsenerkrankungen treten bei Patienten mit PBC recht häufig auf. Daher sollten jährlich die Werte des Schilddrüsenhormon-stimulierenden Hormons (TSH) kontrolliert werden, um rechtzeitig eine Behandlung mit Schilddrüsenhormonen einleiten zu können, sofern dies notwendig wird.
Insbesondere in fortgeschrittenen Erkrankungsstadien kann es zu einer mangelnden Aufnahme von Nährstoffen und zu Verdauungsstörungen (Maldigestionssyndrom) kommen. Diese werden durch fettarme Diät, Gabe mittelkettiger Triglyzeride (so genannte MCT-Fette) und durch Gabe des Enzyms Lipase zu den Mahlzeiten behandelt.
Ebenfalls bei eher fortgeschrittenen Erkrankungsstadien besteht die Gefahr einer Osteoporose. Hier kommen verschiedene Strategien zur Vorbeugung und Behandlung in Frage, die sich nicht von der Behandlung anderer Osteoporose-gefährdeter Risikogruppen unterscheiden.
Nur in den sehr seltenen Fällen, in denen die Erkrankung anders nicht beherrschbar ist und bis zur „echten“ Leberzirrhose voranschreitet, kann auch eine Lebertransplantation ggf. eine Ultima-ratio-Therapie darstellen.
Der aktuellen Literatur lässt sich entnehmen, dass unter den heutigen Behandlungsmöglichkeiten für einen Teil der Patienten die Müdigkeit das hervorstechende und die Lebensqualität am deutlichsten einschränkende Symptom darstellt.
Die Behandlung der PBC-assoziierten Müdigkeit stellt dabei ein großes therapeutisches Problem dar. Die Autoren der Datenbank UpToDate empfehlen für sehr schwierige Fälle, in denen es zu massiven Beeinträchtigungen der Lebensqualität („debilitating fatigue“) kommt, den Einsatz der Substanz Modafinil außerhalb der zugelassenen Anwendung. Diesbezüglich weisen die Autoren darauf hin, dass dieser Medikamenteneinsatz noch nicht in kontrollierten klinischen Studien ausreichender Qualität getestet wurde10.
Die Beiträge in diesem Wiki zu "Erkrankungen und Behinderungen", gesundheitlichen Problemlagen und Indikationen erheben weder den Anspruch, umfassend noch hinsichtlich der Einsortierung in einer Rubrik immer unstrittig zu sein.
Die Beiträge sind aus sozialmedizinischem Blickwinkel und mit dem Schwerpunkt der sozialmedizinischen Begutachtung einsortiert. Aus der Einordnung in einer Rubrik resultiert weder eine Wertung noch eine objektive Feststellung hinsichtlich der Bedeutung einer gesundheitlichen Problemlage/Erkrankung.
Alle Darstellungen medizinischer Sachverhalte, Erkrankungen und Behinderungen und deren sozialmedizinische Einordnung und Kommentierungen hier im Wiki dienen nicht einer "letzt begründenden theoretisch-wissenschaftlichen Aufklärung", sondern sind frei nach Karl Popper "Interpretationen im Licht der Theorien."*
* Zitat nach: Bach, Otto: ''Über die Subjektabhängigkeit des Bildes von der Wirklichkeit im psychiatrischen Diagnostizieren und Therapieren''. In: Psychiatrie heute, Aspekte und Perspektiven, Festschrift für Rainer Tölle, Urban & Schwarzenberg, München 1994, ISBN 3-541-17181-2, (Zitat: Seite 1)
Alle medizinischen Aussagen und Informationen in diesem Wiki dienen nicht der medizinischen Beratung und können und sollen eine persönliche fachliche ärztliche Beratung nicht ersetzen!
Neue Seite anlegen