Konjunktivales Plattenepithelkarzinom

Erstellt am 09 Sep 2015 14:11
Zuletzt geändert: 09 Oct 2020 21:36

Das konjunktivale Plattenepithelkarzinom ist eine sehr seltene Erkrankung. Eine kanadische Registerstudie an pathologischen Präparaten, die wegen konjunktivaler Auffälligkeiten entnommen worden waren, fand sich nur in 0,71% der Fälle eine Plattenepithelkarzinom (Alves LF, Fernandes BF, Burnier JV, Zoroquiain P, Eskenazi DT, Burnier Jr MN. Incidence of epithelial lesions of the conjunctiva in a review of 12,102 specimens in Canada (Quebec). Arq Bras Oftalmol. 2011 Jan-Feb;74(1):21-3.)
Eine britische Studie fand bei Patienten, die sich wegen eines Pterygiums präsentierten, in 1,7% der Fälle ein Plattenepithelkarzinom (Oellers P, Karp CL, Sheth A, Kao AA, Abdelaziz A, Matthews JL, Dubovy SR, Galor A. Prevalence, treatment, and outcomes of coexistent ocular surface squamous neoplasia and pterygium. Ophthalmology. 2013 Mar;120(3):445-50. doi: 10.1016/j.ophtha.2012.08.010. Epub 2012 Oct 27.)

Die Experten-Datenbank Medscape gibt eine Prävalenz von 0,2 Fällen pro eine Millionen Einwohner im Vereinigten Königreich (Großbritannien) an. Damit würde es sich in Europa um eine so genannte „ultra-seltene“ Erkrankung handeln. In Afrika ist die Erkrankung demgegenüber verhältnismäßig häufig; es werden Prävalenzen bis zu 35 Fälle je Million Einwohner angegeben – was allerdings immer noch verhältnismäßig selten ist.

Bei HIV-Patienten liegt die Prävalenz auch in Europa und Nordamerika deutlich höher (etwa doppelt so hoch wie in der Normalbevölkerung) ; ist aber immer noch im Bereich der sehr seltenen Erkrankungen.

Aufgrund der Seltenheit, vor allem der Seltenheit in entwickelten Ländern, gibt es praktisch keine guten, randomisierten Studien.

Mehrere "Studien" bestehen aus einfachen Fallserien oder Einzelbeobachtungen, wie die folgenden drei Abstracts:

  • Poothullil AM, Colby KA. Topical medical therapies for ocular surface tumors. Semin Ophthalmol. 2006 Jul-Sep;21(3):161-9.

Die Arbeit fasst in einem narrativen Review die Ergebnisse publizierter Fallbeobachtungen von insgesamt 160 Patienten zusammen. Die Arbeit kommt zu dem Schluss, dass bei gleicher Wirksamkeit der drei topischen Therapien Mitomycin, 5-FU und Interferon-Alpha das Interferon das günstigste Nebenwirkungsprofil aufweise.

  • Shah SU, Kaliki S, Kim HJ, Lally SE, Shields JA, Shields CL. Topical interferon alfa-2b for management of ocular surface squamous neoplasia in 23 cases: outcomes based on American Joint Committee on Cancer classification. Arch Ophthalmol. 2012 Feb;130(2):159-64. doi: 10.1001/archophthalmol.2011.385.

Die Arbeit berichtet über eine Gruppe von 20 Patienten, die aus diversen Gründen nicht operiert wurden, sondern primär mit Interferon-Alpha behandelt wurden. Bei dieser Patientengruppe kam es zu einem Tumor-Rückfall 3 Monate nach Therapie-Ende (entsprechend 5 % der Fälle) und zu zwei Tumor-Neumanifestationen außerhalb des Ursprungstumors (entsprechend 10 % der Fälle) unter der Therapie. Die Mehrzahl der Patienten sprachen innerhalb von 6 Monaten auf die Therapie an (bei einigen Patienten waren offenbar beide Augen betroffen). Die Studie kann als "Proof-of-Concept" für die primäre Behandlung von Bindehautkarzinomen mit Interferon-Alpha angesehen werden – auch wenn sie nicht beweist, dass Interferon-Alpha besser, wirksamer oder verträglicher ist als andere Therapien.

  • Herold TR, Hintschich C. Interferon alpha for the treatment of melanocytic conjunctival lesions. Graefes Arch Clin Exp Ophthalmol. 2010 Jan;248(1):111-5.

Diese Publikation zeigt, dass Interferonen bei melanotischen Veränderungen wirkt. Leider kann man aus dieser Studie keine Schlussfolgerungen für das Plattenepithelkarzinom der Bindehaut ableiten.

Weitere Publikationen in der Literatur der letzten fünf Jahre, die in der Medline auffindbar ist:

  • Bahrami B, Greenwell T, Muecke JS. Long-term outcomes after adjunctive topical 5-flurouracil or mitomycin C for the treatment of surgically excised, localized ocular surface squamous neoplasia. Clin Experiment Ophthalmol. 2014 May-Jun;42(4):317-22.
  • Nanji AA, Moon CS, Galor A, Sein J, Oellers P, Karp CL. Surgical versus medical treatment of ocular surface squamous neoplasia: a comparison of recurrences and complications. Ophthalmology. 2014 May;121(5):994-1000.
  • Adler E, Turner JR, Stone DU. Ocular surface squamous neoplasia: a survey of changes in the standard of care from 2003 to 2012. Cornea. 2013 Dec;32(12):1558-61.
  • Nanji AA, Sayyad FE, Karp CL. Topical chemotherapy for ocular surface squamous neoplasia. Curr Opin Ophthalmol. 2013 Jul;24(4):336-42.
  • Krilis M, Tsang H, Coroneo M. Treatment of conjunctival and corneal epithelial neoplasia with retinoic acid and topical interferon alfa-2b: long-term follow-up. Ophthalmology. 2012 Oct;119(10):1969-73.
  • Othman IS. Ocular surface tumors. Oman J Ophthalmol. 2009 Jan;2(1):3-14.

Wenn man die Aussagen dieser Arbeiten zusammenfasst, so lässt sich formulieren, dass der Goldstandard der Therapie beim Bindehautkarzinom nach wie vor eine möglichst vollständige chirurgische Exzision sein sollte; dass jedoch adjuvante Therapieprinzipien zur Rezidivfreiheit beitragen.
Relativ gute Daten belegen den Nutzen einer additiv- intraoperativ angewendeten Kryotherapie. Eine adjuvante topische Therapie mit Mitomycin und 5-FU ist ebenfalls hinsichtlich eines zu erwartenden Patienten-Nutzens relativ gut belegt. Für beide Substanzen werden relevante Nebenwirkungen berichtet, die jedoch bei beiden vorübergehender Natur sind und nicht zu bleibenden Schäden am Auge führen.
Interferon-Alpha scheint nach den vorliegenden Daten etwas weniger unangenehme Nebenwirkungen zu verursachen als die beiden Chemotherapeutika. Allerdings scheint es bei Interferon etwas häufiger auch Therapieversager und unerklärliche Spät-Rückfalle zu geben als mit Mitomycin und 5-FU.

Die aktuelle, prospektive vergleichende Studie von Bahrami untersuchte zwar nur Mitomycin und 5-FU im Vergleich, doch gehen die Autoren in der Schlussdiskussion auch auf Interferon ein. Sie sehen keine Hinweise auf einen möglichen echten Vorteil der Interferon-Therapie, da diese im Schnitt deutlich längere Zeiträume benötige, um klinische Wirksamkeit zu erzielen, wodurch der Nutzen der schwächeren Nebenwirkungen im Netto-Effekt aufgehoben werde; denn längere Behandlungszeiträume führen zu höherer Patientenbelastung. Diese Argumentation erscheint stichhaltig.

Im Einzelfall könnte eine Einschätzung der betroffenen Patienten möglicherweise anders ausfallen, so dass eine ethisch vertretbare Off-Label-Behandlung eine Aufklärung der Patienten über die unterschiedlichen Nebenwirkungsprofile, die vorübergehende Natur der Nebenwirkungen aller drei hier zu diskutierenden topischen Adjuvantien sowie auch die je nach gewählter Substanz unterschiedliche, erforderliche Behandlungsdauer mit einbeziehen müsste.

Aus sozialmedizinischer Sicht scheint es nach ausführlicher Würdigung des wissenschaftlichen Erkenntnisstandes keine sehr gute Begründung für den Off-Label-Einsatz von Interferon gegeben.

Anzumerken ist, dass eine topische Anwendung von Lösungen mit Mitomycin oder 5-FU hinsichtlich des Applikationsortes und ggf. auch des Anwendungsgebietes häufig auch Off-Label sein wird. Allerdings sprechen die Datenlage in der Fachliteratur, die Empfehlungen in verschiedenen Leitlinien (z.B. Canadian Cancer Society, https://www.cancer.ca/en/cancer-information/cancer-type/eye/eye-cancer/conjunctival-tumours/conjunctival-squamous-cell-carcinoma/?region=on; Eye Cancer Network: http://www.eyecancer.com/conditions/26/squamous-carcinoma-and-intraepithelial-neoplasia-of-the-conjunctiva ) und die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung tendenziell für eine Bevorzugung dieser beiden Substanzen gegenüber dem Interferon.

Im Einzelfall sollten die betroffenen Patienten darüber informiert werden, wenn ein invasives Karzinom vorliegt, das ja in die regionalen Lymphknoten streuen und Metastasen setzen kann, während dies für die oberflächliche Form nicht zutreffen würde.
Dies könnte sich auf das Gewicht der Einschätzung des Patienten (also ob aus Patienten-Sicht die längere Therapiedauer bei gleichzeitig geringeren Nebenwirkungen des Interferons den beiden anderen Alternativen vorzuziehen sind) auswirken, denn beim invasiven Karzinom müsste sicherlich auf §2 Abs. 1a SGB V Bezug genommen werden.


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* Zitat nach: Bach, Otto: ''Über die Subjektabhängigkeit des Bildes von der Wirklichkeit im psychiatrischen Diagnostizieren und Therapieren''. In: Psychiatrie heute, Aspekte und Perspektiven, Festschrift für Rainer Tölle, Urban & Schwarzenberg, München 1994, ISBN 3-541-17181-2, (Zitat: Seite 1)

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