Erstellt am 16 Sep 2015 21:00
Zuletzt geändert: 21 Aug 2021 12:02
ICD 10:
I25 Chronische ischämische Herzkrankheit, I25.5 Ischämische Kardiomyopathie
I42 Kardiomyopathie - Exkl.: Ischämische Kardiomyopathie!
Z86.7 - Krankheiten des Kreislaufsystems in der Eigenanamnese (Z.B. bei Z. n. Herzinfarkt, Stent etc.)
Medizinischer Hintergrund
Seit einer Neudefinition durch die European Society Of Cardiology Working Group on Myocardial and Pericardial Diseases von 2008 sind Kardiomyopathien als myokardiale Erkrankungen definiert, bei denen der Herzmuskel ohne Vorliegen einer KHK, eines arteriellen Hypertonus, einer Herzklappenerkrankung oder eines angeborenen Herzfehlers strukturell und funktionell abnorm ist (siehe Artikel Kardiomyopathie in diesem Wiki).
Gemäß dieser Definition gibt es die ischämische Kardiomyopathie bzw. die Kardiomyopathie als Ausdruck einer koronaren Herzerkrankung definitorisch gar nicht (mehr). Der Begriff "ischämische Kardiomyopathie" wird allerdings in der Literatur weiter verwendet und findet sich auch (s.o.) in der ICD 10. Auch professionelle Organisationen verwenden den Begriff weiterhin, so z.B. die American Heart Association, die auf ihrer Webseite die dilatative Kardiomyopathie erklärt und dort die ischämische Kardiomyopathie als mögliche Form einer dilatativen Kardiomyopathie benennt.
Allgemein versteht man unter einer koronaren Herzkrankheit eine Manifestation der Atherosklerose an den Koronararterien, die mit Verhärtung, Elastizitätsverlust und Lumeneinengung einhergeht und zu einer Minderperfusion und somit zu einer Diskrepanz zwischen O2-Angebot und O2-Bedarf des Myokards führt.
Eine ischämische Herzkrankheit ist ein Sammelbegriff für klinisch-pathologische Erscheinungsformen, die infolge unzureichender myokardialer Sauerstoffversorgung und der mit dieser in Verbindung stehenden Myokardschädigung und/oder -funktionsstörung entstehen.
Pathophysiologie
Ursache für die koronare Herzerkrankung sind stenosierende atherosklerotische Plaques, die den Blutfluss in den Koronararterien behindern und somit die Sauerstoffversorgung der Kardiomyozyten gefährden.
Wird die Stenosierung zu gravierend oder lösen sich Teile der Plaques, kommt es zu einer akuten Minderversorgung der Zellen und damit zum akuten Koronarsyndrom (ACS) und zum Myokardinfarkt.
Entgegen früherer pathophysiologischer Überlegungen, dass eine zunehmend stenosierende Plaque zum Myokardinfarkt führt, weiß man mittlerweile, dass die meisten Infarktgeschehen durch die Ruptur einer zuvor kaum stenosierenden, sog. "instabilen Plaque" zustande kommen! Instabile Plaques wachsen abluminal ("vom Lumen weg" und daher kaum stenotisch), sind lipidreich und von einer dünnen fibrösen Kappe bedeckt → Hohe Rupturgefahr, die durch einen akuten Verschluss des Gefäßes zum Infarkt führt.
Da die Koronarangiographie lediglich das Lumen darstellt, entgehen diese instabilen Plaques einer elektiven Untersuchung → Die elektive Revaskularisation stenotischer Gefäße führt daher in erster Linie zu einer Symptomlinderung der Angina pectoris und weniger zur Verhinderung eines Myokardinfarktes!
Definition - Abgrenzung von Kardiomyopathien:
Felker GM, Shaw LK, O’Connor CM. A standardized definition of ischemic cardiomyopathy for use in clinical research. J Am Coll Cardiol 2002;39:210–8. (Volltext):
Ischemic cardiomyopathy is conventionally distinguished from DCM by the presence of a minimum 75% stenosis in the left main stem, proximal left anterior descending artery, or 2 or more epicardial coronary arteries on invasive or computed tomography coronary angiography.
- Schweregrade der Koronarstenosen:
Grad I: | 25 - 49 % | nicht signifikant |
Grad II: | 50 - 74 % | signifikante Stenose |
Grad III: | 75 - 99 % | kritische Stenose |
nach HEROLD Auflage 2018; S. 243.
- Kardiale Ischämie in Abhängigkeit vom Stenosegrad:
Stenosegrad | Ruheperfusion | Ischämie |
---|---|---|
0–40% | Normal | Ischämie bei Vasospasmen oder Mikrozirkulationsstörungen |
40–70% | Normal | Ischämie bei starker Belastung |
70–90% | Normal | Ischämie bereits bei leichter Belastung möglich |
>90% | Erniedrigt | Ischämie hängt vom Grad der Kollateralisierung ab |
Die Herzkrankgefäße gehen meistens von einem Hauptstamm aus, der sich in einen linken (LCA) und einen rechten (RCA) Hauptast aufteilt. Der LCA verzweigt sich in den Ramus interventricularis anterior (RIVA) = left anterior descending artery (LAD) und den Ramus circumflexus (RCX). In Abhängigkeit von der Zahl der stenosierten Gefäße (LAD, RCX, RCA) wird in 1-, 2- oder 3-Gefäßerkrankung differenziert.
Voraussetzung einer erfolgreichen Therapie bei einer koronaren Herzerkrankung ist insbesondere die Behandlung zugrundeliegender Störungen, wie die adäquate Therapie einen zu hohen Blutdrucks und/oder einer koronaren Herzerkrankung und/oder einer Fettstoffwechselstörung. Zur Behandlung gehören auch die Beseitigung von Herzklappenfehlern und/oder Verengungen von Herzkranzgefäßen (Stenosen). Bei ausgeprägten Stenosen in den Herzkranzgefäßen (Koronarien) ist deren weitestgehende Entfernung Voraussetzung für den Erfolg der gesamten Behandlung.
Patienten mit ischämischer Herzerkrankung tragen ein besonderes Risiko, wenn bei ihnen gehäuft ventrikuläre Extrasystolen (VES) auftreten (DocCheck: Ventrikuläre Extrasystole).
Auch Patienten, die neben der KHK noch an Diabetes mellitus leiden, sind stets Risiko-Patienten. Die Nationale VersorgungsLeitlinie (NVL) Chronische KHK enthält die Empfehlung, bei diesen Patienten als Revaskularisationsmaßnahme stets eine Bypassoperation anzubieten.
Revaskularisation
Die Leitlinien der Europäischen - und der deutschen - Gesellschaft für Kardiologie von 2017 bzw. 2018 enthalten folgende Empfehlung zur Bypassoperation:
Die Notfall-Bypassoperation (ACB-OP) sollte für Patienten mit einer offenen IRA erwogen werden, die aber eine für die PCI ungeeignete Anatomie und entweder einen großen gefährdeten Myokard-Bereich oder einen kardiogenen Schock aufweisen. Bei Patienten mit Herzinfarkt-assoziierten mechanischen Komplikationen, deren Behebung eine koronare Revaskularisierung erfordert, wird die koronare Revaskularisation zum Zeitpunkt der operativen Korrektur der strukturellen Infarktkomplikationen empfohlen.
Das optimale Timing für eine nicht-notfallmäßige ACB-OP bei stabilisierten Patienten nach Herzinfarkt sollte individuell festgelegt werden. Patienten mit hämodynamischer Verschlechterung oder mit hohem Risiko für rezidivierende ischämische Ereignisse (d. h. Patienten mit großem, hinsichtlich kritischer Koronarstenosen gefährdeten Myokardbereich oder rezidivierender Ischämie) sollten so schnell wie möglich operiert werden, ohne auf die vollständige Wiederherstellung der Thrombozytenfunktion nach dem Absetzen von DAPT zu warten.
- De Innocentiis C, Zimarino M, De Caterina R. Is Complete Revascularisation Mandated for all Patients with Multivessel Coronary Artery Disease? Interv Cardiol. 2018 Jan;13(1):45-50. (PMC Volltext)
In multivessel coronary artery disease (MVCAD), myocardial revascularisation can be achieved by percutaneous coronary intervention (PCI) or coronary artery bypass grafting (CABG), with complete revascularisation on all diseased coronary segments or with incomplete revascularisation on selectively targeted lesions. Complete revascularisation confers a long-term prognostic benefit, but is associated with a higher rate of periprocedural events compared with incomplete revascularisation. In most patients with MVCAD, the main advantage of CABG over PCI is conferred by the achievement of more extensive revascularisation. According to current international guidelines, PCI is generally preferred in single-vessel disease, low-risk MVCAD or isolated left main disease; whereas CABG is usually recommended in patients with complex two-vessel disease, most patients with three-vessel disease and/or non-isolated left main disease. In patients with MVCAD, the choice on revascularisation modality should depend on a multifactorial evaluation, taking into account not only coronary anatomy, the ischaemic burden, myocardial function, age and the presence of comorbidities, but also the adequacy of myocardial revascularisation.
Non-obstructive coronary artery disease
- Fogoros RN. The New Way of Thinking About Coronary Artery Disease. Updated August 08, 2018; VeryWellHealth.
- Bach RG. Angiographically insignificant yet ischemia-causing coronary lesions: a case for routine use of invasive physiologic testing during diagnostic cardiac catheterization. J Thorac Dis. 2018 Sep;10(Suppl 26):S3088-S3091. doi: 10.21037/jtd.2018.08.07.:
(I) among lesions considered insignificant by common angiographic standards, a significant minority can be shown to have an myocardial fractional flow reserve (FFR) associated with ischemia; and
(II) as might be expected from the experience accumulated thus far with FFR, despite their misleadingly benign angiographic appearance, lesions with a diameter stenosis <50% but an FFR ≤0.80 are associated with increased adverse ischemic outcomes.
- Kissel CK, Chen G, Southern DA, et al. APPROACH investigators. Impact of clinical presentation and presence of coronary sclerosis on long-term outcome of patients with non-obstructive coronary artery disease. BMC Cardiovasc Disord. 2018 Aug 22;18(1):173.
This study underlines the importance of minimal CAD, as it is not a benign disease entity and portends a similar risk as stable obstructive CAD.
- Brainin P, Frestad D, Prescott E. The prognostic value of coronary endothelial and microvascular dysfunction in subjects with normal or non-obstructive coronary artery disease: A systematic review and meta-analysis. Int J Cardiol. 2018 Mar 1;254:1-9. doi: 10.1016/j.ijcard.2017.10.052.
To our knowledge, the present study is the first systematic metaanalysis to address the association between coronary vascular function and prognosis in patients without obstructive CAD. With the use of data from 26 prospective studies, our meta-analyses shows that in patients with normal or non-obstructive CAD, the presence of coronary vascular dysfunction is a significant predictor of increased cardiovascular risk.
Evidently there is a need of consensus in defining a cut-off point for epicardial endothelial dysfunction assessed using endothelial dependent vasodilators. We excluded studies of vasospastic angina, defined as vasoconstriction, ischemic ECG pattering and angina in response to ACh.
Conclusion:
Our results confirm that coronary vascular dysfunction, including epicardial endothelial dysfunction and coronary microvascular dysfunction, is associated with adverse cardiovascular events in patients with normal epicardial arteries or non-obstructive CAD.
- Lee JM, Koo BK, Shin ES, et al. Clinical Outcomes of Deferred Lesions With Angiographically Insignificant Stenosis But Low Fractional Flow Reserve. J Am Heart Assoc. 2017 Aug 22;6(8). pii: e006071. doi: 10.1161/JAHA.117.006071 (Volltext).:
Conclusion:
In deferred angiographically insignificant stenosis, lesions with low FFR showed significantly higher event rates than those with high FFR. FFR was an independent predictor of future major adverse cardiovascular events in lesions with angiographically insignificant stenosis.
CLINICAL TRIAL REGISTRATION: URL: http://www.clinicaltrials.gov. Unique identifier: NCT01621438.
- Sueda S, Miyoshi T, Sasaki Y, et al. One of six patients with non-ischemic heart disease exhibit provoked coronary spasms: non-ischemic heart disease associated with ischemia? Intern Med. 2015;54(3):281-6. doi: 10.2169/internalmedicine.54.2660.
Conclusion:
Physicians should perform spasm provocation tests in patients with IHD as well as non-IHD with non-ob-CAD, as one of six non-IHD patients in this study exhibited provoked coronary spasms.
- Maddox TM, Stanislawski MA, Grunwald GK, et al. Nonobstructive Coronary Artery Disease and Risk of Myocardial Infarction. JAMA. 2014 Nov 5;312(17):1754-63. (PMC Volltext):
Consistent with standard definitions of flow-limiting stenoses, nonobstructive CAD was defined as a coronary artery stenosis 20% or greater but less than 50% in the left main coronary artery or a stenosis 20% or greater but less than 70% in any other epicardial coronary artery, as recorded by the clinician in the catheterization report.
Conclusion:
In this cohort of patients undergoing elective coronary angiography, nonobstructive CAD, compared with no apparent CAD, was associated with a significantly greater 1-year risk of MI and all-cause mortality. These findings suggest clinical importance of nonobstructive CAD and warrant further investigation of interventions to improve outcomes among these patients.
Quellen
- Kardiologie.org vom 15.02.2017: KHK und Herzinsuffizienz: Überlebensvorteil mit Koronararterien-Bypass
- Nationale VersorgungsLeitlinie (NVL) Chronische KHK
- Universitätsmedizin Mainz: Koronare Herzkrankheit
Literatur
- Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz-und Kreislaufforschung e.V. ESC Pocket Guidelines. Therapie des akuten Herzinfarktes bei Patienten mit ST-Streckenhebung (STEMI), Version 2017. Börm Bruckmeier Verlag GmbH, Grünwald 2018. Kurzfassung der "ESC Guidelines for the management of acute myocardial infarction in patients presenting with ST-segment elevation". European Heart Journal doi:10.1093/eurheartj/ehx393.
- Kelm, M., Kastrati, A., Nef, H. et al. Kommentar zu den Leitlinien 2017 der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) zur Therapie des akuten Herzinfarktes bei Patienten mit ST-Streckenhebung. Kardiologe 2018 · 12:145–149. doi.org/10.1007/s12181-018-0237-6.
- Sandhu AT, Heidenreich PA, Bhattacharya J, Bundorf MK. Cardiovascular Testing and Clinical Outcomes in Emergency Department Patients With Chest Pain. JAMA Intern Med. 2017 Aug 1;177(8):1175-1182. doi: 10.1001/jamainternmed.2017.2432.
- ESC Scientific Document Group. 2017 ESC Guidelines for the management of acute myocardial infarction in patients presenting with ST-segment elevation: The Task Force for the management of acute myocardial infarction in patients presenting with ST-segment elevation of the European Society of Cardiology (ESC) European Heart Journal, Volume 39, Issue 2, 7 January 2018, Pages 119–177, https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehx393 Published: 26 August 2017.
- Agewall S, Beltrame JF2, Reynolds HR, et al. WG on Cardiovascular Pharmacotherapy. ESC working group position paper on myocardial infarction with non-obstructive coronary arteries. Eur Heart J. 2017 Jan 14;38(3):143-153. (Volltext)
- Thygesen K, Alpert JS, Jaffe AS, et al. ESC Committee for Practice Guidelines (CPG). Third universal definition of myocardial infarction. Eur Heart J. 2012 Oct;33(20):2551-67. (Volltext)
Ätiologie
- Yao BC, Meng LB, Hao ML, Zhang YM, Gong T, Guo ZG. Chronic stress: a critical risk factor for atherosclerosis. J Int Med Res. 2019 Apr;47(4):1429-1440. doi: 10.1177/0300060519826820. Epub 2019 Feb 24. PMID: 30799666; PMCID: PMC6460614.
Infarkt
Neu aufgetretener Linksschenkelblock bzw. Rechtsschenkelblock sind bei klinischem Verdacht und entsprechender Symptomatik als STEMI zu bewerten. (AMBOSS: Akutes Koronarsyndrom und Myokardinfarkt)
Siehe auch in diesem Wiki:
- Arrythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie (ARVCM
- CTO - Chronischer Koronarverschluss
- Herzinsuffizienz
- Herzkatheteruntersuchung
- Hypertonie
- Implantierbarer Kardioverter-Defibrillator (ICD)
- Kardiomyopathie
- Kardioversion
- Katheter-Ablation
- LifeVest
- Myokarditis
- Ventrikuläre Arrhythmie
- Vorhofflimmern und Defibrillatoren
Weblinks
- DocCheck Flexikon: Chronische ischämische Herzkrankheit
- Ärzteblatt: Koronare Herzkrankheit: Der Ischämienachweis ist der Angelpunkt der Diagnostik
- Ärzte Zeitung online, 09.09.2017: Was sich in den neuen europäischen Leitlinien geändert hat
- Ärzte Zeitung online, 21.03.2018: Von Herzinsuffizienz nach Infarkt ist fast jeder Vierte betroffen
- Vergleich der interhospitalen Sekundärprophylaxe nach ST-Hebungsinfarkt im Interventionszentrum versus Nicht--Interventionszentrum in den Jahren 2006 bis 2011 - erfasst anhand des Kölner Infarkt Modells (KIM) - Dissertation Clara Christina Bartel 2016
- Syntax-Score.
- VeryWellHealth: What You Need To Know About Coronary Artery Disease.
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* Zitat nach: Bach, Otto: ''Über die Subjektabhängigkeit des Bildes von der Wirklichkeit im psychiatrischen Diagnostizieren und Therapieren''. In: Psychiatrie heute, Aspekte und Perspektiven, Festschrift für Rainer Tölle, Urban & Schwarzenberg, München 1994, ISBN 3-541-17181-2, (Zitat: Seite 1)
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