Hypertonie

Erstellt am 24 Sep 2017 15:02
Zuletzt geändert: 19 Sep 2022 14:12

Definition

Diskussion

Obwohl es sich bei der arteriellen Hypertonie um eines der häufigsten Gesundheitsprobleme überhaupt handelt, dessen Bedeutung für die gesamte Bevölkerung als außerordentlich hoch eingeschätzt wird; sind nach wie vor viele Fragen zu Definition und Schwellenwerten, Diagnostik und Therapie sowie Therapiezielen ungeklärt.

  • KVH-Journal November 2021: Blutdruckzielwerte für die Hypertoniebehandlung - SPRINT versus Cochrane und die Rolle der Blutdruckmessung; von Ingrid Mühlhauser, Download über Netzwerk evidenzbasierte Medizin. Die Publikation enthält eine Tabelle mit den zusammengefassten aktuellen Ergebnissen der Cochrane-Analyse zu blutdrucksenkenden Strategien. Die einzige Aussage, für eine hohe Aussage-Sicherheit attestiert wird, ist diese: "Niedrigere Blutdruck-Zielwerte reduzieren nicht die Mortalität."

… Im unteren Blutdruckbereich sind die ambulanten Werte etwas höher als die Praxiswerte in Ruhe, weil hier zahlreiche Einflüsse aus dem Alltag hinzukommen. … Die maskierte Hypertonie ist definiert als eine Hypertonieform mit normalen Blutdruckwerten in der Praxis/Klinik und erhöhten Werten im Alltag außerhalb der Praxis/Klinik in der ambulanten Blutdruck-Langzeitmessung (ABDM) oder in der Selbstmessung (8). Sie ist das Gegenstück zur Praxishypertonie. In der deutschen Pharao-Studie war die maskierte Hypertonie mit 35 % doppelt so häufig wie die Praxishypertonie mit 16 % … Telemedizin – die Bedeutung neuer telemedizinischer Interventionen wird erstmalig in den amerikanischen Leitlinien angesprochen. Metaanalysen konnten zeigen, dass mittels Blutdruck-Telemonitoring eine bessere Blutdruckeinstellung gelang im Vergleich zur Selbstmessung ohne Teletransmission der Blutdruckwerte aus dem Alltag und im Vergleich mit der konventionellen Behandlung in der Praxis. … Deutsche Empfehlungen – die Deutsche Hochdruckliga/Deutsche Gesellschaft für Hypertonie und Prävention hat aktuell für den Zielblutdruck einen Korridor von 125–134 mmHg systolisch empfohlen, in Abhängigkeit vom kardiovaskulären Risiko, und < 85 mmHg für den diastolischen Blutdruck, auf Basis der konventionellen Praxismessung (im Sitzen nach 5 Minuten Ruhe, mindestens 2 Messungen im Abstand von 1 Minute mit Angabe des niedrigeren Wertes), …

So schreiben Professor Franz Messerli und Professor Sripal Bangalore in einem im "Journal of the American Collage" (2018; 71 (2): 119-121) erschienenen Editorial, dass die Absenkung von Grenzwerten momentan in Mode gekommen ist mit dem Ziel, eine Therapie starten zu können, ehe Schaden entstehe. Dies berge die Gefahr, dass dadurch zu viele "unschuldige" Menschen erfasst würden.
Man müsse bedenken, dass der Grenzwert für alle identisch sei, für jung und alt, Diabetiker und Nierenkranke. Nur sehr wenige US-Bürger in einem Alter über 75 Jahren würden demnach überhaupt noch "gesund" sein. Einen gesunden Menschen als "krank" zu bezeichnen, habe aber einen Preis, bemerken die beiden Kardiologen.

Wir beurteilen die Qualität der zusammengefassten Evidenz als niedrig und sind nicht in der Lage die Frage, welcher Zielblutdruck besser ist, adäquat zu beantworten.

Die Evidenz in diesem Review ist von moderater Qualität und zeigt, dass die Häufigkeit von Herzinfarkten durch blutdrucksenkende Medikamente vermindert wird, jedoch nicht die Häufigkeit des plötzlichen Herztods. Dies lässt vermuten, dass der plötzliche Herztod nicht hauptsächlich durch einen Herzinfarkt verursacht wird.

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Literatur

Abstract
American Heart Association/the American College of Cardiology and nine other professional organizations have issued a new hypertension clinical practice guideline (CPG) on November 2017, which has lowered the hypertension threshold to 130/80 mmHg. American Academy of Family Medicine has decided to not endorse this new CPG for various reasons including flaws in CPG development process and a limited additional benefit for lower treatment targets. The major concern was intellectual conflict of interest (COI). Substantial weight was given to SPRINT trial, which provided the basis for the recommended change in blood pressure targets. It is a serious intellectual COI that the Chair of the SPRINT trial steering committee was commissioned as chair of the guideline panel. The new threshold would lead to 46 percent of the U.S. adult population being categorized as having hypertension, while using the previous threshold that figure would be 32 percent. Should we call this change as overdiagnosis?

Conclusion:
Therapy with candesartan at a dose of 16 mg per day plus hydrochlorothiazide at a dose of 12.5 mg per day was not associated with a lower rate of major cardiovascular events than placebo among persons at intermediate risk who did not have cardiovascular disease.

Leitlinien

Sonstiges

Medizinischer Hintergrund – grundsätzliche Erläuterungen zur arteriellen Hypertonie:

In Europa liegt die Prävalenz der arteriellen Hypertonie bei ca. 50 %. In den Industrienationen steigen der systolische Blutdruck1 und die Prävalenz des Hypertonus mit dem Lebensalter, während der diastolische Blutdruck im Allgemeinen nach dem 60. Lebensjahr absinkt. Die Häufigkeit des arteriellen Hypertonus ist neben dem Lebensalter auch abhängig vom Körpergewicht, vom sozioökonomischen Status und vom Geschlecht (häufiger bei Männern, aber zunehmend bei Frauen nach der Menopause).

Geschätzt 90 % aller Hypertoniker haben eine so genannte primäre oder essentielle Hypertonie. Diese Form des Bluthochdrucks wird auch als idiopathische Hypertonie bezeichnet. Es handelt sich um eine Ausschlussdiagnose, die dadurch definiert ist, dass keine erkennbaren Ursachen des erhöhten Blutdrucks gefunden werden können. Ein primärer Hypertonus tritt in der Regel erst jenseits des 30. Lebensjahres auf und stellt eine multifaktorielle, polygene Erkrankung dar.

Ätiologie und Behanldungsstrategien

Ernährungsfaktoren (Übergewicht, Insulinresistenz, erhöhter Alkoholkonsum, vermehrte Kochsalzaufnahme), Stressfaktoren, Rauchen, zunehmendes Alter, Immobilität, niedriger sozioökonomischer Status sowie erniedrigte Kalium- und Kalziumaufnahme sind begünstigende Faktoren. Daher ergeben sich auch bereits therapeutische Ansätze aus einer – soweit möglich – Beeinflussung dieser Faktoren. Allgemeinmaßnahmen wie eine Gesichtsnormalisierung gehören zur Basistherapie jeder Hypertonie.

Ein dauernd zu hoher Blutdruck erhöht das Risiko für Herzerkrankungen oder Erkrankungen der Herzgefäße (kardiovaskuläre Erkrankungen). Zur Abschätzung des individuellen Risikos, im Laufe der nächsten 10 Jahre ein kardiovaskuläres Risiko-Ereignis zu erleiden, existieren verschiedene Berechnungs-Schemata, so genannte Risiko-Kalkulatoren für kardiovaskuläre Erkrankungen. Ein bekannter solcher Risiko-Kalkulator ist der so genannte PROCAM-Score, der die Wahrscheinlichkeit sowohl tödlicher als auch nichttödlicher Ereignisse wie Herzinfarkte, Schlaganfälle innerhalb der nächsten 10 Jahre wiedergibt. Eine andere Berechnungsmethode, der ESC-Risikokalkulator (ESC-Score) liefert nur Schätzungen für tödliche Ereignisse.

Als „hohes kardiovaskuläres Risiko“ gilt ein geschätztes Zehnjahresrisiko von mehr als 5 %, wenn es mit Hilfe des ESC-Score berechnet wurde bzw. von mehr als 20 %, wenn es mit dem PROCAM-Kalkulator geschätzt wurde.

Unter hypertensiver Herzkrankheit versteht man alle krankhaften Folgen einer andauernden Blutdruckerhöhung am Herzen.

Diese äußern sich am Herzen unter anderem durch eine Vergrößerung des linken Herzens (Linksherzhypertrophie) und mit zunehmendem Schweregrad auch durch einen zunehmenden Leistungsabfall des linken Herzens. Dies bezeichnet man in der Frühphase als diastolische Dysfunktion, weil hier nur die direkte Auswurfleistung in der so genannten Diastole (Phase des Zusammenziehens und Auspressens) des Herzens betroffen ist. Bei Fortschreiten der Schädigung am Herzen kommt es in der Regel auch zu einer Störung in der Phase der Wiederauffüllung der linken Herzkammer, der Diastole. In diesem Stadium spricht man von einer Insuffizienz der linken Herzkammer bzw. des linken Ventrikels (Linksherzinsuffizienz).

Diagnostisch können hypertensive, durch dauernden Bluthochdruck verursachte, Herzveränderungen am besten echokardiografisch festgestellt werden. Bei der Echokardiographie spricht man vom Goldstandard der Diagnostik einer Linksherzhypertrophie. Gemessen wird die Dicke der Wand zwischen den Herzkammern (Septumdicke) am Ende der diastolischen Phase, wenn das Herz seine maximale Ausdehnung erreicht hat. Wird hier eine Septumdicke von mehr als 11 mm (Messpunkt in Höhe der geöffneten Mitralklappe) gefunden, gilt die Diagnose einer Linksherzhypertrophie als gesichert.

Die hypertensive Herzkrankheit geht meist mit einer allgemeinen Arteriosklerose einher. Diese führt bei ca. 15 % der Hypertoniekranken im Laufe der Zeit zu einer Komplikation in Form von Durchblutungsstörungen im Gehirn bis hin zum Schlaganfall (so genannte zerebrovaskuläre Erkrankungen).

Ein wichtiges Organ, das durch eine langjährige, nicht ausreichend eingestellte Hypertonie nachhaltig geschädigt werden kann, ist die Niere. Hier kann es zur Ausbildung einer so genannten hypertensiven Nephropathie kommen.

Grundlage einer adäquaten Behandlung ist – neben der Differenzierung zwischen primärer und sekundärer Hypertonie – unter anderem die korrekte Feststellung des Schweregrades der Hypertonie.

Gelegentlich kann eine ambulante 24-Std.-Blutdruckmessung zur genaueren und realistischeren Einschätzung des Schweregrades einer Hypertonie beitragen.

Die Therapie einer diagnostisch gesicherten Hypertonie setzt sich zusammen aus einer Basistherapie, welche Allgemeinmaßnahmen wie die bereits angesprochene Gewichtsnormalisierung und andere Maßnahmen zur Regulierung der Lebensweise umfassen. Allein durch Ausschöpfung aller durchführbaren Allgemeinmaßnahmen soll es möglich sein, 25 % der leichten Hypertonien (Schweregrad 1) zu normalisieren.

Es gibt auch Hinweise in der aktuellen wissenschaftlichen Literatur, dass eine Supplementierung mit fettlöslichen Vitaminen eine Hypertonie (sowie die Begleitung- und Folgeerkrankungen) günstig beeinflussen kann:

Medikamentöse Therapie

Wenn die Basismaßnahmen nicht ausreichen, wird eine medikamentöse Therapie erforderlich.

Diese wird in schweren Fällen in der Regel als Kombinationstherapie in niedriger Dosierung begonnen. Als Medikamente der ersten Wahl werden gemäß nationaler und internationaler Leitlinien Diuretika vom Thiazid-Typ, ACE-Hemmer, Angiotensin-Rezeptorblocker (ARB), langwirksame Kalziumantagonisten und – mit Einschränkungen auch Betablocker – angesehen.

Ein Vorteil für eine Behandlung mit den Angiotensin-Rezeptorblocker (ARB) gegenüber den ACE-Hemmern wurde dabei bislang nicht nachgewiesen.

Bei Herzinsuffizienz, also bereits messbar eingeschränkter Herzleistung, werden besonders folgende Arzneimittel als günstig angesehen:

Diuretika; ACE-Hemmer; Angiotensin-Rezeptorblocker und von den Beta-Rezeptorenblockern die Substanzen Metoprolol, Bisoprolol und Carvedilol.

NB: Für Diuretika konnte ein gesundheitlicher Nutzen nur bei Stauungssymptomen (insbesondere kardiale Ödeme) nachgewiesen werden!

Ziel der langfristigen medikamentösen Therapie ist es, den Blutdruck mit den geringstmöglichen Nebenwirkungen zu normalisieren. Bei der Aufstellung eines Therapieplanes sind daher individuelle Besonderheiten der Verträglichkeit, Begleiterkrankungen und mögliche Interaktionen mit anderen eingenommenen Medikamenten ebenso zu berücksichtigen wie Besonderheiten des so genannten zirkadianen Blutdruckverhaltens2 im Einzelfall.

Speziell zur Einschätzung einer günstigen Verteilung der Arzneimittelgaben im Tagesverlauf kann die ambulante 24-Std.-Blutdruckmessung (ABDM-Messung) beitragen, da hier erkennbar wird, ob es zu Nachtabsenkung des Blutdrucks kommt oder nicht und ob entsprechend eine abendliche Gabe eines Antihypertonikums sinnvoll sein kann oder eher nicht.

Eine arterielle Hypertonie gilt als therapieresistent (therapierefraktär), wenn sie sich durch eine tatsächlich durchgeführte 3fach-Therapie nicht leitliniengerecht einstellen lässt.

Siehe auch in diesem Wiki:


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* Zitat nach: Bach, Otto: ''Über die Subjektabhängigkeit des Bildes von der Wirklichkeit im psychiatrischen Diagnostizieren und Therapieren''. In: Psychiatrie heute, Aspekte und Perspektiven, Festschrift für Rainer Tölle, Urban & Schwarzenberg, München 1994, ISBN 3-541-17181-2, (Zitat: Seite 1)

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