Hodgkin-Lymphom

Erstellt am 13 Sep 2015 23:27
Zuletzt geändert: 26 Jul 2018 10:22

Als Lymphogranulomatose oder Hodgkin-Krankheit bezeichnet man eine bösartig verlaufende Erkrankung der Lymphknoten und des lymphatischen Gewebes (malignes Lymphom) mit tumorartigen Wucherungen, Bildung von Graunulomen aus Lymphozyten, Granulozyten und atypischen Retikulumzellen. Die neoplastischen Zellen lassen sich in der überwiegenden Zahl der Fälle von B-Lymphozyten ableiten. Charakteristisch ist eine geringe Zahl von malignen Hodgkin-Reed-Sternberg (HRS) Zellen, die von zahlreichen reaktiven Zellen (Bystander Cells) umgeben sind.

Die häufigsten Primärlokalisationen sind zervikal (60-80%), mediastinal und inguinal. Die Ausbreitung des Hodgkin-Lymphoms erfolgt sowohl lymphogen oder per continuitatem in lymphatische Organe als auch hämatogen oder per continuitatem in extralymphatische Organe.

Epidemiologie

Die Inzidenz beträgt 2-3/100.000 pro Jahr. Der Altersgipfel liegt bei ca. 32 Jahren.

Klassifikation

Die Klassifikation des Hodgkin Lymphoms erfolgt nach der WHO-Klassifikation:

  • Lymphozytenprädominantes Hodgkin Lymphom (NLPHL; Synonyme: LPHD, noduläres Paragranulom)

Das NLPHL macht etwa 5% aller Hodgkin Lymphome aus. Die malignen Zellen werden im Unterschied zum klassischen Hodgkin Lymphom L&H (lymphocytic and histiocytic) genannt und tragen meist die BZell-Antigene CD20 und CD79a

  • klassisches Hodgkin Lymphom (cHL)
  • Nodulär-sklerosierender Typ (NS)
  • Mischtyp (MC)
  • Lymphozytenreicher Typ (LR)
  • Lymphozytenarmer Typ (LD)
  • Nicht-klassifizierbar.

Die Tumorzellen des klassischen Hodgkin-Lymphoms werden als Hodgkin- und Reed-Sternberg-Zellen (H-RS) bezeichnet und tragen typischerweise die Antigene CD30 und CD15. Die histologische Subklassifikation innerhalb der Diagnose klassisches Hodgkin Lymphom (cHL) hat bisher keine therapeutischen Konsequenzen.

Diagnostik

Die histologische Diagnose erfolgt durch eine Lymphknotenbiopsie, wobei wenn möglich ein ganzer Lymphknoten entnommen werden sollte. Eine Feinnadelaspiration (Zytologie) ist aufgrund des geringen Anteils an HRS Zellen und der nicht-beurteilbaren Lymphknotenstruktur nicht ausreichend. Da die Diagnosestellung für den Pathologen sehr schwierig sein kann, sollte eine Beurteilung durch einen Referenzpathologen angestrebt werden. Bei initialer Beurteilung als „reaktive Veränderung“ und klinischer Progredienz sollte eine erneute Biopsie durchgeführt werden.

Da die Therapie des Hodgkin-Lymphoms streng Stadien-abhängig erfolgt, ist eine präzise Festlegung des initialen Stadiums (Staging) unbedingt erforderlich.

Die routinemäßige Durchführung einer Positronen-Emissions-Tomographie (PET) im Rahmen des initialen Stagings wird nicht empfohlen, da es bisher keine Daten für ein verbessertes Outcome gibt. Sie kann jedoch bei in der CT grenzwertig vergrößerten Lymphknoten erwogen werden, sofern ein Befall die Therapieauswahl beeinflussen würde. Hierbei ist zu bedenken, dass auch entzündlich veränderte Lymphknoten (häufige Differentialdiagnose) in der PET mit einem erhöhten FDG-Uptake einhergehen können, so dass eine histologische Klärung häufig dennoch erforderlich ist.

Stadieneinteilung

Die Stadieneinteilung erfolgt von Stadium I bis IV nach der modifizierten Ann-Arbor-Klassifikation:

Stadium I Befall in einer Lymphknotenregion
oder
Vorliegen eines einzigen lokalisierten Befalls außerhalb des lymphatischen Systems (I,E)
Stadium II Befall von zwei oder mehr Lymphknotenregionen auf der gleichen Seite des Zwerchfells
oder
lokalisierter Befall außerhalb des lymphatischen Systems und von Lymphknotenregionen auf der gleichen Seite des Zwerchfells
Stadium III Befall von zwei oder mehr Lymphknotenregionen bzw. von Organen außerhalb des lymphatischen Systems auf beiden Seiten des Zwerchfells
Stadium IV Nicht lokalisierter, diffuser oder disseminierter Befall einer oder mehrerer extralymphatischer Organe mit oder ohne Befall von lymphatischen Gewebe
Zusatz A Es liegen keine B-Symptome vor.
Zusatz B Es liegen B-Symptome vor.

B-Symptome:

  • nicht anderweitig erklärbares Fieber über 38oC;
  • nicht anderweitig erklärbarer Nachtschweiß (Wechsel der Nachtwäsche);
  • nicht anderweitig erklärbarer Gewichtsverlust von mehr als 10% des Körpergewichtes innerhalb von 6 Monaten.

Therapie

Patienten mit Hodgkin Lymphom sollten nach Möglichkeit im Rahmen von klinischen Studien behandelt werden.

Die Therapie sollte unmittelbar nach der Diagnose und der Stadienfestlegung beginnen. Da die Therapieintention bei Erstdiagnose fast immer kurativ ist, sollte eine Dosisreduktion nur bei harter Indikation erfolgen. Lediglich bei extrem komorbiden Patienten kann eine primär palliative Therapiestrategie erwogen werden.

Therapie des NLPHL

Die Prognose für Patienten mit lokalisiertem Stadium (Stadium IA) ohne Risikofaktoren ist hervorragend. Für diese Patienten ist eine alleinige Strahlentherapie ausreichend.
Patienten mit ausgedehnterem Befall sollten Stadien-adaptiert analog den Therapieempfehlungen für das cHL behandelt werden.

Frühe Stadien (cHL)

Standardtherapie für frühe Stadien (1A/B ohne Risikofaktoren) ist eine Kombinationstherapie, bestehend aus einer kurzen Chemotherapie mit 2 Zyklen des ABVD Regimes; gefolgt von einer Involved-Field-Radiotherapie (IF-RT).

Intermediäre Stadien (cHL)

Standardtherapie für intermediäre Stadien (1A/B oder 2A und eingeschränkt auch 2B mit Risikofaktoren) ist eine Kombinationstherapie bestehend aus einer Chemotherapie mit 4 Zyklen des ABVD Regimes; gefolgt von einer Involved-Field-Radiotherapie (IF-RT).
Allerdings zeigte die Endauswertung der HD14-Studie der GHSG eine Verbesserung der Tumorkontrolle (Progressionsfreiheit nach 5 Jahren) von 89,1 % auf 95,4 % unter Verwendung von 2 Zyklen BEACOPPeskaliert1 gefolgt von 2 Zyklen ABVD (2+2) und 30Gy IF-RT. Der Benefit dieses “2+2” Schemas gilt über alle Risikogruppen innerhalb der intermediären Stadien.

Fortgeschrittene Stadien (cHL)

Standard für fortgeschrittene Stadien ( 3 und 4 oder 2B mit großem Mediastinaltumor oder extranodalem Befall) ist eine alleinige Chemotherapie mit BEACOPPeskaliert. Im Rahmen der HD15-Studie der GHSG wurde gezeigt, dass eine Therapie mit lediglich 6 Zyklen BEACOPPeskaliert weniger toxisch und dabei effektiver ist als der bisherige Standard von 8 Zyklen BEACOPPeskaliert (FFTF 89,3% vs. 84,4%; OS 95,3% vs. 91,9%).

Therapie für Patienten über 60 Jahre (cHL)

Patienten, die älter als 60 Jahre sind, sollten aufgrund der erhöhten Toxizität nicht mit BEACOPPeskaliert behandelt werden. Es wird empfohlen, diese Patienten stadienadaptiert mit 2, 4 bzw. 6-8 Zyklen ABVD zu behandeln.

Therapie im Rezidiv

Generell wird zwischen Patienten mit einem Frührezidiv (3-12 Monate nach Ende der Primärtherapie) und solchen mit einem Spätrezidiv (mehr als 12 Monate nach Ende der Primärtherapie) unterschieden. Patienten mit einen Frührezidiv haben eine schlechtere Prognose als Patienten mit einem Spätrezidiv.

Für die meisten Patienten im 1. Rezidiv stellt eine Reinduktionstherapie gefolgt von einer Hochdosischemotherapie mit anschließender autologer Stammzelltransplantation die Therapie der Wahl dar.

Zur Reinduktion und Stammzellmobilisierung stellen 2 Zyklen DHAP2 gefolgt von Hochdosischemotherapie mit autologer Stammzelltransplantation (HDCT/APBSCT) den Standard dar.

Für eine kleine Untergruppe (Primärtherapie mit 2 Zyklen ABVD plus IF-RT, Spätrezidiv) kann eine intensive konventionelle Chemotherapie mit z. B. 6 Zyklen BEACOPPeskaliert in Betracht kommen.

Für Patienten mit einem Rezidiv nach einer autologen Stammzelltransplantation (APBSCT) ist kein Standard definiert. Die Auswahl der Therapie sollte den Gesamtzustand des Patienten sowie die bisherigen Therapien und vorliegende Begleiterkrankungen berücksichtigen:

Europaweit zugelassen für die Rezidivtherapie nach autologer Stammzelltransplantation ist das Antikörper-Drug-Konjugat (ADC) Brentuximab, Handelsname Acetris.

Für die Rezidivtherapie nach autologer Stammzelltransplantation bei (sehr) jungen Chemotherapie-sensiblen Patienten in gutem Allgemeinzustand kann gemäß Empfehlungen der Deutschen Studiengruppe Hodgkin-Lymphome (GHSG) eine allogene Stammzelltransplantation in Erwägung gezogen werden.

Für Patienten mit einem Spätrezidiv nach APBSCT kann gemäß Empfehlungen der Deutschen Studiengruppe Hodgkin-Lymphome (GHSG) eine weitere Hochdosischemotherapie gefolgt von einer APBSCT in Erwägung gezogen werden.

In den USA wurde durch die FDA mit Datum vom 15. Mai 2016 eine Zulassungserweiterung für Nivolumab in der Indikation "Patienten mit klassischem Hodgkin Lymphom im Rezidiv oder mit Progress nach autologer Stammzelltransplantation (HSCT) und Behandlung mit Brentuximab Vedotin (Adcetris)" beschlossen. Die Zulassungserweiterung durch die FDA erfolgte auf der Grundlagen von Studiendaten aus zwei Multicenterstudien an insgesamt 95 Patienten. Die Zulassung erfolgte beschleunigt aufgrund einer Bewertung des Arzneimittels in der genannten Indikation als "Breakthrough Therapy" – also als therapeutischer Durchbruch für Patienten mit refraktärem Hodgkin-Lymphom-Rezidiv.

2017 wurden die PD-1 Inhibitoren Nivolumab und Pembrolizumab für die Rezidivtherapie des klassischen Hodgkin Lymphoms nach Therapie mit Brentuximab Vedotin zugelassen.

Aktuell werden weitere monoklonale Antikörper, Immuntoxine, Histon-Deacetylase-Inhibitoren (HDAC) oder Immunmodulatoren (z. B. Lenalidomid) im Rahmen von Phase I/II Studien auf Ihre Wirksamkeit hin untersucht.

In palliativer Therapieintention werden lokale Strahlentherapie, Monotherapien mit Gemcitabin (Off-Label Use), Vinblastin, Vinorelbin (Off-Label Use), niedrigdosiertem Etoposid alleine oder in Kombination mit Steroiden eingesetzt.

Nachsorge

Im Rahmen der Nachsorge sollte eine körperliche Untersuchung und Laborwertbestimmungen (Zellzählung mit Differentialblutbild, BSG, klinische Chemie) erfolgen. Darüber hinaus sollte die Schilddrüsenfunktion, insbesondere nach einer Bestrahlung der Halsregion, regelmäßig überwacht werden (1, 2 und 5 Jahre nach Therapie). Eine Bildgebung mittels CT sollte einmalig ca. 3 Monate nach Ende der Therapie für alle Patienten durchgeführt werden, die nicht in kompletter Remission sind (CRu, PR, SD). Weitere CTs sollten nur bei klinischem Verdacht eines Rezidivs erfolgen.

PET beim Hodgkin

Patienten mit PET-positiven residuellen Lymphomen von ≥ 2,5cm sollen eine lokale Bestrahlung erhalten; die Frage des Nutzens der PET zur Steuerung der Therapie in weiteren Fällen wird im Rahmen von Studien untersucht. Die PET als Hilfsmittel zur Entscheidung über die Bestrahlung von mittels CT dargestellten Hodgkin-Resttumoren mit einem Durchmesser von > 2,5 cm nach bereits erfolgter Chemotherapie ist eine bereits seit Oktober 2011 vom Gemeinsamen Bundesausschuss zugelassene Indikation der PET.

Möglicherweise kommt der PET eine Rolle zur Therapieentscheidung im Krankheitsverlauf zu: Verschiedene Untersuchungen zeigten, dass eine unauffällige PET einen hohen negativen prädiktiven Wert hat (de Wit 20013; Weihrauch 20014; Spaepen 20015; Naumann 20016; Sher 20097).

Vorsicht ist jedoch bei positiven PET-Befunden nach allogener Stammzelltransplantation geboten, da der Literatur8 Hinweise zu entnehmen sind,wonach insbesondere bei Patienten nach allogener Stammzelltransplantation die Rate falsch-positiver Befunde im Vergleich zu Patienten nach autologer Stammzelltransplantation erhöht ist.

Ein über die Bestimmung des Residualvolumens nach Primärtherapie fortgeschrittener Stadien hinausgehender Einsatz der PET in der Nachsorge wird derzeit nicht empfohlen.

Siehe auch:

Weblinks:

Leitlinie Hodgkin der AWMF - Leitlinie Hodgkin im Leitlinienprogramm Onkologie der Deutschen Krebsgesellschaft - Onkodin zum M. Hodgkin (Achtung: teilweise etwas veraltet gegenüber Onkopedia !) - Onkopedia-Leitlinie zu Hodgkin-Lymphom - Artikel zu Hodgkin-Lymphomen auf den Seiten des Lymphom-Netzwerkes - Behandlungszentren gemäß Vereinbarung Integrierte Versorgung - German Hodgkin Study Group -

Und ggf. ergänzend:

Persönlicher Erfahrungsbericht eines Hodgkin-Patienten
Forum von und für Hodgkin-Betroffene
Lymphom-Forum - Forum für alle Lymphom-Erkrankungen inklusive M. Hodgkin
How I treat relapsed and refractory Hodgkin lymphoma Ein schon etwas älterer Artikel (2011), der viele Kritikpunkte und Bedenken hinsichtlich der allogenen Stammzelltransplantation beim M. Hodgkin gut zusammenfasst. Interessant auch die Zitierung dieses Artikels in der Medline


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* Zitat nach: Bach, Otto: ''Über die Subjektabhängigkeit des Bildes von der Wirklichkeit im psychiatrischen Diagnostizieren und Therapieren''. In: Psychiatrie heute, Aspekte und Perspektiven, Festschrift für Rainer Tölle, Urban & Schwarzenberg, München 1994, ISBN 3-541-17181-2, (Zitat: Seite 1)

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