Erworbene Hämophilie

Erstellt am 25 Nov 2022 15:06
Zuletzt geändert: 25 Nov 2022 20:08

Allgemein

Novo Nordisk: Erworbene Hämophilie
HaemCare®: Erworbene (?) Hämophilie

myhaemophilie.ch: Spontan erworbene Hämophilie

Uniklinik Düsseldorf 11.03.15: Gestörte Blutgerinnung: Erworbene Hemmkörper-Hämophilie A

Wikipdea(de) Erworbene Hämophilie

Fachexperten

Literatur

"Wir fanden keine randomisierten, kontrollierten Studien, die die Anwendung von Rituximab bei Personen mit schwerer Hämophilie untersuchten. Gut geplante kontrollierte Studien sind nötig, um den Nutzen und die Risiken der Anwendung von Rituximab bei Personen mit Hämophilie zu beurteilen. Solange keine kontrollierten Studien veröffentlicht werden, können sich Ärzte bei ihren klinischen Entscheidungen nur auf begrenzte und wenig aussagekräftige Evidenz stützen, die auf Einzelfällen beruht." (Deutsche Kurzfassung auf Cochrane.org)

Emicizumab ist derzeit zur Verhinderung von Blutungen bei Patienten mit angeborener Hämophilie A mit oder ohne neutralisierende Antikörper (Inhibitoren) gegen Faktor VIII (FVIII) zugelassen. Im Folgenden wird anhand eines Fallbeispiels der mögliche Einsatz bei erworbener Hämophilie A (AHA), einer schweren Blutungsstörung, die durch Autoantikörper gegen FVIII verursacht wird, diskutiert. Die Behandlung nach dem neuesten Stand der Technik basiert auf Bypass-Medikamenten (rekombinanter Faktor VIIa, aktiviertes Prothrombinkomplex-Konzentrat) und rekombinantem FVIII vom Schwein; zur Unterdrückung der Autoantikörperbildung wird eine immunsuppressive Therapie (Kortikosteroide, Rituximab, Cyclophosphamid) eingesetzt. Fallberichte und eine Serie deuten darauf hin, dass Emicizumab das Blutungsrisiko und die Notwendigkeit einer hämostatischen Therapie verringern kann, bis eine Remission der AHA erreicht ist. Darüber hinaus kann es den Beginn einer immunsuppressiven Therapie verschieben oder weniger intensive Therapieschemata anwenden. Die Nutzen-Risiko-Bewertung von Emicizumab bei AHA ist jedoch schwierig, da die demografischen und klinischen Merkmale anders sind als bei angeborener Hämophilie. Bevor der Einsatz von Emicizumab bei AHA empfohlen werden kann, sind prospektive klinische Studien erforderlich.

Die erworbene Hämophilie A (AHA) ist eine seltene Blutungsstörung, bei der erworbene Autoantikörper gegen den körpereigenen Faktor VIII (FVIII) die FVIII-Aktivität verringern und zu einem Blutungsphänotyp führen. Bei der überwiegenden Mehrheit der Patienten mit AHA kommt es zu schweren Blutungen. Eine wirksame Behandlung erfordert sowohl eine immunsuppressive Therapie als auch eine sofortige hämostatische Behandlung. Blutungen werden in der Regel mit Bypassing-Agenzien (BPA) wie rekombinantem aktiviertem FVII (rFVIIa) oder aktivierten Prothrombinkomplex-Konzentraten behandelt. Zu den Nachteilen von BPA gehören die fehlende Möglichkeit, das Ansprechen mit Standard-Labortests zu überwachen, die uneinheitliche hämostatische Wirksamkeit und Thrombosen. Rekombinantes FVIII vom Schwein (rpFVIII: Obizur, Baxter, Deerfield, IL) wurde 2014 von der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) für die Behandlung von Blutungen bei AHA zugelassen und hat den Vorteil, dass die FVIII-Aktivität im Labor überwacht werden kann und die hämostatische Wirksamkeit bei Vorhandensein von anti-humanen FVIII-Inhibitoren und nach Versagen von BPAs bekannt ist.
Mithilfe eines algorithmusbasierten Ansatzes wurden im Zentrum für Hämatology und Onkologie der Universität von Nord Carolina 18 Patienten mit AHA erfolgreich mit rpFVIII behandelt, und zwar mit wesentlich niedrigeren Dosen als der derzeit von der FDA empfohlenen Dosierung. Darüber hinaus zeigen die Daten aus unserer Kohorte, dass der Anti-Porcine-Bethesda-Titer vor der Exposition das klinische Ansprechen auf die rpFVIII-Behandlung nicht zuverlässig vorhersagt und nicht mit dem Anti-Human-Bethesda-Titer korreliert ist. Wir stellen außerdem Daten vor, die zeigen, dass der Gesamtverbrauch von rpFVIII zur initialen Blutstillung geringer ist, wenn rpVIII im Vorfeld eingesetzt wird, als wenn es als Rescue-Therapie verwendet wird. Wir validierten unseren Dosierungsalgorithmus, der wesentlich niedrigere als die von der FDA empfohlenen Dosen verwendet, an 14 Patienten mehr als in unserer zuvor berichteten Patientenserie.

Kommentar
Die erworbene Hemmkörperhämophilie ist eine sehr seltene Erkrankung mit einer Inzidenz von 1,5-4/1 Million Einwohner/Jahr und unerkannt eine lebensbedrohliche Erkrankung mit einer Mortalität von 10 %–20 %. Die Antikörper richten sich hauptsächlich gegen Faktor VIII, es sind jedoch auch Fälle mit Antikörpern gegen Faktor II, V, VII, IX, X, XIII bekannt.
Klinisch präsentieren sich Blutungen in die Weichteile, (Schleim-)Haut, Muskel, GIT und Urogenitaltrakt. Intraartikuläre Blutungen sind, im Gegensatz zur angeborenen Hämophilie, selten beschrieben.
Mehrheitlich tritt die erworbene Hemmkörperhämophilie idiopathisch auf. Als assoziierte Erkrankungen werden vor allem Autoimmunerkrankungen (vor allem die rheumatoide Arthritis, wie bei unserer Patientin), solide Tumore und lymphoproliferative Erkrankungen angegeben, eine Assoziation zur Schwangerschaft ist ebenfalls beschrieben.
Therapeutisch kommt eine Substitutionstherapie mit Faktor VIII bzw. IX in Betracht, solange die Antikörper niedrigtitrig vorliegen. Bei hochtitrigen Antikörpern kommen sogenannte Bypassmedikamente zum Einsatz wie Faktor VII-Konzentrat oder aktivierte Prothrombinkomplexpräparate. Faktor-VII-Konzentrate steigern die Faktor-VII-Aktivität auf 2–3000 % und führen dadurch zu einer direkten Aktivierung von Faktor X.
Eine Plasmapherese zur Antikörperelimination ist ebenfalls möglich.
Eine immunsuppressive Therapie gilt als Standardtherapie. Hierbei ist eine Monotherapie mit Kortikosteroiden möglich, häufiger wird jedoch eine Kombination von Kortikosteroiden mit Cyclophosphamid eingesetzt.
Bei Versagen der First-Line-Therapie oder Vorliegen von Kontraindikationen kann ebenfalls eine Therapie mit Rituximab zum Einsatz kommen.
Seit Februar 2018 steht der humanisierte, monoklonale Antikörper Emicizumab zur Verfügung, der als Faktor-VIII-Mimetikum fungiert. Bei fehlender Sequenzhomologie zum physiologischen Faktor VIII wird das Präparat nicht durch die vorhandenen Hemmkörper eliminiert, zeigt aber die physiologische Wirkung von Faktor VIII. Die hochpreisige Therapie (Therapiekosten ca. 20.000,00€ pro Woche) wurde bei der Patientin beantragt, damit diese im Bedarfsfall verabreicht werden kann. …

  • GTH-Arbeitsgruppe "Erworbene Hämophilie". Konsens zur immunsuppressiven Therapie der erworbenen Hämophilie. Stand 25.12.2010. Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung e.V., GTH. Webseite der Arbeitsgruppe: "https://gth-online.org/ag-erworbene-hamophilie".

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* Zitat nach: Bach, Otto: ''Über die Subjektabhängigkeit des Bildes von der Wirklichkeit im psychiatrischen Diagnostizieren und Therapieren''. In: Psychiatrie heute, Aspekte und Perspektiven, Festschrift für Rainer Tölle, Urban & Schwarzenberg, München 1994, ISBN 3-541-17181-2, (Zitat: Seite 1)

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