Fibromyalgie

Erstellt am 30 Aug 2015 21:09
Zuletzt geändert: 28 Oct 2019 13:56

Bei der Fibromyalgie handelt es sich um ein Syndrom vielfältiger funktioneller Beschwerden mit vielfältigen Symptomen, meist auch mit psychischer Symptomatik. Im Vordergrund der Beschwerden stehen definierte, druckschmerzhafte Körperstellen, so genannte „Tender points“.

In der Klassifikation chronischer Schmerzsyndrome der Arbeitsgruppe „International Association of the Study of Pain“ wird die Fibromyalgie bzw. das Fibromyalgiesyndrom den generalisierten Schmerzsyndromen unbekannter Ursache zugeordnet.

Der Symptomenkomplex Fibromyalgie umfasst:

  • mehr als 3 Monate bestehende generalisierte Schmerzen des Bewegungssystems mit Druckschmerzhaftigkeit von mindestens 11 von 18 definierten Körperstellen (Tender points),
  • depressive Verstimmungen und Ängste (depressive Störung, oder Angststörung, insgesamt 60-78%),
  • Parästhesien (ca. 60%) und Spannungskopfschmerzen (ca. 50%),
  • chronische Müdigkeit (ca. 60%),
  • funktionelle Unterbauchbeschwerden (ca. 30-60%),
  • funktionelle urogenitale Beschwerden (ca. 40-60%),
  • Restless-legs-Syndrom (30%),
  • Schlafstörungen, besonders Störung des Non-REM-Schlafes (90-100%),
  • Multiple Chemikalienunverträglichkeiten (50%).

Nach der Leitlinie der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Schmerztherapie (DIVS) von 2008 kann ein Fibromyalgiesyndrom nach ACR-Kriterien definiert werden als Kombination aus anamnestischen Angaben chronisch in mehreren Körperregionen verbreiteter Schmerzen und klinischem Befund einer schmerzhaften Palpation von mindestens 11 von 18 „Tender points“.

Therapeutisch kann bei Nichtansprechen der orthopädischen Therapie die psychotherapeutische Mitbehandlung sinnvoll sein.

Die Chronifizierung der Fibromyalgie-Beschwerden wird von Experten als Ausdruck für fehlende Perspektive und von Hilflosigkeit angesehen. Die Patienten benötigen Hilfe, um mit ihrer Situation umzugehen.

Es handelt sich nicht um eine lebensbedrohliche Erkrankung oder um eine, aus medizinischer Sicht, einer solchen gleichzustellende oder zwingend zum Tode führend Erkrankung. Es handelt sich auch nicht um eine Seltenheitserkrankung. Eine Ausnahmesituation, in der eine Leistungspflicht der Krankenkasse auch für nicht durch den Gemeinsamen Bundesausschuss bewertete Methoden eintritt, ist auch im Fall einer als schwergradig erlebten Fibromyalgie nicht erkennbar.

Unzweifelhaft kann bei einer Fibromyalgie ein regelwidriger Zustand mit medizinischer Behandlungsbedürftigkeit vorliegen. Die aktuellen Leitlinien der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Schmerztherapie empfehlen in erster Linie bei dem Fibromyalgie-Syndrom als geeignete Therapieverfahren die patientenzentrierte Kommunikation, die medizinische Trainingstherapie, Psychotherapie und multimodale Therapie. Grundsätzlich sollen in der Therapie des Fibromyalgie-Syndroms primär aktivierende Therapieverfahren angewendet werden.

Als Basistherapie empfiehlt die genannte Leitlinie folgende ambulante Behandlungen:

  1. Patientenschulungsprogramme, kognitiv verhaltenstherapeutische und operante Schmerztherapie
  2. Ein individuelles, leistungsvermögenangepasstes aerobes Ausdauertraining.
  3. Amitriptylin
  4. Diagnostik und Behandlung komorbider körperlicher Erkrankungen und seelischer Störungen.

Im Falle einer unzureichenden Wirksamkeit der genannten Therapien wird eine Überprüfung, insbesondere des Vorliegens weiterer somatischer und psychischer Komorbiditäten empfohlen.

Bei relevanten Beeinträchtigungen der Alltagsfunktionen nach 6-monatiger Basistherapie unter Berücksichtigung der Indikationen und Kontraindikationen sollte eine multimodale Therapie durchgeführt werden. Dabei handelt es sich um eine obligat aufeinander abgestimmte medizinische Trainingstherapie oder andere Formen der aktivierenden Bewegungstherapie in Kombination mit psychotherapeutischen Verfahren. Diese multimodale Therapie sollte möglichst ambulant durchgeführt werden. Wenn ambulante Maßnahmen nicht ausreichen oder nicht möglich sind, wird in der genannten Leitlinie eine (teil-) stationäre multimodale Therapie empfohlen.

In der Langzeitbetreuung, bei Patienten mit anhaltenden relevanten Beeinträchtigungen von Alltagsfunktionen 6 Monate nach Ende einer (teil-) stationären multimodalen Therapie empfiehlt die genannte Leitlinie eine Langzeitbetreuung nach den Prinzipien der psychosomatischen Grundversorgung und Betonung von Selbstverantwortung und Eigenaktivität. Folgende Behandlungsoptionen sollen insbesondere im Rahmen eines individualisierten Langzeitbetreuungsprogramms gemeinsam mit den Patienten erwogen werden:

  • Keine weitere spezifische Behandlung
  • Selbstmanagement: Aerobes Ausdauertraining, Funktionstraining, Entspannung, Stressbewältigung
  • Ambulante Fortführung multimodaler Therapien
  • Zeitlich befristet: (Teil-) stationäre multimodale Intervall- bzw. Boostertherapie
  • Zeitlich befristet: Duloxetin oder Fluoxetin bzw. Paroxetin oder Pregabalin oder Tramadol/Paracetamol
  • Zeitlich befristet: Hypnotherapie/geleitete Imagination oder therapeutisches Schreiben
  • Zeitlich befristet: Physikalische Therapieverfahren (Balneo- und Spatherapie bzw. Ganzkörperwärmetherapie)
  • Zeitlich befristet: Komplementäre Therapieverfahren (z.B. vegetarische Kost, Homöopathie)

Bei stationärer Behandlungsnotwendigkeit komorbider körperlicher und psychischer Störungen oder zur Durchführung einer teilstationären multimodalen Schmerztherapie empfiehlt die genannte Leitlinie gegebenenfalls eine stationäre Behandlung anhand der Empfehlungen medizinischer Fachgesellschaften, wie z. B. der Aufnahmeindikationsliste der Deutschen Gesellschaft zum Studium des Schmerzes.

Darüber hinaus wird bei nicht vorhandener bzw. nicht ausreichender Wirksamkeit der ambulanten Therapieverfahren unter Berücksichtigung der Kriterien der internationalen Klassifikation ICF die Veranlassung einer (teil-) stationären Rehabilitationsmaßnahme durch einen Haus- oder Facharzt empfohlen.

In komplexen Fällen sollte die längerfristige Therapieplanung an den Empfehlungen der genannten, wissenschaftlich begründeten Leitlinie ausgerichtet werden. Insbesondere ist zu empfehlen, ein multimodales Therapiekonzept bzw. ein Konzept der langfristigen Betreuung im Sinne der hier genannten Leitlinie mit schwer betroffenen Patienten zu erarbeiten und dieses entsprechend zu dokumentieren. Die Therapie solcher Fälle sollte im Rahmen dieses umfassenden, mehrere Therapieoptionen enthaltenden Behandlungskonzepts durchgeführt werden.

Ein multimodales und leitliniengerechtes Therapiekonzept kann ggf. im Rahmen einer stationären Rehabilitationsmaßnahme in einer spezialisierten Einrichtung erstellt werden.

Die Notwendigkeit einer Dauermedikation von Fibromyalgie-Betroffenen mit einem Schmerzmittel aus der Cannabinoid-Klasse kann aus der Evidenzlage nicht abgeleitet werden. Die aktuelle Leitlinie der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Schmerztherapie empfiehlt explizit keine Langzeitanwendung opioidhaltiger oder ähnlicher Schmerzmedikamente.

Diesbezüglich siehe aber auch die Stellungnahme der Deutschen Schmerzgesellschaft bzw. Prof. Häusers zur Problematik der MDK-Begutachtung von Anträgen auf Cannabis-basierte Medikation bei Fibromyalgie-Patienten.

Web-Links


Die Beiträge in diesem Wiki zu "Erkrankungen und Behinderungen", gesundheitlichen Problemlagen und Indikationen erheben weder den Anspruch, umfassend noch hinsichtlich der Einsortierung in einer Rubrik immer unstrittig zu sein.
Die Beiträge sind aus sozialmedizinischem Blickwinkel und mit dem Schwerpunkt der sozialmedizinischen Begutachtung einsortiert. Aus der Einordnung in einer Rubrik resultiert weder eine Wertung noch eine objektive Feststellung hinsichtlich der Bedeutung einer gesundheitlichen Problemlage/Erkrankung.
Alle Darstellungen medizinischer Sachverhalte, Erkrankungen und Behinderungen und deren sozialmedizinische Einordnung und Kommentierungen hier im Wiki dienen nicht einer "letzt begründenden theoretisch-wissenschaftlichen Aufklärung", sondern sind frei nach Karl Popper "Interpretationen im Licht der Theorien."*

* Zitat nach: Bach, Otto: ''Über die Subjektabhängigkeit des Bildes von der Wirklichkeit im psychiatrischen Diagnostizieren und Therapieren''. In: Psychiatrie heute, Aspekte und Perspektiven, Festschrift für Rainer Tölle, Urban & Schwarzenberg, München 1994, ISBN 3-541-17181-2, (Zitat: Seite 1)

Alle medizinischen Aussagen und Informationen in diesem Wiki dienen nicht der medizinischen Beratung und können und sollen eine persönliche fachliche ärztliche Beratung nicht ersetzen!


Neue Seite anlegen

Sofern nicht anders angegeben, steht der Inhalt dieser Seite unter Lizenz Creative Commons Attribution-ShareAlike 3.0 License