Erstellt am 07 Sep 2015 14:27
Zuletzt geändert: 12 Jan 2022 08:53
Eine BRCA1-Mutation liegt bei geschätzt 5% der Mammakarzinome vor; eine BRCA1- oder BRCA2-Mutation bei geschätzt 5 - 10%.
Eine molekulargenetische (humangenetische) Untersuchung der BRCA1- und BRCA2-Mutation ist im Einheitlichen Bewertungsmaßstab in der EBM-Position 11440 - Hereditäres Mamma- und Ovarialkarzinom (HBOC) sowie ggf. der Zuschlags-Position 11449 abgebildet.
Kriterien an die Indikationsstellung für BRCA1/2-Gentests gemäß Qualitätssicherungsvereinbarung Molekulargenetik (Vereinbarung von Qualitätssicherungsmaßnahmen nach § 135 Abs. 2 SGB V)
Hochrisikogene BRCA1 und BRCA2 - Infos des Medizinisch Genetischen Zentrum München
Mamma- und Ovarialkarzinom, familiär - Infos des Zentrum für Molekulargenetik Martinsried
Brustkrebsrisiko allgemein
Ob mit oder ohne Mutation erkrankt etwa jede elfte Frau im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs. Anders ausgedrückt: Das Lebenszeitrisiko an einem Mammakarzinom zu erkranken (nicht zu sterben!), beträgt für alle Frauen insgesamt etwa 9%.
Mit oder ohne BRCA oder sonstige "Krebs-Mutation" steigt das Sterberisiko aufgrund von Brustkrebs mit dem Alter insgesamt an; gleichzeitig steigt allerdings auch das Sterberisiko aufgrund anderer Ursachen mit dem Alter an.
Beispiel:
Gruppe der 60 - 65-jährigen Frauen in der "Gesundheitsberichterstattung des Bundes" im Jahr 2010:
Sterbeziffer dieser Frauengruppe aufgrund von Brustkrebs (also Patientinnen mit Mutationen eingeschlossen): 64,4 (Gestorbene) je 100.000 Frauen.
Sterblichkeit aufgrund von Krankheiten des Kreislaufsystems in dieser Altersgruppe: für das Jahr 2010: 112,3 Todesfälle je 100.000.
Vergleich:
Die Statistik des Jahres 2010 weist 36,1 aufgrund von Unfällen verstorbene junge Männer zwischen 25 und 30 Jahren pro 100.000 Personen dieser Alters- und Geschlechtsgruppe in Deutschland aus.
Das Risiko 20-25-jähriger Männer, in Deutschland im Jahr 2010 an einem Unfall zu versterben, betrug also gut die Hälfte des Risikos einer 60-65-jährigen Frau, an Brustkrebs zu versterben.Das Risiko einer 60-65-jährigen Frau, an einem Brustkrebs zu versterben, betrug in Deutschland im Jahr 2010 in etwa die Hälfte des Risikos für Frauen dieser Altersgruppe, an einer Erkrankung des Kreislaufsystems zu versterben.
(Quelle: Gesundheitsberichterstattung des Bundes).
Andere "konkurrierende" Todesursachen gibt/gab es natürlich noch viele. Das Risiko einer "normalen", durchschnittlichen Frau, an Brustkrebs zu sterben, ist also insgesamt deutlich zu relativieren und in Beziehung zu setzen zu anderen Lebens- bzw. Sterberisiken.
Brustkrebsrisiko bei genetischer Veranlagung / Vorhandensein von "Risiko-Genen"
Die Statistik des Bundes enthält keine Information darüber, wie viele der je 100.000 Frauen vor dem 65. Lebensjahr an Brustkrebs verstorbenen Trägerinnen einer BRCA1- oder BRCA2-Mutation waren; aber sicher ist, dass diese überproportional vertreten sind/waren.
Wenn man BRCA1-Trägerin ist, besteht eine, wie häufig in den Medien zitierte, geschätzte, Lebenszeitwahrscheinlichkeit von 80%, an Brustkrebs (und zwar tendenziell einer bösartigen Verlaufsform) zu erkranken.
Nach Daten des Memorial Sloan-Kettering Cancer Center besteht ein Risiko von 52% für ein Krebsauftreten bis zum Alter von 70 Jahren und eine Wahrscheinlichkeit von 95% für ein Tumorauftreten bis zum Alter von 80 Jahren, wenn bei einer Verwandten ersten Grades ein Tumor vor dem 35. Lebensjahr auftrat.
Die Wahrscheinlichkeit für Mutationsträgerinnen, vor dem 65.ten Lebensjahr zu versterben, ist deutlich erhöht und kann durch ein intensiviertes Früherkennungsprogramm gesenkt werden.
Dabei deuten Daten aus Registerstudien darauf hin, dass speziell für BRCA1-Mutationträgerinnen durch die prophylaktischen Oophorektomie und Mastektomie das Brustkrebs-bezogene Sterberisiko deutlich stärker reduziert werden kann als durch das intensivierte Screening:
- Heemskerk-Gerritsen BAM, Jager A, Koppert LB, Obdeijn AI, Collée M, Meijers-Heijboer HEJ, Jenner DJ, Oldenburg HSA, van Engelen K, de Vries J, van Asperen CJ, Devilee P, Blok MJ, Kets CM, Ausems MGEM, Seynaeve C, Rookus MA, Hooning MJ. Survival after bilateral risk-reducing mastectomy in healthy BRCA1 and BRCA2 mutation carriers. Breast Cancer Res Treat. 2019 Oct;177(3):723-733. doi: 10.1007/s10549-019-05345-2. Epub 2019 Jul 13. PMID: 31302855; PMCID: PMC6745043.
Es gibt auch Hinweise, dass das Rezidivrisiko bei behandeltem BRCA-positivem Brustkrebs höher ist als bei nicht-mutiertem Brustkrebs:
- Kanana N, Ben David MA, Nissan N, Yagil Y, Shalmon A, Halshtok O, Gotlieb M, Faermann R, Klang E, Samoocha D, Yassin M, Davidson T, Zippel D, Madorsky Feldman D, Friedman E, Kaidar-Person O, Sklair Levy M. Post-mastectomy surveillance of BRCA1/BRCA2 mutation carriers: Outcomes from a specialized clinic for high-risk breast cancer patients. Breast J. 2021 May;27(5):441-447. doi: 10.1111/tbj.14190. Epub 2021 Feb 11. PMID: 33576117.
Ein Brustkrebs-präventiver Effekt wird auch für die frühzeitige beidseitige Ovarentfernung angenommen.
Auch nach prophylaktischer Entfernung der Brüste und der Eierstöcke sinkt das Risiko nicht auf Null, aber auf weniger als das "normale" Risiko aller Frauen! (Geschätzt verbleibt für BRCA1-mutierte Frauen ein ca. 5%iges Lebenszeitrisiko)
Das Tumorzentrum Oberösterreich macht in seinen Leitlinien aus dem Herbst 2021 konkrete Angaben zur Betreuung von BRCA-Mutationsträgerinnen:
Quelle:
Leitlinie Mammakarzinom des Tumorzentrum Oberösterreich
Leider enthält diese Leitlinie, ebenso wie die deutsche S3-Leitlinie der AWMF, keine konkreten Angaben zur weiteren Betreuung von Patientinnen, bei denen eine prophylaktische Eierstock- und Brustdrüsen-Entfernung vorgenommen wurde.
Eine deutschsprachige gynäkologische Publikation mit Aussagen zu dieser Problematik konnte jedoch gefunden werden:
- K Keller, C Meisel, K Kast, P Wimberger. Postoperative MRT-Kontrollen nach prophylaktischer Mastektomie bei BRCA1/2-Trägerinnen – ein Fallbericht. Geburtshilfe Frauenheilkd 2017; 77(04): 406-429. DOI: 10.1055/s-0037-1601542. Dieser Publikation konnte folgendes entnommen werden:
- Die Teilnahme am Intensivierten Früherkennungs- und Nachsorgeprogramm der Zentren des Deutschen Konsortiums Familiärer Brust- und Eierstockkrebs ist nach Durchführung der prophylaktischen Operationen nicht mehr vorgesehen.
- Gemäß Studienprotokoll des Deutschen Konsortiums für familiären Brust- und Eierstockkrebs sollte ein Jahr nach abgeschlossener prophylaktischer Operation eine einmalige MRT der Mamma zum Ausschluss von Restbrustdrüsengewebe durchgeführt werden.
- Weiterhin sollte eine Patientin mit BRCA1-Mutation und Zustand nach prophylaktischer Entfernung der Brustdrüsen und Eierstöcke an der regelmäßigen Erhebung von Überlebensdaten im Rahmen des Studienprotokoll des Deutschen Konsortiums für familiären Brust- und Eierstockkrebs teilnehmen.
2007 war in den USA ein Übersichts-Artikel zur weiteren Betreuungs-Strategie bei Patientinnen nach prophylaktischer Mastektomie und Eierstockentfernung publiziert worden. Dieser Artikel empfahl als allgemeine Screening-Strategien nur klinische Untersuchungen:
- Allain DC, Sweet K, Agnese DM. Management options after prophylactic surgeries in women with BRCA mutations: a review. Cancer Control. 2007 Oct;14(4):330-7. doi: 10.1177/107327480701400403. PMID: 17914333.
Sonstiges
- AETNA: Medical Clinical Policy Bulletin: BRCA Testing, Prophylactic Mastectomy, and Prophylactic Oophorectomy
- Deutsches Konsortium Familiärer Brust- und Eierstockkrebs
- BRCA-Netzwerk - Hilfe bei familiärem Brust- und Eierstockkrebs e.V.
- Brustkrebs: Infos für Ärzte von Frau Dr. Nicole Bürki, Liestal in der Schweiz
- Interview mit einer Gynäkologin in der taz zum Thema "erblicher Brustkrebs"
- Myriad Genetic, Inc. Blog: What are the guidelines for surveillance for a BRCA-positive patient who has undergone prophylactic mastectomy and salpingo-oophorectomy?
- NICE: Clinical guideline CG164: Familial breast cancer: classification, care and managing breast cancer and related risks in people with a family history of breast cancer
Siehe auch in diesem Wiki
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* Zitat nach: Bach, Otto: ''Über die Subjektabhängigkeit des Bildes von der Wirklichkeit im psychiatrischen Diagnostizieren und Therapieren''. In: Psychiatrie heute, Aspekte und Perspektiven, Festschrift für Rainer Tölle, Urban & Schwarzenberg, München 1994, ISBN 3-541-17181-2, (Zitat: Seite 1)
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