Erstellt am 13 Sep 2018 20:08
Zuletzt geändert: 29 Jun 2022 11:04
ICD 10: F10
ggf. ICD 10: Z50.2!
MedController: Kodierrichtlinie 2017-0501e Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen (Drogen, Medikamente, Alkohol und Nikotin)
Alkoholgebrauch
Riskante tägliche Alkoholmenge nach WHO: ♂ >24 g/Tag, ♀ >12 g/Tag
Beispiele: Das entspricht für Frauen mehr als 0,1 L Wein oder Sekt und mehr als 0,25 L Bier oder 4 cL Schnaps pro Tag. Bei Männern ist ein Konsum entsprechend ab der doppelten Menge gesundheitsgefährdend.
Interessantes:
Bis vor kurzem war nicht bekannt, wie die verschiedenen alkoholischen Getränke im einzelnen auf die Magensäuresekretion beim Menschen wirken. Systematische Untersuchungen unserer Arbeitsgruppe zeigen, daß alkoholische Getränke, die durch Vergärung von Kohlenhydraten entstehen, wie Bier, Wein, Champagner und einige Aperitifs, zum Beispiel Sherry, die Magensäuresekretion nahezu maximal stimulieren. Weder der Alkoholgehalt dieser Getränke, noch die am Beispiel von Bier getesteten, bekannten nichtalkoholischen Inhaltsstoffe sind für diese starke stimulierende Wirkung verantwortlich. Am Beispiel von Bier und vergorener Glukoselösung als einfacherem Untersuchungsmodell wiesen wir nach, daß die stark magensäurestimulierenden Inhaltsstoffe beider Getränke während der alkoholischen Gärung durch die Hefezellen entstehen. Es handelt sich um nichtalkoholische, hitzeresistente und anionische Inhaltsstoffe mit einem Molekulargewicht von weniger als 700 Dalton. Jüngste vorläufige Ergebnisse zeigen, daß es niedermolekulare Säuren sind. Mediator dieser Stimulation ist höchstwahrscheinlich das Hormon Gastrin.
Alkoholische Getränke, die durch alkoholische Vergärung und anschließende Destillation entstehen, wie der Großteil der Aperitifs und hochprozentige Spirituosen, wie Whisky, Cognac, Wodka, Calvados Hors D`Age, Cles Des Ducs Armagnac, Pernod, Campari Bitter, Bacardi Superior, Gold Rum und Cointreau, stimulieren die Säuresekretion nicht. (Quelle: Prof. Dr. Manfred V. Singer und Dr. Stephan Teyssen
IV. Medizinische Klinik (Schwerpunkt Gastroenterologie), Fakultät für Klinische Medizin Mannheim der Universität Heidelberg, in Ruperto Carola - Ausgabe 1/1997: Alkohol – nur ein Genußmittel?.
Diagnose
Screening
CAGE-Test:
C (Cut down drinking): Haben Sie jemals daran gedacht, weniger zu trinken?
A (Annoyed): Ärgert Sie die Kritik Ihres Umfelds an Ihrem Alkoholkonsum?
G (Guilty): Empfinden Sie Schuldgefühle aufgrund ihres Trinkverhaltens?
E (Eye opener): Brauchen Sie morgens nach dem Aufwachen Alkohol, um leistungsfähig zu werden?
Auswertung: Jede positiv beantwortete Frage entspricht einem Punkt
Zwei oder mehr Positiv-Antworten → Wahrscheinlicher Alkoholmissbrauch bzw. Alkoholabhängigkeit
Diagnosekriterien
Nach ICD-10:
- Starker Wunsch oder Zwang des Konsums (sog. Craving)
- Verminderte Kontrollfähigkeit über Beginn, Beendigung und Menge des Konsums
- Entzugssymptomatik
- Toleranzentwicklung
- Vernachlässigung/Einschränkung/Aufgabe von sozialen, beruflichen oder Freizeitaktivitäten zugunsten des Alkoholkonsums; hoher Zeitaufwand, um Alkohol zu beschaffen, zu konsumieren oder sich von der Wirkung zu erholen
- Fortgesetzter Konsum trotz Kenntnis über anhaltendes/wiederkehrendes körperliches oder psychisches Problem, das durch Alkohol verursacht oder verstärkt wird.
Nach DSM-5: Substanzgebrauchsstörung durch Alkohol (Englisch: substance use disorder)
- Durch Konsum bedingtes Versagen in der Erfüllung wichtiger Verpflichtungen in den Bereichen Arbeit, Schule oder Häuslichkeit
- Wiederholter Konsum trotz dadurch bedingter physischer Schädigung
- Wiederholter Konsum trotz wiederkehrender sozialer oder interpersoneller Probleme
- Toleranzentwicklung, sichtbar durch die verminderte Wirkung einer bestimmten Konsummenge bzw. notwendiger Dosissteigerung
- Entzugssymptome bei Nicht-Konsum der Substanz oder Vermeidung von Entzugssymptomen durch erneuten Substanzkonsum
- Kontrollverlust: Höherer Konsum oder länger andauernder Konsum als ursprünglich geplant
- Anhaltender Wunsch, die Substanz zu konsumieren oder erfolglose Versuche der Kontrolle des Konsums
- Erhöhter Zeitaufwand für die Beschaffung und den Konsum der Substanz sowie längere Dauer der Erholung nach Konsum
- Vernachlässigung wichtiger Aktivitäten oder Reduktion von Aktivitäten zugunsten des Substanzkonsums
- Fortgesetzter Konsum trotz Kenntnis der negativen gesundheitlichen Folgen (physisch oder psychisch)
- Craving: Ausgeprägtes Verlangen oder starker Drang, die Substanz zu konsumieren
Interpretation:
Schwere Substanzgebrauchsstörung: ≥4 Kriterien sind erfüllt
Leichte Substanzgebrauchsstörung: 2 oder 3 Kriterien sind erfüllt
Labor
γ-GT↑, Transaminasen↑ (ALT↑, AST↑)
CDT (Carbohydrate Deficient Transferrin, Desialotransferrin): CDT↑: Ab Alkoholkonsum von 60 g/Tag (Männer) bzw. 40 g/Tag (Frauen) über 7 Tage CDT-Werte bleiben nach Abstinenz bis zu einem Monat erhöht
MCV↑ Anämie (Hb↓), Thrombozytopenie,
Folsäure↓, Vitamin B12↓ (Cobalamin), Vitamin B1↓ (Thiamin), Vitamin B6↓ (Pyridoxin), Vitamin D↓, Vitamin K↓
Weblink: Flexikon: Alkoholismus
Therapie
- Entzugsbehandlung
- Entwöhnungsbehandlung als medizinische Rehabilitationsmaßnahme (möglichst zeitnah im Anschluss an die qualifizierte Entzugsbehandlung
- Adaptionsbehandlung, als zweiter Schritt der medizinischen Rehabilitation; kann Teil der Entwöhnungsbehandlung sein oder im Anschluss erfolgen
- Nachbetreuung und Selbsthilfe
- Optionen Anbindung an Fachambulanzen oder Beratungsstellen
- Allgemeine ambulante Psychotherapie
- Selbsthilfegruppen Lange Tradition und weite Verbreitung in der Behandlung der Alkoholabhängigkeit
- Nachweisliche Verbesserung der Abstinenzdauer bei Anbindung an Selbsthilfegruppen1
Erkrankungsbild - Einschätzungen, Geschichte
- Alkoholismus - eine Krankheit? - Fachbeitrag von Dr. med. Walther H. Lechler Web-Informationen der "Anonyme Alkoholiker Österreich und Südtirol"
- Batra A, Müller CA, Mann K, Heinz A. Abhängigkeit und schädlicher Gebrauch von Alkohol Dtsch Arztebl Int 2016; 113(17): 301-10; DOI: 10.3238/arztebl.2016.0301. CME-Artikel aus dem Deutschen Ärzteblatt.
- Aus Politik und Zeitgeschichte 2008 - Droge Alkohol: Alkoholismus Sehr differenzierter Artikel der Bundeszentrale für politische Bildung über die Bewertung des Alkoholkonsums in der Gesellschaft und Wechselwirkungen zwischen gesellschaftlichen Einstellungen, politischen Kontroll-Maßnahmen und Entwicklung des Alkoholkonsums sowie des schädlichen Gebrauchs.
- WHO: Global status report on alcohol and health 2014
Sozialmedizinisch, sozialrechtlich
- Deutsche Rentenversicherung: Leitlinien zur sozialmedizinischen Beurteilung bei Abhängigkeitserkrankungen, Stand: 20.04.2010
Rückfälle
Aus Spiegel online vom 18.03.2015: Bundesarbeitsgericht: Arbeitgeber muss Alkoholiker weiter Gehalt zahlen:
Zwei Entzüge, dann der Rückfall: Mit 4,9 Promille Alkohol im Blut wird ein Mitarbeiter in die Klinik eingeliefert und ist zehn Monate krank. Hat er Anspruch auf Lohnfortzahlung? Er hat, entschied jetzt das Bundesarbeitsgericht.
Zitat aus dem Artikel:
Bei Alkoholsucht und ihren Folgeerkrankungen wie Leberzirrhose ist inzwischen akzeptiert, dass es sich um eine Krankheit handelt. Strittig sind allerdings Rückfälle, die zur Arbeitsunfähigkeit führen. Hier kommt es auf die Umstände des Einzelfalles an. Dabei spielt die Mitwirkungspflicht des alkoholkranken Arbeitnehmers eine große Rolle. Er ist verpflichtet, sich zu den Umständen zu äußern. Tut er dies nicht, kann das als ein Indiz für Selbstverschulden gewertet werden.
Blutalkoholspiegel
Die Widmark-Formel wird zur Schätzung des Blutalkoholspiegels genutzt.
Blutalkohol (Promille, ‰) = Alkoholmenge (Gramm) / (Körpergewicht (kg) × Reduktionsfaktor) Alkoholmenge (Gramm, g) = getrunkenes Volumen (mL) × (Vol.%2) × 0,8 g/mL3
Reduktionsfaktor: ♂ = 0,74 , ♀ = 0,6
Beispiel: Ein Mann von 75 kg hat sechs Flaschen Bier (500 mL, 5% Alkohol) getrunken Alkoholmenge = 6 × 500 mL × 5/100 × 0,8 = 120 g
Blutalkohol = 120 g / (75 kg × 0,7) = 2,28‰
Bei Berechnung mit der Widmark-Formel wird grob vereinfacht, es wird davon ausgegangen, dass der Alkohol auf einmal getrunken und vollständig aufgenommen wurde. Das Resorptionsdefizit und der Alkoholabbaus über die Zeit werden in der Widmark-Formel nicht berücksichtigt. Sie liefert aber Anhaltspunkte; vor allem zur Abschätzung des Blutalkohols direkt nach dem Genuss (um z.B. die Einhaltung von Promillegrenzen abschätzen zu können).
Weblinks
- Ärzte Zeitung 06.06.2016: Einweisung nur bei psychischer Erkrankung. KARLSRUHE. Alkoholkranke dürfen nicht allein wegen ihrer Alkoholsucht gegen ihren Willen in der geschlossenen Psychiatrie untergebracht werden.
- BzGA: Suchtberatungsstellen - Adressensuche
- Fachverband Sucht e.V. mit Suchtberatungsstellen - Adressensuche
- Vorlesungsfolien der Uni Halle
- Uni Heidelberg Ruperto Carola - Ausgabe 1/1997: Alkohol – nur ein Genußmittel?
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* Zitat nach: Bach, Otto: ''Über die Subjektabhängigkeit des Bildes von der Wirklichkeit im psychiatrischen Diagnostizieren und Therapieren''. In: Psychiatrie heute, Aspekte und Perspektiven, Festschrift für Rainer Tölle, Urban & Schwarzenberg, München 1994, ISBN 3-541-17181-2, (Zitat: Seite 1)
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