Unaufschiebbare Leistungen

Erstellt am 25 Sep 2018 21:05 - Zuletzt geändert: 25 Sep 2018 21:07

Das Bundessozialgericht hat im Urteil vom 08.09.2015 - B 1 KR 14/14 R die Definition einer unaufschiebbare Leistung von der eines medizinischen Notfalls abgegrenzt:

Der Begriff der unaufschiebbaren Leistung hat sein sozialrechtliche Bedeutung in Bezug auf § 13 Abs. 3 S 1 Fall 1 SGB V. In dem Urteil vom 08.09.2015 heißt es:

Ob die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 S 1 Fall 1 SGB V erfüllt sind, bedarf hingegen weiterer Ermittlungen.
Die Rechtsnorm (idF durch Art 1 Nr. 5 Buchst b GSG) bestimmt: "Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war." Es fehlt an hinreichenden Feststellungen des LSG zu diesen Voraussetzungen (zur Kostenbelastung näher unter 3.).
a) Die Anwendung dieser Regelung ist nicht schon - wie das LSG zu Unrecht meint - deswegen ausgeschlossen, weil kein Notfall vorgelegen hat (dazu aa). Auch wenn zwischen erstmaliger Anfrage des Versicherten im RPTC, seiner persönlichen Vorstellung zur Untersuchung und dem eigentlichen Beginn der Protonenbestrahlung jeweils mehrere Wochen gelegen haben, schließt dieser Zeitablauf eine unaufschiebbare Leistung iS des § 13 Abs 3 S 1 Fall 1 SGB V nicht von vornherein aus (dazu bb).
Nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG lag beim Versicherten schon kein Notfall im vorbezeichneten Sinn vor.

bb) Es steht nicht fest, dass die Behandlung des Versicherten im RPTC keine unaufschiebbare Leistung war, wie das LSG geschlussfolgert hat. Unaufschiebbarkeit verlangt, dass die beantragte Leistung im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Erbringung so dringlich ist, dass aus medizinischer Sicht keine Möglichkeit eines nennenswerten Aufschubes mehr besteht, um vor der Beschaffung die Entscheidung der KK abzuwarten (vgl. BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 13 mwN; BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12, RdNr 23).
Ein Zuwarten darf dem Versicherten aus medizinischen Gründen nicht mehr zumutbar sein, weil der angestrebte Behandlungserfolg zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr eintreten kann oder z.B. wegen der Intensität der Schmerzen ein auch nur vorübergehendes weiteres Zuwarten nicht mehr zuzumuten ist (BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 7 RdNr 18).
Soweit der erkennende Senat früher hierzu formuliert hat, dass der Kostenerstattungsanspruch mit dem Unvermögen der KK zur rechtzeitigen Erbringung einer unaufschiebbaren Leistung nur begründet werden kann, wenn es dem Versicherten - aus medizinischen oder anderen Gründen - nicht möglich oder nicht zuzumuten war, vor der Beschaffung die KK einzuschalten (vgl. BSG SozR 3-2500 § 13 Nr 22 S 105), hält der Senat hieran nicht fest. Diese Sicht ist zu eng und vernachlässigt die Normstruktur des § 13 Abs. 3 S 1 SGB V.
Die Alternative zur rechtswidrigen Ablehnung des Antrags (§ 13 Abs 3 S 1 Fall 2 SGB V) besteht gerade, um Eilsituationen aufgrund der Unaufschiebbarkeit Rechnung zu tragen, bei denen der Versicherte die Entscheidung seiner KK nicht mehr abwarten kann (vgl. auch Hauck in Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Teil II, Bd 1, Stand April 2015, § 13 SGB V RdNr 250 mwN).
Unaufschiebbar kann danach auch eine zunächst nicht eilbedürftige Behandlung werden, wenn der Versicherte mit der Ausführung so lange wartet, bis die Leistung zwingend erbracht werden muss, um den mit ihr angestrebten Erfolg noch zu erreichen (vgl. BSG SozR 3-2500 § 13 Nr 22 S 105) oder um sicherzustellen, dass er noch innerhalb eines therapeutischen Zeitfensters die benötigte Behandlung erhalten wird.
Dies gilt umso mehr, wenn der Beschaffungsvorgang aus der Natur der Sache heraus eines längeren zeitlichen Vorlaufs bedarf und der Zeitpunkt der Entscheidung der KK nicht abzusehen ist. Es betrifft auch die Fälle, in denen der Versicherte zunächst einen Antrag bei der KK stellte, aber wegen Unaufschiebbarkeit deren Entscheidung nicht mehr abwarten konnte.

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