Erstellt am 05 Dec 2018 17:00
Zuletzt geändert: 05 Dec 2018 17:00
Bei der Verwendung des Begriffs der Rezeptur im Arzneimittelbereich ergeben sich immer wieder Probleme unter Bezugnahme auf das BSG-Urteil (B 6 KA 48/09 R) hinsichtlich der Einstufung von Arzneimitteln, insbesondere auch aufgrund teils ungeklärter Fragen bei der Definition der "Rezeptur" in Abgrenzung zur "Defektur" und "Rekonstitution".
So hieß es z.B. zu Zytostatika-Zubereitungen, die vom Apotheker nach Apothekenbetriebsordnung hergestellt werden, in den BGH-Urteilen vom 10.12.2014 (Bundesgerichtshof, Az. 5 StR 405/13, siehe auch Volltext auf openjur.de und Az. 5 StR 136/14):
"Da im Tatzeitraum Zytostatika-Lösungen von den Spitzenverbänden und nach der Verkehrsanschauung als Rezepturarzneimittel eingestuft und als solche von den Gesetzlichen Krankenkassen nach den abrechnungsrechtlich vorgegebenen Maßgaben erstattet worden sind…"
Allerdings ließ der 5. Senat des Bundesgerichtshofs in diesem Urteil ausdrücklich offen, wie der aus diesem Urteil resultierende Widerspruch zu einem Urteil des 1. Bundesgerichtshofs-Senats aufzulösen ist, in dem festgestellt worden war, dass in Apotheken hergestellte Zytostatika-Lösungen (weiterhin) als Fertigarzneimittel zu werten waren (Urteil vom 4.9.2012, Az. 1 StR 534/11).
Wörtlich heißt es in dem Urteil des BGH vom 10.12.2014, (Az. 5 StR 136/14):
"Der Senat kann auch in dieser Sache offen lassen (vgl. schon Urteil vom 10. Dezember 2014 - 5 StR 405/13), ob er sich der vom 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs im Urteil vom 4. September 2012 (1 StR 534/11, BGHSt 57, 312, mit insoweit jeweils abl. Anmerkungen von Kölbel, JZ 2013, 849, 850 f.;…;…;…) vertretenen Ansicht anschließt, wonach es sich bei den in Apotheken hergestellten Zytostatika-Lösungen (weiterhin) um Fertigarzneimittel handelt, oder ob es vorzugswürdig erscheint, derartige Zubereitungen als Rezepturarzneimittel einzustufen."
Einen ausführlichen juristischen Kommentar zu diesen beiden Urteilen vom 10.12.2014 und den weiterhin offenen Fragen hat der Rechtsanwalt Dr. Tobias Rudolph am 22. Januar 2015 auf seiner Internethomepage veröffentlicht. Er schreibt dort unter anderem:
"Bedauerlicherweise hat der Bundesgerichtshof nicht zu der grundsätzlichen Fragwürdigkeit des nationalen Zulassung-Systems Stellung genommen, d.h. insbesondere zu der Frage, inwieweit sich die Beschränkungen des Warenverkehrs europarechtlich legitimieren lassen. Der 5. Strafsenat hatte in den neueren Entscheidungen vom Dezember 2014 dazu allerdings auch keinen Anlass, denn er ist in allen Fällen ohnehin zu einem Freispruch gekommen."
Insofern scheint es angesichts uneinheitlicher Rechtsprechung derzeit nicht abschließend geklärt, ob individuell hergestellte Zytostatika-Zubereitungen zukünftig generell als Rezepturarzneimittel (und somit möglicherweise nach § 135 Abs. 1 SGB V zu prüfende Arzneimittel mit Methodencharakter) oder als Fertigarzneimittel einzustufen sind.
In § 129 Abs. 5 Satz 3 SGB V in Verbindung mit dem Rahmenvertrag (PDF) über die Arzneimittelversorgung nach § 129 Abs 2 SGB V sowie der Anlage 3 zur so genannten Hilfstaxe wird diese Frage nicht beantwortet, da dort ausschließlich von "… in Apotheken hergestellten parenteralen Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln in der Onkologie zur unmittelbaren ärztlichen Anwendung bei Patienten …" die Rede ist.
Unter den Rahmenverträgen zur Arzneimittelversorgung des GKV-Spitzenverbandes finden sich alle Verträge zur so genannten Hilfstaxe; neben dem "Vertrag über die Preisbildung für Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen (§§ 4 und 5 der Arzneimittelpreisverordnung) - Hilfstaxe" (PDF) auch die Gemeinsamen Hinweise des GKV-Spitzenverbandes und des Deutschen Apothekerverbandes e.V. zur Hilfstaxe (PDF) sowie weitere Anlagen. Den Dokumenten zur Hilfstaxe ist auch aktuell zu entnehmen, dass die Herstellung parenteraler, individuell für jeweils einzelne Patienten hergestellter Zytostatika-Zubereitungen zumindest hinsichtlich der Abrechnung als Rezepturen bezeichnet werden und die Apotheker zur Berechnung von Rezepturzuschlägen berechtigen.
Am 25.11.2015 erging durch den dritten Senat des Bundessozialgerichts ein Urteil zu einer strittigen Abrechnung von Zytostatika-Zubereitungen durch einen Apotheker, der keinen Vertrag nach § 129 Abs. 5 Satz 3 SGB V mit der Krankenkasse abgeschlossen hatte (B 3 KR 16/15 R). Diesem Urteil sind folgende Ausführungen zu entnehmen:
"In der Begründung des Fraktionsentwurfs zum Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (…) ist ausgeführt, dass Apotheken durch die Neuregelung des § 129 Abs 5 SGB V die Möglichkeit erhalten sollten, die auf Landesebene vereinbarten Preise für Arzneimittel, die nicht der Arzneimittelpreisverordnung unterliegen, sowie die auf Bundesebene vereinbarten Höchstpreise für Rezepturarzneimittel bei der Abrechnung mit einer Krankenkasse zu unterschreiten.
In der hierzu ergangenen Begründung wird von einer redaktionellen Anpassung der im Gesetzentwurf vorgesehenen Möglichkeit gesprochen, Preisabschläge für diese spezielle Versorgung zu vereinbaren und dadurch besondere Fallgestaltungen der Versorgung mit Zytostatika-Rezepturen sachgerecht zu berücksichtigen (…)."
Zumindest der Wortwahl nach scheinen hier die BSG-Richter auch davon auszugehen, dass es sich bei Zytostatika-Zubereitungen um Rezepturarzneimittel handelt…
Natürlich sieht auch der Bundesverband Rezeptur Herstellerbetriebe (BRH) sowohl Zytostatika-Zubereitungen als auch Individuallösungen zur parenteralen Ernährung als auch patientenindividuell abgestimmte Antibiotika-Infusionen als Rezepturarzneimittel an.
Den Mitteilungen der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) lässt sich entnehmen, dass Rezepturen z.B. in der Vergangenheit mehrfach systematisch genutzt wurden, um Lieferengpässe für Fertigarzneimittel zu überbrücken; so z.B. in der Mitteilung vom 31.07.2014:
31/14 Informationen: Rifampicin-haltige Rezepturarzneimittel: DAC/NRF-Herstellungsvorschriften für pädiatrische Darreichungsformen.
Die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) informiert jedes Jahr auf ihren Webseiten und in Pressemitteilungen über die Gesamtmenge der von öffentlichen Apotheken Apotheken hergestellten so genannten allgemeinen Rezepturen, wie z.B. Kapseln oder Salben, für Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Der entsprechenden Mitteilung für das Jahr 2015 lässt sich entnehmen, dass Apotheken 2015 mehr als 7 Mio. allgemeine Rezepturarzneimittel für gesetzlich Versicherte herstellten. Zytostatika und andere Spezialrezepturen zur parenteralen Anwendung sind in diesen Zahlen nicht mit erfasst.
In den Vorjahren wurden jeweils mehr als 12 Millionen Rezepturen gemeldet. Die AMK weist darauf hin, dass mit den Rezepturen insbesondere ein Beitrag zur Überbrückung von Versorgungslücken bei Fertigarzneimitteln geleistet werde. Wie die genannten mehr als 7 Millionen Rezepturverordnungen in Bezug auf § 135 SGB V einzuschätzen sind, lässt sich den Meldungen der AMK nicht entnehmen.
Aus dem Umgang mit "Zytostatika und andere Spezialrezepturen zur parenteralen Anwendung" scheint jedenfalls abzuleiten, dass nicht alle "neuen Rezepturen" der Überprüfung nach § 135 Abs. 1 SGB V bedürfen.
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Zitat nach: Bach, Otto: ''Über die Subjektabhängigkeit des Bildes von der Wirklichkeit im psychiatrischen Diagnostizieren und Therapieren''. In: Psychiatrie heute, Aspekte und Perspektiven, Festschrift für Rainer Tölle, Urban & Schwarzenberg, München 1994, ISBN 3-541-17181-2, (Zitat: Seite 1)
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