Individualimport-Arzneimittel

Erstellt am 21 Aug 2015 21:15
Zuletzt geändert: 19 Sep 2024 09:43

Grundsätzlich haben gesetzlich Krankenversicherte in Deutschland gemäß § 31 SGB V Anspruch auf die Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln (soweit diese nicht gemäß § 34 SGB V oder durch eine Richtlinie gemäß § 92 SGB V ausgeschlossen sind).

Als weitere Voraussetzung für eine Leistungspflicht der GKV wird die Zulassung durch die, für den deutschen Arzneimittelmarkt zuständigen Zulassungsbehörden (EMA, BfArM bzw. PEI) gesehen.

Der Verkehr mit Arzneimitteln (Handel mit Arzneimitteln und die gewerbs- und berufsmäßige Arzneimittelabgabe) in Deutschland ist in § 21 Absatz 1 AMG geregelt:

"Fertigarzneimittel dürfen im Geltungsbereich dieses Gesetzes nur in den Verkehr gebracht werden, wenn sie durch die zuständige Bundesoberbehörde zugelassen sind oder wenn für sie die Europäische Gemeinschaft oder die Europäische Union eine Genehmigung für das Inverkehrbringen nach Artikel 3 Absatz 1 oder 2 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 erteilt hat."

In der Europäischen Union zugelassene Arzneimittel sind also automatisch zugleich in Deutschland zugelassen. Daher dürfen europaweit zugelassen Arzneimittel in Deutschland ohne weiteres in den Verkehr gebracht werden. Sie sind mit der europaweiten Zulassung in Deutschland verkehrsfähig.
Nicht im zentralisierten europäischen Zulassungsverfahren für den europäischen Markt insgesamt - oder durch das BfArM oder PEI national in Deutschland - zugelassene Fertigarzneimittel sind in Deutschland formal nicht verkehrsfähig.

Suche nach zugelassenen Medikamenten beim Union Register of medicinal products
Wenn man sich darüber informieren will, ob ein Arzneimittel in Deutschland überhaupt zugelassen und/oder verkehrsfähig ist, kann eine Recherche über PharmNet.Bund - öffentlicher Teil der Datenbank AMICE Auskunft geben.

Die Regelungen von § 21 AMG werden aufgenommen in § 73 Abs. 1 AMG; "Verbringungsverbot". Danach dürfen zulassungs- oder registrierungspflichtige Arzneimittel in die Bundesrepublik Deutschland (= Geltungsbereich des AMG) nur verbracht werden, wenn sie hier zugelassen, nach genehmigt, registriert oder von der Zulassung oder der Registrierung freigestellt sind.
Das Verbringungsverbot bezieht sich nicht auf Arzneimittel, die in der Europäischen Union oder nur in Deutschland zugelassen sind.
Das Verbringungsverbot greift den Begriff Verbringen auf. Dieser Begriff wird in § 4 AMG vom Begriff Einfuhr bzw. Import klar abgegrenzt.

Laut § 4 Absatz 32 AMG ist es ein "Verbingen", wenn ein Arzneimittel in den Geltungsbereich des deutschen Arzneimittelgesetzes befördert wird.
Wenn ein europaweit zugelassenes Arzneimittel aus einem anderen europäischen Land nach Deutschland transportiert und in Deutschland an Endkunden abgegeben oder in den Handel gebracht wird, ist dies nur ein Verbringen.
In der Europäischen Union - und damit in Deutschland - zugelassene Arzneimittel können ohne Importformalitäten oder Zollerfordernisse nach Deutschland befördert = verbracht werden. Es handelt sich in diesen Fällen gemäß § 21 Absatz 1 AMG in Verbindung mit § 4 Absatz 32 AMG nicht um eine Einfuhr bzw. einen Import.
Genau wie für in Deutschland hergestellte Produkte greifen für nach Deutschland verbrachte Medikamente je nach Produkt nur die jeweils zutreffenden arzneimittelrechtlichen Regeln, z.B. Kennzeichnungspflichten oder Apothekenpflicht oder Rezeptpflicht. Förmliche Zollverfahren werden nicht notwendig; Medikamente aus Deutschland haben in der Union den gleichen Status wie Medikamente aus anderen Unionsstaaten. Ebenso haben Medikamente aus anderen Unionsstaaten in Deutschland den gleichen Status wie Medikamente aus Deutschland.

Aus dem Verbringen wird dann eine Einfuhr bzw. ein Import, wenn ein (definitionsgemäßes) Arzneimittel aus Drittstaaten, die nicht Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum sind, in Deutschland in den zollrechtlich freien Verkehr oder - entgegen den Zollvorschriften - in den Wirtschaftskreislauf überführt werden.

Generell wird die Einfuhr und Ausfuhr von Arzneimitteln im Dreizehnten Abschnitt des Arzneimittelgesetzes geregelt. Der Begriff "Import" wird im Arzneimittelgesetz nicht verwendet. Außerhalb des GKV-Zusammenhanges handelt es sich um einen rein wirtschaftlich definierten Begriff. Das AMG selbst bezieht sich in § 4 Abs. 32 AMG auch explizit auf die wirtschaftliche Definition von Einfuhr und Ausfuhr:

Einfuhr ist die Überführung von unter das Arzneimittelgesetz fallenden Produkten aus Drittstaaten, die nicht Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum sind, in den zollrechtlich freien Verkehr. 3Produkte gemäß Satz 2 gelten als eingeführt, wenn sie entgegen den Zollvorschriften in den Wirtschaftskreislauf überführt wurden. 4Ausfuhr ist jedes Verbringen in Drittstaaten, die nicht Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum sind."

Für in die EU eingeführte Nicht-Unionswaren gibt es zwei Möglichkeiten:
1. Sie müssen in ein Zollverfahren übergeführt werden.
2. Sie müssen wieder ausgeführt werden.
Der deutsche Zoll erklärt auf seinen Webseiten:

Damit Sie über die aus einem Drittland eingeführten Waren frei verfügen können, bedarf es der Überführung dieser Waren in das Zollverfahren der "Überlassung zum zollrechtlich (und steuerrechtlich) freien Verkehr".

§72 AMG regelt die gewerbs- und berufsmäßige Einfuhr von Arzneimitteln, für die eine Einfuhrerlaubnis benötigt wird. Diese Regelung betrifft z.B. Apotheker, die gewerbs- oder berufsmäßig Arzneimittel im Kundenauftrag oder für eigene Zwecke einführen. Endverbraucher sind davon nicht betroffen. Endverbraucher dürfen Arzneimittel aus Drittstaaten generell nur über hierzu berechtigte Apotheken erwerben (Verbringungsverbot).
§ 73 Abs. 3 AMG regelt das Verbringen von formal in Deutschland nicht verkehrsfähigen Arzneimitteln ("nicht zum Verkehr im Geltungsbereich dieses Gesetzes zugelassen, registriert oder von der Zulassung oder Registrierung freigestellt"). Ob es sich dabei um eine Einfuhr (Import) handelt, ist § 73 Abs. 3 AMG dabei unerheblich. Absatz 3 in § 73 AMG regelt nur das Verbringen, also die reine Beförderung.
Für die Rechtmäßigkeit des Verbringens von Arzneimitteln, die im Geltungsbereich des deutschen Arzneimittelgesetzes nicht verkehrsfähig sind, führt § 73 Abs. 3 AMG verschiedene Kriterien auf, die insbesondere die Beachtung der spezifisch deutschen Regelungen im Apothekengesetz - ApoG und in der Apothekenbetriebsordnung - ApBetrO sicher stellen sollen.
Grundsätzlich wird ein Verbringen von in Deutschland nicht verkehrsfähigen Arzneimitteln nach §73 Abs.3 Satz 1 Nummer 3, nur dann gestattet, wenn kein "hinsichtlich des Wirkstoffs identisches und hinsichtlich der Wirkstärke vergleichbares Arzneimittel für das betreffende Anwendungsgebiet" in Deutschland zugelassen und im Handel verfügbar ist.
Darüber hinaus dürfen nach §73 Abs.3 Satz 1 AMG, in Deutschland nicht zugelassene/nicht verkehrsfähige Arzneimittel immer gesetzeskonform aus dem Ausland importiert werden, wenn dies "in angemessenem Umfang, […] zur Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Versorgung der Patienten [eines] Krankenhauses notwendig ist."
Zusätzlich enthält §73 Abs.1 Satz 1 in Nummer 1 und 1a ergänzende Bestimmungen, die die ausreichende Berücksichtigung des deutschen Apothekengesetzes regeln sollen.

Anfangs dieses Jahrhunderts stellten zentral im europäischen Verfahren zugelassene Arzneimittel eine kleine Sondergruppe dar. Es gab Unklarheiten und Unsicherheiten im Umgang mit diesen, nicht durch eine deutsche Behörde zugelassenen Arzneimitteln.
Durchgesetzt hat sich mittlerweile die Erkenntnis, dass EU-weit zugelassene Arzneimittel auch in Deutschland zugelassen sind und legal nach Deutschland verbracht werden können.
Unklar erscheint aber weiterhin die leistungsrechtliche Einstufung durch die Krankenkassen.
Seit Einführung der (frühen) Nutzenbewertung nach § 35a SGB V kommt es immer häufiger dazu, dass nach fehlender Anerkennung eines Zusatznutzens durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (s.a. G-BA - Nutzenbewertung nach §35a SGB V und Übersicht der Wirkstoffe) EU-weit zugelassene Arzneimittel von pharmazeutischen Unternehmern aus wirtschaftlichen Gründen nicht in den deutschen Markt gebracht oder aus diesem zurückgezogen werden.
Die europaweit erteilte Zulassung besteht unabhängig von den Ergebnissen der frühen Nutzenbewertung in Deutschland weiter. Daher handelt es sich bei entsprechenden Arzneimitteln, wenn sie aus dem Ausland bezogen werden, nicht um Arzneimittel, die die Definition einer Einfuhr bzw. Imports gemäß § 4 Abs. 32 AMG erfüllen.

Die Zeitschrift Apotheke-Adhoc thematisierte die Problematik des Arzneimittel-Imports am 20.05.2019 und demonstrierte dabei die Probleme, die durch unzureichende Umsetzung des europäischen Rechts in der Praxis vorhanden waren. So wurde in dem Artikel im Jahre 2019 noch behauptet, dass in deutschen Apotheken "nur Arzneimittel …, die eine nationale Zulassung haben", vorgehalten und abgegeben werden (dürfen). Der Artikel erweckt den Eindruck, dass alle Arzneimittel, die nicht über nationale deutsche Zulassung haben, in Deutschland nicht zugelassen und nicht verkehrsfähig wären. Tatsächlich ist aber laut §73 Abs. 1 Satz 1 AMG jedes im zentralen europäischen Verfahren zugelassene Arzneimittel zum Verkehr im Geltungsbereich des Arzneimittelgesetzes zugelassen.
"Arzneimittel …., die beispielsweise aus wirtschaftlichen Gründen vom deutschen Markt genommen wurden" beschreibt eine Fallkonstellation, die mittlerweile relativ typisch ist für europaweit zugelassene Arzneimittel, deren Vertrieb in Deutschland aus - z.B. wirtschaftlichen Gründen - vom pharmazeutischen Unternehmen eingestellt wurde. Auf solche Arzneimittel treffen die Regelungen in §73 Abs. 3 Satz 1 AMG nicht zu. §73 Abs. 3 Satz 1 AMG betrifft ausdrücklich nur "Fertigarzneimittel, die nicht zum Verkehr im Geltungsbereich dieses Gesetzes zugelassen, registriert oder von der Zulassung oder Registrierung freigestellt sind".
Die konstante Verwendung der Begrifflichkeit des Arzneimittel-Einzelimports und gleichzeitige Erwähnung typischer Fallkonstellationen von europaweit zugelassenen Arzneimitteln zeigt die Schwierigkeiten der rechtlichen Einstufung und die sehr langwierige Adaptation der Akteure des Gesundheitssystems an die europäische Realität.

Tatsächlich kommt der Begriff "Import" im Arzneimittelgesetz an keiner Stelle als eigener Begriff vor. §4 Abs. 32 AMG und §73 AMG erwähnen den Begriff nicht und definieren ihn auch nicht. §4 Abs. 32 AMG definiert lediglich den Begriff "Einfuhr". In dem gesamten Arzneimittelgesetz kommt nur das Wort bzw. der Begriff "Parallelimporteur" an insgesamt vier Stellen vor, die ausschließlich Regelungen für den

Auch gelten die Kriterien für einzeln importierte Arzneimittel nicht für Re- und Parallelimporte, da es sich bei diesen (ebenfalls) um in Deutschland zugelassene Arzneimittel handelt.

Das BSG hat eine Rechtsprechung entwickelt, die auf einem Entscheid vom 04.04.2006 beruht ( B 1 KR 7/05 R; Tomudex-Urteil).
Moderne Entwicklungen des europäischen Rechts finden nur sehr bedingt eine Umsetzung in dieser Rechtsprechung.
Gemäß BSG-Rechtsprechung besteht eine Leistungspflicht der GKV für einzeln importierte, weder national in Deutschland noch durch die EMA im zentralisierten europäischen Verfahren zugelassene Arzneimittel nach § 73 Abs. 3 AMG, wenn

  1. eine lebensbedrohliche, regelmäßig tödliche oder andere akut notstandsähnliche Erkrankung vorliegt,
  2. keine anerkannten schulmedizinischen Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen und
  3. für die beabsichtigte Arzneimitteltherapie auf Indizien gestützte Hinweise für eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf positive, spürbare Einwirkung auf den Behandlungsverlauf oder auf Heilung vorliegen.

Darüber hinaus sollte hinsichtlich der Therapie mit einem im Einzelfall importierten Arzneimittel

  • a. Bezogen auf den konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung des gebotenen Wahrscheinlichkeitsmaßstabes bei Abwägung von Chancen und Risiken der voraussichtliche Nutzen überwiegen.
  • b. Die - in erster Linie fachärztliche - Behandlung auch im Übrigen den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechend durchgeführt und ausreichend dokumentiert werden.

Probleme aus Sicht der Praxis beschreibt ein Artikel in der Deutschen Apotheker Zeitung vom 24.01.2019.


Hinweise zum Vorgehen in der Begutachtung der Medizinischen Dienste zu "einzelimportierten" Arzneimitteln nach § 73 Abs. 3 AMG und nähere Einzelheiten finden sich bei der Sozialmedizinischen Expertengruppe „Arzneimittelversorgung“ (SEG 6) beim MD Westfalen-Lippe. Die Hinweise basieren vollständig auf der BSG-Rechtsprechung in der Folge der BSG-Entscheidung vom 04.04.2006 ( B 1 KR 7/05 R; Tomudex-Urteil).


WebLinks

Siehe auch in diesem Wiki

  • Zulassungsinformationen - Artikel mit Links auf Datenbanken europäischer Zulassungsbehörden sowie weiteren Informationsportalen.

Alle Darstellungen medizinischer Sachverhalte, Erkrankungen und Behinderungen und deren sozialmedizinische Einordnung und Kommentierungen hier im Wiki dienen nicht einer "letzt begründenden theoretisch-wissenschaftlichen Aufklärung", sondern sind frei nach Karl Popper "Interpretationen im Licht der Theorien."
Zitat nach: Bach, Otto: ''Über die Subjektabhängigkeit des Bildes von der Wirklichkeit im psychiatrischen Diagnostizieren und Therapieren''. In: Psychiatrie heute, Aspekte und Perspektiven, Festschrift für Rainer Tölle, Urban & Schwarzenberg, München 1994, ISBN 3-541-17181-2, (Zitat: Seite 1)
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