Disulfiram (Präparat: Esperal®)

Erstellt am 25 Nov 2017 21:51
Zuletzt geändert: 25 Jun 2018 18:26

Disulfiram ist ein Wirkstoff, der in Deutschland in Form des Präparates Antabus® über mehrere Jahrzehnte national zugelassen war und als Wirkstoff in der Suchtbehandlung bei Alkoholabhängigkeit eingesetzt wurde. Die deutsche Herstellerfirma stellte jedoch 2011 aus wirtschaftlichen – und nicht aus medizinischen oder pharmakologischen – Gründen die Produktion ein, so dass nach dem Aufbrauchen der im Handel befindlichen Präparate gemäß Arzneimittelgesetzgebung die Zulassung für das Präparat mittlerweile erloschen ist.
Disulfiram (wie das früher in Deutschland vertriebene Antabus®) dient der Unterstützung einer mehrgleisigen (multimodalen) Therapie der Alkoholkrankheit. Disulfiram kann bei gleichzeitiger Einnahme von Alkohol tödlich wirken und darf daher nur eingesetzt werden, wenn der Patient ein intaktes gesellschaftliches Umfeld (Partner, Freunde, Arbeit…) hat und eine regelmäßige Einnahme sowie Alkoholabstinenz sichergestellt ist (gute Compliance) und wenn zudem psychiatrischen Erkrankungen mit suizidalen oder selbstzerstörerischen Tendenzen ausgeschlossen sind.
Anhand vorliegender wissenschaftlicher Daten ist die Wirksamkeit einer Disulfiram gestützten multimodalen Therapie der Alkoholkrankheit sehr gut belegt (Krampe und Ehrenreich, Curr. Pharm. Des. 2010; Haasen et al., Suchttherapie 2010; Niederhofer et al., Drug AlcoholRev. 2003; Mutschler et al.; Praxis Bern 1994). Krampe et al. beschreiben eine kumulative Abstinenzquote von 50 % in einem komplexen, Disulfiram basierten Therapieprogramm in Deutschland (Ambulante Langzeitintensivtherapie für Alkoholkranke = ALITA) (Krampe et al., Alcoholism: Clinical and Experimental Research 2006).
In den letzten Jahren wurden andere Medikamente zur Behandlung der Alkoholabhängigkeit in Deutschland eingeführt, nämlich Acamprosat (Campral®), Naltrexon (Adepend®) und (Nemexin®); EU-Weit wurde das Selincro® mit dem Wirkstoff Nalmefen zugelassen. Alle diese Präparate haben einen völlig anderen Wirkungsmechanismus als Disulfiram – es handelt sich um so genannte "Anti-Craving"-Substanzen, während das Disulfiram ein so genanntes Aversivum ist.
Publizierten Stellungnahmen und Expertenaussagen der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin e.V., der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e.V., des Vereins für Gemeindeorientierte Psychotherapie e.V. lässt sich entnehmen, dass nach klinischer Erfahrung die neueren Medikamente bei schwer erkrankten Alkoholabhängigen weniger wirksam seien als Disulfiram. Diese Erfahrungsbehauptung von Klinikern wird auch durch die Literatur gestützt. So zeigte eine Studie aus dem Jahr 2010, dass eine kontrollierte Disulfiramtherapie bei schwer kranken Alkoholabhängigen einer Behandlung mit Acamprosat möglicherweise sogar überlegen war (Diehl A. et al. AlcoholAlcohol. 2010). 2014 veröffentlichte eine Wissenschaftlergruppe eine Arbeit in der renommierten Zeitschrift "Neuropsychopharmacology", die zu dem Ergebnis kam, dass die als "Glutamat-Rezeptor-Antagonist" vermarktete Substanz Acamprosat (Handelspräparat Campral®) gar keine nachweisbaren biologischen Effekte habe und alle Effekte, die in vorangegangenen Studien beobachtet wurden, vermutlich auf das in den Tabletten enthaltene Kalzium zurückgeführt werden könnte (Spanagel et al. 2014 Mar;39(4):783-91).

Da anhand der gutachterlich eruierten Literatur keine Belege für eine Überlegenheit der in Deutschland oder EU-weit zugelassenen Präparate gegenüber dem Wirkstoff Disulfiram gefunden werden konnten und zudem zu konstatieren ist, dass keines dieser Präparate einen gleichartigen Wirkmechanismus besitzt wie das Disulfiram, seien im Hinblick auf §2 Abs. 1 und §12 SGB V die Kostenaspekte der verschiedenen medikamentösen Therapien beim Alkoholabhängigkeitssyndrom beleuchtet. Von der Abteilung für Abhängigkeitserkrankungen (Chefarzt Prof. Dr. med. Martin Driessen) am Evangelischen Krankenhaus Bielefeld wurde Ende 2014 eine Übersicht der Tagestherapiekosten mit den verschiedenen Medikamenten erstellt, die hier zur Information der Krankenkasse eingefügt wird:

Präparat Wirkstoff Subst.-Gruppe AMG-Zulassung Tages-Dosis Kosten/Tag
Esperal® Tbl. 500 mg Disulfiram Aversiva nein (Import aus Frankreich) 250 mg ~ 20 ct
Tetradin® Tbl. 500 mg Disulfiram Aversiva nein (Import aus Polen) 250 mg ~ 34 ct
RefusalR®Tbl. 250 mg Disulfiram Aversiva nein (Import aus den Niederlanden) 250 mg ~ 38 ct
Antabus® Disp. 400 mg Disulfiram Aversiva nein (Import aus Österreich) 200 mg ~ 49 ct
Antabus® Disp. 500 mg Disulfiram Aversiva nein (Zulassung erloschen, da nicht mehr im Handel) 250 mg ~ 94 ct
Colme® Trpf. 60 mg/ml Calciumcarbimid Aversiva nein (Import) 50 mg ~ 28 ct
Baclofen® Tbl. 25 mg Baclofen Anti-Craving ja (aber: Off-Label-Use) 30 - 60 mg ~ 52-80 ct
Campral® Tbl. 333 mg Acamprosat Anti-Craving ja 1998 mg ~ 3 €
Adepend® Tbl. 50 mg Naltrexon Anti-Craving ja 50 mg ~ 4,50 €
Nemexin® Tbl. 50 mg Naltrexon Anti-Craving ja (aber: Off-Label-Use) 50 mg ~ 5,33 €
Selincro® Tbl. 18 mg Nalmefen Anti-Craving ja 18 mg (ED) ~ 6,47 €

Quelle: Evangelisches Krankenhaus Bielefeld


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Zitat nach: Bach, Otto: ''Über die Subjektabhängigkeit des Bildes von der Wirklichkeit im psychiatrischen Diagnostizieren und Therapieren''. In: Psychiatrie heute, Aspekte und Perspektiven, Festschrift für Rainer Tölle, Urban & Schwarzenberg, München 1994, ISBN 3-541-17181-2, (Zitat: Seite 1)
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